: Ist das EU-Corona-Hilfsprogramm rechtens?

von Jan Henrich
06.12.2022 | 05:11 Uhr
Zur Bekämpfung der Corona-Folgen hat die EU ein milliardenschweres Konjunkturprogramm aufgesetzt. Ob dessen Finanzierung zulässig war, klärt nun das Bundesverfassungsgericht.
Außenaufnahme des BundesverfassungsgerichtsQuelle: dpa
750 Milliarden Euro hat die EU vorgesehen, um die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Corona-Pandemie abzufedern. Eine Menge Geld, selbst im europäischen Maßstab. Aber nicht nur die Größe macht das Wiederaufbau-Programm mit dem griffigen Namen "Next Generation EU" zu einem außergewöhnlichen Vorhaben, auch die Art der Finanzierung ist neu und nicht unumstritten.
Zwei Tage hat das Bundesverfassungsgericht deswegen im Sommer über mehrere Klagen gegen die deutsche Beteiligung an dem Programm verhandelt. Nun soll das Urteil verkündet und damit auch die Fragen beantwortet werden, ob sich Deutschland mit der Zustimmung einem zu großen finanziellen Risiko ausgesetzt hat und ob die EU ein Programm aufsetzen darf, bei dem sie selbst Schulden machen kann.

390 Milliarden als Zuschüsse, 360 Milliarden als Darlehen

Bereits im Juli 2020 hatten sich die Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedsstaaten auf das umfangreiche Paket geeinigt. Im März vergangenen Jahres gab dann der Deutsche Bundestag seine Zustimmung in Form eines Ratifizierungsgesetzes.
Konkret sieht der Wiederaufbaufonds vor, dass in den nächsten Jahren 390 Milliarden Euro an Zuschüssen für Modernisierungsprojekte, insbesondere in den Bereichen Klima und Digitalisierung zur Verfügung gestellt werden.

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Weitere 360 Milliarden Euro sollen als Darlehen an die Mitgliedsstaaten gehen. Länder, die besonders hart von der Pandemie betroffen waren, sollen stärker von dem Programm profitieren. Deutschland erhält rund 26 Milliarden Euro an Zuschüssen.

Darf die EU Schulden machen?

Finanziert wird das Paket von der EU selbst. Sie hat die Erlaubnis bekommen, dafür an den Kapitalmärkten eigene Kredite aufzunehmen. Dass die EU selbst Schulden in solch großem Umfang machen kann, ist ein Novum.
Kritiker sehen darin die Möglichkeit für Mitgliedsstaaten Haushaltsauflagen, wie beispielsweise die Schuldenbremse, durch europäische Zuschüsse zu umgehen und Schulden zu Vergemeinschaften. Ein hohes Risiko, insbesondere für diejenigen Länder, die am meisten in die Töpfe einzahlen.

Zu großes Haftungsrisiko für Deutschland?

Die Kredite für das Programm sollen bis zum Jahr 2058 aus dem EU-Haushalt zurückgezahlt werden. Der EU-Haushalt speist sich wiederum aus den anteiligen Beiträgen der Mitgliedsstaaten. Sie haften auch im Zweifel für Verbindlichkeiten.
Der Bundesrechnungshof geht laut einer Mitteilung vom März 2021 daher davon aus, dass Deutschland voraussichtlich 65 Milliarden Euro mehr zahlen wird, als es selbst an Zuschüssen aus dem Programm erhält. Im schlimmsten Fall könnte die Haftung für Deutschland sogar noch größer ausfallen.

Mehr als 2.200 Personen haben sich der Klage angeschlossen

Das ist einer der Gründe, warum einige bekannte Euroskeptiker gegen das System geklagt haben. Ausgegangen ist die Verfassungsbeschwerde von dem früheren AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke sowie dem Ex-BDI-Präsident Heinrich Weiss. Mehr als 2.200 Einzelpersonen haben sich zwischenzeitlich dem Verfahren von Bernd Lucke angeschlossen.
Für viele der Kläger nicht das erste Verfahren in Karlsruhe. Weiss und Lucke waren bereits an der Klage gegen die Anleihekaufprogramme der Europäischen Zentralbank (EZB) beteiligt.
Die Entscheidung sorgte damals für heftige Diskussionen, als die Richterinnen und Richter feststellten, dass die EZB ihre Befugnisse überschritten habe.

Förderung bereits gestartet

Ob das Bundesverfassungsgericht erneut auf Konfrontationskurs gehen wird, ist offen. Klar ist allerdings, dass sich das Wiederaufbauprogramm selbst nicht rückgängig machen lässt. Die ersten Mittel sind bereits ausgezahlt.
Auch Deutschland hat schon eine Tranche in Höhe von 2,25 Milliarden Euro abgerufen und entsprechende Projekte bereits umgesetzt. Es wird bei dem Urteil also eher um grundsätzliche Leitlinien für die Zukunft gehen.
Jan Henrich arbeitet in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.

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