: Erdogan-Besuch: Ein Balance-Akt für Scholz
Bundespräsident Steinmeier und Kanzler Scholz empfangen den türkischen Präsidenten. Ein schwieriger Besuch – weil Erdogan Israel Völkermord vorwirft und die Hamas lobt.
17.11.2023 | 01:34 minEs ist ein kurzer Besuch. Und ein schwieriger. Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan ist in Berlin angekommen. Am Nachmittag hat er sich mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier getroffen.
Schwierig ist der Besuch für die deutsche Seite vor allem wegen umstrittener Aussagen Erdogans zum Nahost-Konflikt. Insbesondere wegen dieses Satzes, den Erdogan am 25. Oktober sagt:
Hamas ist keine Terrororganisation, sondern eine Befreiungsgruppe, die für den Schutz ihres Landes und ihrer Bürger kämpft.
Mitglieder der Hamas nennt Erdogan "Menschen, die darum kämpfen, ihr Land zu schützen und für ihr Heimatland zu kämpfen". Zur Einordnung: Bei dem Terrorangriff der Hamas auf Israel sind rund 1.200 Menschen getötet worden, darunter mehr als 850 Zivilisten.
Der türkische Präsident Erdogan ist zu Besuch in Berlin. Zuletzt äußerte er heftige Kritik an Israel. Was von dem heiklen Besuch zu erwarten ist, berichtet Diana Zimmermann.
17.11.2023 | 00:55 minWas Erdogan zu Israel sagt
Es sind nicht die einzigen Äußerungen, die in Deutschland auf Widerspruch stoßen. Erdogan sagt, Israel verfolge eine "Strategie der völligen Vernichtung einer Stadt und ihrer Bevölkerung". Und weiter:
Ich sage ganz klar und offen, dass Israel ein Terrorstaat ist.
Erdogan wirft Israel vor, die palästinensische Bevölkerung gewaltsam zu enteignen. Dabei sei die Legitimät Israels "durch den eigenen Faschismus infrage gestellt". Gemeint ist dabei auch das Vorgehen Israels in Gaza. Dazu sagt Erdogan:
Wir haben es mit einem Genozid zu tun.
In Berlin wird heute der türkische Präsident Erdogan von Kanzler Scholz und Bundespräsident Steinmeier empfangen.
17.11.2023 | 04:08 minScholz wird Fragen beantworten
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kritisiert diese Äußerungen scharf, nennt sie "absurd". Die Frage ist, wie deutlich er am Abend wird vor der versammelten Hauptstadtspresse. Gegen 18 Uhr empfängt Scholz Erdogan im Kanzleramt, dann ist auch eine Pressebegegnung geplant, keine Pressekonferenz.
Das lässt Erinnerungen wach werden an den Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Li Qiang in Berlin. Der Gast aus Peking hatte im Juni keine Lust auf kritische Fragen, also gab es gar keine. Auch nicht an Scholz. Das soll dieses Mal anders werden. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagt, es handele sich um eine Pressebegegnung, ...
... bei der es aber auch die Möglichkeit, Fragen zu stellen, geben wird.
Der Aufwand ist riesig, die Sicherheitsstufe auf höchstem Niveau. Das Kanzleramt ist weiträumig abgesperrt. Journalistinnen und Journalisten werden Stunden vorher ins Kanzleramt begleitet. Über dem Berliner Regierungsviertel fliegen Hubschrauber. Die Berliner Polizei ist mit 2.800 Beamten im Einsatz, sechs Demonstrationen sind angekündigt.
Die Deutschland-Reise Erdogans wird überschattet von den Verbalattacken des türkischen Präsidenten gegen Israel. Im ZDF verteidigt der SPD-Abgeordnete Karaahmetoglu den Besuch.
17.11.2023 | 06:34 minWelche Themen auf der Agenda stehen
Im Anschluss werden sich Scholz und Erdogan unter vier Augen unterhalten. Schwierige Themen gibt es genug: Russlands Krieg gegen die Ukraine etwa sowie der Nahost-Konflikt. Erdogan hatte sich selbst als Vermittler zur Befreiung der Hamas-Geiseln ins Gespräch gebracht, Scholz setzt dabei eher auf Katar.
Auch ein mögliches neues Flüchtlingsabkommen mit der Türkei könnte auf der Agenda stehen sowie die Nato-Mitgliedschaft Schwedens.
Und doch überschatten Erdogans Äußerungen zu Israel alles. SPD-Politiker Michael Roth fordert im ZDFheute-Interview diesbezüglich Klartext von der deutschen Seite. Und der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, fordert von Scholz und Steinmeier Widerspruch:
Ehrlicherweise erwarte ich, dass diese Worte nicht nur im stillen Kämmerlein kommen, sondern in der sicherlich angedachten Pressekonferenz im Zusammenhang mit diesem Besuch.
Noch am Abend wird Erdogan nach ZDFheute-Informationen Deutschland wieder verlassen. Kein Besuch also beim Fußball-Spiel zwischen Deutschland und der Türkei, keine Bilder aus dem Berliner Olympiastadion mit Erdogan. Die Bundesregierung dürfte das eher gut finden.