: Fratzscher wirft Merz blanken Populismus vor

von Dominik Rzepka
11.01.2023 | 11:41 Uhr
Bei "Lanz" nennt CDU-Chef Merz arabischstämmige Schüler "kleine Paschas". Neben Merz sitzt Ökonom Fratzscher und schweigt erst. Jetzt aber wirft er Merz "blanken Populismus" vor.
Marcel Fratzscher zu Gast bei "Markus Lanz".Quelle: Markus Hertrich/ZDF
Marcel Fratzscher ärgert sich. Der Ökonom sitzt am Dienstagabend bei "Markus Lanz" neben dem Vorsitzenden der CDU und hört ihm schweigend zu. Friedrich Merz beklagt nach den Silvester-Krawallen eine mangelnde Integration, zum Beispiel an Schulen.
Wenn Lehrerinnen und Lehrer arabischstämmige Schüler zur Ordnung riefen, sei die Folge oft, "dass die Väter in den Schulen erscheinen und sich das verbitten." Merz sagt:
Insbesondere, wenn es sich um Lehrerinnen handelt, dass sie ihre Söhne, die kleinen Paschas, da mal etwas zurechtweisen.
Friedrich Merz bei "Markus Lanz"

Sehen Sie hier die ZDF-Sendung "Markus Lanz" in voller Länge.

10.01.2023 | 75:17 min

Integrationsbeauftragte wirft Merz Rassismus vor

"Ich ärgere mich sehr, dass ich zu diesen Aussagen geschwiegen habe", sagt Fratzscher am Tag nach der TV-Sendung. Der Begriff "kleine Paschas" sei "blanker Populismus", so Fratzscher.
Es ist Populismus, weil Herr Merz von einer kleinen Minderheit implizit und explizit auf alle Menschen mit arabischen Wurzeln verallgemeinert.
Marcel Fratzscher, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Fratzscher sagt ZDFheute, Merz' Aussage schade auch der deutschen Wirtschaft, da Deutschland dadurch unattraktiv werde. "Damit verbauen wir uns die Chance, Fach- und Arbeitskräfte aus dem Ausland zu gewinnen, auf die wir dringend angewiesen sind. Der aktuelle Arbeitskräftemangel schadet schon heute Unternehmen existenziell. Wir sollten durch unbedachte Aussagen diese Krise nicht noch verschärfen."
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Reem Alabali-Radovan, bewertet die Merz-Aussage im ZDF als rassistisch: "Diese Bemerkung schürt rassistische Ressentiments und kann auch zur Stigmatisierung ganzer Gruppen führen." Sie lehne das entschieden ab. Dass CDU und CSU die Silvester-Debatte derartig nutzten, erschrecke sie. "Das spaltet die Gesellschaft". Außerdem komme die größte Bedrohung von rechts.

Nicht 145, sondern 38 Festnahmen wegen Böller-Angriffen?

Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink wirft Merz vor, Ressentiments zu schüren und Menschen mit Migrationsgeschichte unter Generalverdacht zu stellen. Linken-Parteivorstandsmitglied Luigi Pantisano wirft Merz vor, ein Rassist zu sein. Und Fridays for Future-Aktivist Maurice Conrad kritisiert den "menschenverachtenden Ton" des CDU-Vorsitzenden.
Kritik gibt es auch daran, dass Merz teils unsicher bei Fakten argumentiere und veraltete Zahlen bei der Debatte verwende. Zunächst hatte die Berliner Polizei mitgeteilt, von den 145 Festgenommenen hätten die meisten einen Migrationshintergrund. Am Sonntag hatte die Polizei laut "Tagesspiegel" die Angaben aber präzisiert. Demnach wurden nur 38 Menschen wegen Böller-Angriffen festgenommen, die meisten davon seien Deutsche.
Allerdings dementiert die Polizei Berlin die Meldung des Tagesspiegels. Ein Sprecher der Polizei sagte ZDFheute, valide Zahlen lägen erst in der Woche ab dem 16. Januar vor.

Lehrerverband gibt Merz Recht, Grundschulverband nicht

Zustimmung bekommt Merz vom Deutschen Lehrerverband. Dessen Präsident Heinz-Peter Meidinger sagt, Merz habe Recht. Grundsätzlich gebe es ein Problem, dass insbesondere weibliche Lehrkräfte nicht ernstgenommen würden und deren Autorität nicht anerkannt würde. Meidinger schränkt allerdings ein, "dass das jetzt nicht ein Pauschalvorwurf an alle Familien mit einem entsprechenden Migrationshintergrund sein kann".
Der Vorsitzende des Grundschulverbands, Edgar Bohn, hält die Aussagen hingegen für "sehr überzeichnet und nicht zutreffend." Er könne sie nicht bestätigen. Vereinzelt gebe es zwar Eltern, die gelegentlich unangemessen gegenüber Lehrkräften an Grundschulen aufträten. Das geschehe aber unabhängig von deren Status und Herkunft.

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