: Wie Assad Sanktionen für eigene Zwecke nutzt

von Marcel Burkhardt
06.03.2023 | 20:53 Uhr
Erschweren westliche Sanktionen Erdbebenhilfe in Syrien? Präsident Assad behauptet das wider besseres Wissen. Der insgesamt schleppende Wiederaufbau des Landes hat viele Gründe.
Erdbebenopfer in Syrien erhalten nur unzureichend humanitäre Hilfe. Quelle: Reuters
Nur in Decken gehüllt müssen unzählige Überlebende des Erdbebens in Nordwestsyrien weiter Nacht für Nacht unter freiem Himmel verbringen. "Es fehlt an Zelten und Heizmaterial, wir können viele Menschen leider nicht versorgen", sagt Sanitäter Bilal Makhzom am Telefon.

Diktator Assad nutzt Naturkatastrophe für seine Zwecke

Syriens Diktator Baschar al-Assad weiß diesen Umstand für seine Zwecke zu nutzen und macht westliche Sanktionen dafür verantwortlich, dass syrische Erdbebenopfer nur unzureichend mit internationaler Hilfe versorgt werden. Gleichzeitig fordert er vehement ein Ende der Sanktionen.
"Assad ruft bei jeder Gelegenheit nach dem Ende der Sanktionen gegen sein Regime. Er wittert die Chance, aus dem Abseits herauszukommen und sich international wieder zu etablieren", sagt die syrische Wirtschaftswissenschaftlerin Salam Said im ZDFheute-Gespräch.
Was Assad verschweigt: Humanitäre Hilfe für notleidende Menschen in Syrien war nie sanktioniert.
Wenn Assad behauptet, die Sanktionen müssten beendet werden, um humanitär helfen zu können, ist das ein Fake-Argument oder schlicht gelogen", sagt Said im ZDFheute-Gespräch.
Salam Said, syrische Wirtschaftswissenschaftlerin

Sanktionen mit Folgen für gesamte syrische Gesellschaft

In Reaktion auf die vom Assad-Regime verübten Angriffe auf die syrische Zivilbevölkerung während des Bürgerkriegs, haben die USA, die Europäische Union und weitere Staaten umfangreiche Sanktionen verhängt, die darauf abzielen, das Regime international zu isolieren.
Die Sanktionen des syrischen Finanzwesens etwa haben aber schwere Folgen für die gesamte syrische Gesellschaft: "Das Problem ist, dass viele internationale Banken aus Furcht vor Sanktionen einfach alle Transaktionen verhindern, bei denen Syrien auch nur erwähnt wird", erklärt Said.

Weshalb gibt es die Syrien-Sanktionen?

Die meisten Sanktionen gegen das Assad-Regime wurden von den USA, der Europäischen Union, der Arabischen Liga und Staaten wie Großbritannien, Norwegen, Kanada, Japan und Australien seit 2011 als Reaktion auf die brutale Repression der syrischen Oppositionsbewegung verhängt.

Was sollen die Sanktionen erreichen?

Die Sanktionen zielen darauf ab, die Handlungsfähigkeit des Assad-Regimes und seiner Gefolgsleute einzuschränken. Zahlreichen Wissenschaftlern zufolge haben sie aber auch erhebliche Auswirkungen auf die gesamte syrische Bevölkerung.

Sind die Sanktionen Hauptgrund für die Not in Syrien?

In Syrien leben 90 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Strittig ist, inwiefern die Sanktionen für die zuletzt noch einmal stark gestiegene Not mitverantwortlich sind.

Syrien-Experten verweisen auf ein Bündel von Ursachen für das Elend:

  • Kriegsfolgen
  • Libanon-Krise
  • Corona-Pandemie
  • die "kleptokratische Wirtschaftspolitik" im Land
  • verstärkte Sanktionen der USA, die sich aus dem sogenannten "Caesar Act" ergeben

Was erreichen die Sanktionen?

Internationale Beobachter sehen den Haupteffekt der Sanktionen darin, dass das Assad-Regime nach einer Vielzahl von Verbrechen gegen die syrische Zivilbevölkerung international weitgehend isoliert ist und sich nicht rehabilitieren kann.

Verhindern die Sanktionen humanitäre Hilfe?

Medikamente, medizinische Ausrüstung, Nahrungsmittel und andere humanitäre Hilfsgüter sind von den Sanktionen explizit ausgeschlossen. Allerdings behindern zum Beispiel die Sanktionen des syrischen Finanzwesens die Arbeit von internationalen Hilfsorganisationen im Land. Allerdings hat die US-Regierung in Reaktion auf die Naturkatastrophe in Syrien für ein halbes Jahr allerdings alle finanziellen "Transaktionen im Zusammenhang mit der Erdbebenhilfe" genehmigt, die ansonsten durch die Sanktionsvorschriften verboten wären.

Zudem wollen die USA zügig Hilfsmittel für den zivilen Aufbau in die Katastrophenregion senden.

Ist ein Ende der Sanktionen in Sicht?

Der vielversprechendste Weg für ein Ende der Sanktionen wäre ein glaubwürdiger Politikwechsel in Syrien und ein Engagement im UN-Friedensprozess. Menschenrechtsorganisationen zufolge müsste das Assad-Regime unter anderem politische Gefangene freilassen sowie Verbrechen gegen die Menschlichkeit beenden. Beobachter bezweifeln allerdings, dass das Regime von seinem repressiven Kurs abweicht.

Quelle: ZDF

Viele Faktoren verhindern Wiederaufbau Syriens

Viele international renommierte Wissenschaftler – darunter der Ökonom und Sanktionsexperte Karam Shaar – stimmen darin überein, dass westliche Sanktionen auch den wirtschaftlichen Wiederaufbau Syriens erschwert haben.
Allerdings, so beobachtet Wirtschaftswissenschaftlerin Salam Said:
Auch Assads Verbündete Russland, China und Iran zeigen wenig Interesse am zivilen Wiederaufbau des in Teilen völlig zerstörten und ausgeplünderten Landes.
Salam Said, syrische Wirtschaftswissenschaftlerin
Ein gewichtiger Grund hierfür: "Kein Unternehmen investiert in großem Umfang in ein Land, das wirtschaftlich und politisch so instabil ist wie Syrien", so Said. Die Vertreibung von Millionen qualifizierter Arbeitskräfte im Krieg, anhaltende Gewalt und massive Korruption erschweren eine Erholung der syrischen Wirtschaft.
Spendenaufruf des Aktionsbündnis KatastrophenhilfeQuelle: ZDF

Said: "Extrem ungerechte Verteilung von Ressourcen"

In wichtigen Wirtschaftssektoren hat das Assad-Regime loyalen syrischen Geschäftsleuten Monopolstellungen ermöglicht. Die wenigen extrem lukrativen Wirtschaftssektoren wie etwa das Geschäft mit Erdöl, Gas und Phosphat sind zwischen den Assad-Verbündeten Russland und Iran aufgeteilt.
"Von deren Wachstum und Aufschwung profitiert die Elite um Assad und nicht die breite Bevölkerung", sagt Said. Das Elend des Großteils der Syrerinnen und Syrer werde "keineswegs allein durch die Sanktionen verursacht", sondern vor allem durch die "politisch motivierte, extrem ungerechte Verteilung von Ressourcen".

Assad verhindert westliche Aufbauhilfen für Syrien

Wiederaufbauhilfen aus dem Westen werden im Wesentlichen dadurch verhindert, dass Assad keinerlei Demokratisierungsbemühungen in Syrien erkennen lässt. Im Gegenteil: Menschenrechtsorganisationen kritisieren weiter Folter und das "Verschwindenlassen" von Regimekritikern.
Außerdem seien die Wiederaufbaupläne Assads nicht an den Bedürfnissen der ausgebombten und vertriebenen syrischen Bevölkerung orientiert, "sondern sie zementieren die Folgen der Vertreibungspolitik", wie Said sagt.

Erst vier Tage nach dem Erdbeben schickte die UN Hilfe Idlib im Nordwesten Syriens. Der Chirurg Dr. Mouheb Kaddour spricht über die humanitäre Lage in der Region.

17.02.2023 | 02:35 min

Ökonomin: "Tiefe Hoffnungslosigkeit in Syrien"

Der Expertin zufolge sollen auf dem Grund und Boden vertriebener Bevölkerungsteile große, teure Immobilienkomplexe für "Assads Entourage" entstehen. "Ausgeschlossen bleibt jene Hälfte der syrischen Bevölkerung, die in den Norden Syriens oder ins Ausland fliehen musste und aufgrund der der anhaltenden Verfolgung in Syrien weiterhin nicht zurückkehren kann", so Said.
Die Hoffnung auf einen politischen Wandel und damit verbunden ein Ende der Sanktionen ist Said zufolge rar. Im Gegenteil: "Insgesamt nehme ich bei den Syrerinnen und Syrern eine tiefe Hoffnungslosigkeit wahr."

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