: Starke Bilder, große Worte, kalte Realität

von Ulf Röller
09.02.2023 | 15:22 Uhr
Auf dem EU-Gipfel drängt der ukrainische Präsident Selenskyj auf mehr Militärhilfe. Solidarität ist ihm sicher - doch die Emotionen der Bilder überdecken in Teilen die Realität.
Es gibt eine Geschichte, die viel über den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj erzählt. Kurz nach Kriegsausbruch boten die USA dem ukrainischen Präsidenten an, ihn aus Kiew herauszuholen und in Sicherheit zu bringen. Er soll daraufhin einen Satz gesagt haben, der wohl in die Weltgeschichte eingehen wird. "I need ammunition, I do not need a ride." "Ich brauche Munition, keine Mitfahrgelegenheit."

Eindruck im grünen Militäroutfit

Der Mut dieses Satz beeindruckte, sowie auch die täglichen Video-Botschaften im grünen Militäroutfit in den sozialen Medien. Die Macht der Bilder und Worte hat der ehemalige Schauspieler verstanden. Ohne die gekonnten Auftritte Selenskyjs wäre die Ukraine vielleicht schon verloren.
Die Bilder und Worte sind die schärfsten Waffen, die Selenskyj auch in Brüssel einsetzt. Das Familienfoto der 27 Regierungschefs und er in der Mitte wird um die Welt gehen. Ein Zeichen der Solidarität, das Richtung Moskau strahlen soll.
"Die rote Linie ist nicht mehr so dick" - ZDF-Korrespondent Ulf Röller berichtet aus Brüssel:

Ukraine braucht mehr als schöne Bilder

Aber Selenskyjs Europa-Tour, die in London begann, über Paris führte und nun in der europäischen Hauptstadt Brüssel endet, ist auch der Versuch Selenskyjs, mehr zu bekommen als nur schöne Bilder. Es geht um Waffen, genauer gesagt um Kampfjets und Raketen.
Noch scheint die Bereitschaft für die Lieferung gering. Deutschland wirkt fast genervt von einer erneuten Waffenlieferungs-Debatte. Viele der EU-Mitglieder sind noch von der Kampfpanzer-Debatte erschöpft. Die Diskussion wühlte die EU auf und kostete viel Zeit. Zu viel Zeit, würde Selenskyj sagen.

Denn bis die Kampfpanzer kommen, hat die russische Frühjahrsoffensive schon begonnen. Die schönen Bilder, mit dem vielen Schulterklopfern für den ukrainischen Präsidenten können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die europäische Solidarität nicht grenzenlos ist. Und oft auch zu spät kommt.
Sehen Sie hier die ganze Rede Selenskyjs vor dem EU-Parlament:

09.02.2023

Selenskyj will Europa in die Pflicht nehmen

Das spürt Selenskyj. Deshalb ist er hier und will mit seinem historischen Auftritt Momente schaffen, die Europa verpflichtet, schneller und mehr Waffen zu liefern.
Dazu kommen die großen Worte. Die Ukraine sei Europa und sie kämpfe für die Freiheit des Kontinents, hat Selenskyj immer wieder in Brüssel erklärt. Dafür gab es langanhaltenden Beifall und Standing Ovations.

Ukraine: Hier können Sie spenden

Quelle: ZDF
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Wie arbeitet das Aktionsbündnis?

Das Aktionsbündnis Katastrophenhilfe hilft Menschen in der Ukraine und auf der Flucht. Gemeinsam sorgen die Organisationen Caritas international, Deutsches Rotes Kreuz, Diakonie Katastrophenhilfe und UNICEF Deutschland für Unterkünfte und Waschmöglichkeiten, für Nahrungsmittel, Kleidung, Medikamente und andere Dinge des täglichen Bedarfs. Auch psychosoziale Hilfe für Kinder und traumatisierte Erwachsene ist ein wichtiger Bestandteil des Hilfsangebots.

EU-Beitritt: Emotionen vor Realität

Aber auch da sind die Emotionen weiter als die Realität. Fragt man die Diplomaten in Brüssel, steht ein EU-Beitritt der Ukraine nicht unmittelbar bevor. Sondern es wird dauern. Viele Jahre, sagen die, die sich auskennen.
Selenskyj weiß auch das. Aber das letzte Jahr hat gezeigt, dass der ukrainische Präsident das Unmögliche schaffen kann. Zu Beginn des Kriegs glaubten viele Beobachter, die Russen hätten das Land in drei Tagen besetzt. Aber Selenskyj ist immer noch da und wird in Europa als Freiheitsheld gefeiert.

Selenskyj unbeirrt

Noch stimmt zwar die Realität aus Selenskyjs Sicht nicht mit dem hymnischen Versprechen der EU überein. Aber das Nein zu Kampfjets scheint nicht mehr so laut nach dem heutigen Tag. Und die Beitrittserwartung der Ukraine ist größer denn je.
ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf berichtet aus Kiew - sie sieht die Hoffnungen der Ukrainer getrübt:
Vielleicht gelten die politischen Regeln der Vergangenheit in Brüssel nicht mehr. Vielleicht ist das kennzeichnend für die Zeitenwende. Selenskyj wäre nicht der Kriegspräsident, wenn er nicht weiter an das Unmögliche glauben würde.
Und Europa hat ihm heute Bilder der Solidarität geliefert, die ihn und die Welt glauben machen sollen, dass eine neue Zeit anbricht. Die Macht der Bilder - Europa muss sich daran messen lassen. 
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