: Warum Berlin Exmatrikulationen erleichtert

von Henriette de Maizière, Berlin
26.03.2024 | 17:29 Uhr
Ein palästinensischer Student greift einen jüdischen Kommilitonen brutal an - eine mutmaßlich antisemitische Tat. Nun will Berlin das Hochschulgesetz verschärfen. Darum geht es.

Seit 2021 gibt es in Berlin keine Exmatrikulation mehr. Nach antisemitischer Gewalt unter Studenten der FU Berlin soll sie nun wieder eingeführt werden. Das stößt auch auf Kritik.

26.03.2024 | 02:43 min
Nach einem Angriff auf einen jüdischen Studenten reagiert der Berliner Senat: Den Berliner Universitäten soll künftig die Möglichkeit eingeräumt werden, Exmatrikulationen nach schweren Ordnungsverstößen zu verhängen. Das steckt hinter der geplanten Verschärfung des Hochschulgesetzes.

Senatsvorstoß als Reaktion auf Gewaltat

Nach dem 7. Oktober und den Terrorakten der radikalislamischen Hamas gegen Israel und dem daraus folgenden Krieg in Gaza gibt es auch an deutschen Universitäten immer wieder Auseinandersetzungen, so auch in Berlin.
Anfang Februar war der jüdische Student Lahav Shapira Opfer einer mutmaßlich antisemitisch motivierten Straftat geworden. Sein propalästinensischer Kommilitone Mustafa A. soll ihn auf offener Straße in Berlin-Mitte geschlagen und getreten haben.
Lahav Shapira kam mit Knochenbrüchen ins Krankenhaus. Die Freie Universität - so der Vorwurf - habe damals viel zu lange nicht auf die Gewalttat reagiert.

An Hochschulen wird zunehmend Antisemitismus beklagt. An der Humboldt-Universität Berlin wurde eine Podiumsdiskussion mit einer israelischen Richterin wegen Störung abgebrochen.

10.02.2024 | 01:40 min

Entwurf der Senatsverwaltung sieht abgestuftes Verfahren vor

Jetzt soll die erst 2021 in Berlin vom rot-rot-grünen Senat abgeschaffte Möglichkeit zur Exmatrikulation von Studierenden für bestimmte Fälle wieder eingeführt werden. Berlin hatte als einziges Bundesland die Exmatrikulation als schärfste Sanktionierung abgeschafft. Das bisher geltende Hochschulgesetz sah höchstens ein dreimonatiges Hausverbot vor.
Kernpunkt der Gesetzesnovelle ist die Wiedereinführung des Ordnungsrechts an den Hochschulen. Geplant sind abgestufte Ordnungsmaßnahmen. Die je nach Art und Schwere der Störung von einer Rüge bis zur Exmatrikulation als letzter Lösung gehen.
Als Ordnungsverstöße gelten:
  • die Anwendung von Gewalt
  • die Aufforderung zu Gewalt
  • Bedrohung mit Gewalt gegen ein Mitglied der Hochschule
  • die Nutzung der Einrichtungen zu strafbaren Handlungen
  • sexuelle Belästigung
  • die Verletzung der Würde einer anderen Person, etwa durch rassistische oder religiöse Zuschreibungen

Nach einer Attacke gegen einen jüdischen Studenten in Berlin forderte unter anderem Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger alle Universitäten zum Einschreiten auf.

07.02.2024 | 01:57 min

So positionieren sich Hochschulgruppen

Viele Hochschulgruppen begrüßen die Verschärfung des Berliner Hochschulgesetzes. Die Jüdische Studierendenunion Deutschland veröffentlichte gemeinsam mit Hochschulgruppen von CDU/CSU, Jusos, Liberalen und Grünen eine Erklärung, die die Verschärfung des Gesetzes begrüßt.
Darin heißt es: Universitäten müssten ein Ort der freien Debatte sein. Diese sei zunehmend gefährdet. Eine wehrhafte Demokratie müsse sich auch an Universitäten verteidigen:
Extremistische und gewalttätige Studenten sollten mit einer Exmatrikulation als ultima ratio rechnen müssen.
Erklärung der Hochschulgruppen
Die Berliner Opposition kritisiert das neue Hochschulgesetz. So bezweifeln die Grünen, dass das Gesetz effektiven und rechtssicheren Schutz vor Gewalt und Antisemitismus biete.
Der wissenschaftspolitische Sprecher der Linken-Fraktion, Tobias Schulze, sagte gegenüber der Deutschen Presse-Agentur:
Der Senat schiesst weit über das Ziel hinaus und bleibt beim Aktionismus. Eine mögliche Exmatrikulation würde erst viele Monate oder gar Jahre nach der Tat erfolgen.
Tobias Schulze, Linke

Kritiker befürchten Paralleljustiz

Eine "Kampagne gegen Zwangsexmatrikulation" rief hingegen heute zu Gegenprotesten auf. Die Pläne des Berliner Senats beträfen "nicht nur die Meinungsfreiheit, sondern gefährde auch die Sicherheit vieler, insbesondere internationaler Studierender", heißt es in einer Mitteilung. Sie warnten heute vor dem Roten Rathaus vor "politisch motivierten Exmatrikulationen".
Auch die Präsidentin der Technischen Universität Berlin, Professorin Geraldine Rauch, sieht den Gesetzentwurf kritisch. Jahrelang sei bei Fällen von sexueller Diskriminierung und Rassismus allgemein nicht wirklich reagiert worden. Nun - so ihre Befürchtung - werde übereilt gehandelt, es drohe eine "Universitäts-Justiz", die keine juristische Legitimität habe.
Rauch fürchtet auch, dass - anders als bei der Justiz - auf Politik und Universitätsleitung großer politischer Druck ausgeübt werden könne und so eine Entscheidungsfindung beeinflusst werde.
Es ist unklar, wie Taten konkret definiert sind. Es ist unklar, wer das wie nachweisen muss. Und es ist unklar, wann jemand tatsächlich klar als Täter identifiziert oder entlarvt wird oder ob es nach wie vor so etwas wie eine Unschuldsvermutung gibt.
Geraldine Rauch, Präsidentin Technische Universität Berlin
Auch würde eine mögliche Exmatrikulierung erst lange nach der Tat erfolgen können.

Der Angriff eines Mannes auf einen jüdischen Studenten der FU Berlin hat Bestürzung ausgelöst. Der Regierende Bürgermeister zeigt sich "fassungslos".

05.02.2024 | 03:05 min

Debatte um Hochschulgesetzverschärfung: So geht es weiter

Der Regierende Bürgermeister Berlins Kai Wegner (CDU) weist die Kritik zurück und begründet seine Entscheidung:
Wir wollen, dass Hochschulen sichere und diskriminierungsfreie Orte sind. Die Änderung des Hochschulgesetzes bietet dafür die besten Voraussetzungen.
Kai Wegner, Regierender Bürgermeister Berlin
Eine Exmatrikulation solle einen gewalt - und angstfreien Hochschul- und Studienbetrieb gewährleisten.
Das Vorhaben wird nun im Abgeordnetenhaus weiter beraten und dann verabschiedet. Gegen den mutmaßlichen Angreifer auf den jüdischen Studenten Lahav Shapira wird die Gesetzesnovelle nicht greifen. Gesetze gelten nicht rückwirkend.

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