: Das Märchen vom geräuschlosen Regieren

von Dominik Rzepka
30.08.2023 | 16:34 Uhr
In Meseberg beschwört die Ampel den Neustart. Den Streit der vergangenen Wochen soll ein Bild umschreiben: Die Koalition hämmere und schraube halt viel. Nur: Das ist Quatsch.

Die Streitpunkte hinter sich lassen, das war das Ziel der Kabinetts-Klausur. Wie das Vorhaben, insbesondere beim Thema Bürokratie, gelungen ist, zeigen die Ergebnisse von Meseberg.

30.08.2023 | 01:56 min
Christian Lindner will ganz offensichtlich mal wieder die Schlagzeilen bestimmen. Der Finanzminister weiß genau, was die Journalistinnen und Journalisten brauchen. Bilder, Metaphern, schöne Zitate. Und Lindner liefert. Zum wochenlangen Streit in der Ampel sagt er:
Wir sind eine Regierung, wo gehämmert, geschraubt wird. Das führt zu Geräuschen, wie Sie schon festgestellt haben. Aber es kommt eben auch was raus.
Christian Lindner, FDP
Olaf Scholz (SPD) steigt voll drauf ein. "Wir werden hämmern und klopfen, aber mit Schalldämpfern", sagt der Kanzler auf Schloss Meseberg. Und Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) liefert auch noch ein Bild: Ab sofort macht die Koalition Laubsägearbeiten. Verstanden, die Ampel will jetzt geräuschloser regieren.

Massive Konflikte in der Ampel bleiben

Die Zitate vom Hämmern und Schrauben dürften jetzt schon in jedem Online-Artikel über die Kabinettsklausur stehen (in diesem hier ja auch). Morgen werden sie wahrscheinlich in jeder zweiten Überschrift einer Tageszeitung zu lesen sein. Man soll sich Scholz, Lindner und Habeck offenbar im niedlichen "Bob, der Baumeister"-Kostüm vorstellen.
Doch das Bild von der hämmernden Ampel, das die Koalitionäre gerne erzeugen wollen, kann über eines nicht hinwegtäuschen: In Wahrheit gibt es in dieser Ampel massive Konflikte. Und die konnten auch auf der zweitägigen Koalitionsklausur auf Schloss Meseberg nicht befriedet werden.

Das Reden vom Hämmern, Schrauben und von Schalldämpfern könne nicht verdecken, dass es Konflikte gebe in der Ampel, sagt ZDF-Korrespondent Dominik Rzepka.

30.08.2023 | 06:14 min

Keine Einigung beim Industriestrompreis

Beispiel: Industriestrompreis. Soll der Strom für große Unternehmen staatlich subventioniert werden? Die Grünen sind dafür, die FDP dagegen. Die Bundestagsfraktion der SPD steht auf der Seite der Grünen. Der Kanzler, selbst auch SPD-Mitglied, ist dagegen. Und weil sich die Ampel hier nicht einig ist, gibt es auch keinen Beschluss in Meseberg - nur eine nichtssagende Aussage des Kanzlers:
Wir freuen uns darüber, dass das Interesse, Wirtschaftsaktivierung zu betreiben, ein allseitiges ist.
Olaf Scholz zum Industriestrompreis
Beispiel: Das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Lindner. Das hat das Kabinett zwar beschlossen, aber eben zwei Wochen später als geplant. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) hatte ihr Veto eingelegt, um Lindner die Kindergrundsicherung abzuringen. Ein einmaliger Vorgang. Und das soll wirklich nur ein Hämmern und Schrauben sein?

Bei ihrer Klausur in Meseberg konnte sich die Ampel nicht auf einen Industriestrompreis einigen. Doch die Chemiebranche betont: ohne einen solchen Industriestrompreis drohe die Abwanderung vieler Unternehmen.

30.08.2023 | 01:47 min

DJV kritisiert wortkarge Politiker

Um die Zerwürfnisse in dieser Koalition zu verdecken, ist auf Schloss Meseberg eine bemerkenswerte Entwicklung zu beobachten: Die Bundesregierung verschanzt sich immer öfter. Am ersten Tag lassen Scholz, Lindner und Habeck nach ihren Statements vor den Kameras keine Fragen von Journalisten zu.
Auch Justizminister Marco Buschmann (FDP) verschwindet nach seinem Statement zum geplanten Bürokratieabbau wortlos. Der Deutsche Journalistenverband (DJV) sagt ZDFheute, die Bundesregierung degradiere auf diese Weise Medienschaffende zu Mikrofonhaltern.
Wer glaubt, so mit den Medien umgehen zu können, hat die Rolle des Journalismus als kritische Institution in der Demokratie nicht verstanden.
Frank Überall, DJV-Bundesvorsitzender
So ein Fazit nach einer Klausurtagung einer Bundesregierung muss man auch erst einmal hinbekommen.

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