: Skochilenko - Symbol gegen Putins Russland

von Sebastian Ehm
16.07.2023 | 05:03 Uhr
Eine Künstlerin tauscht in einem russischen Supermarkt Preisschilder aus und ersetzt sie durch Informationen zum Ukraine-Krieg. Seit über einem Jahr sitzt sie ohne Urteil in Haft.
Alexandra Skochilenko: seit mehr als einem Jahr in Untersuchungshaft.Quelle: ZDF
Es ist ein warmer Tag in St. Petersburg, die Sonne scheint als Sofia Subbotina und Alexej Beloserow aus der U-Bahn-Station Wassileostrowskaja treten und die letzten Meter zum Gerichtssaal zu Fuß zurücklegen.
Die beiden heben sich sichtbar von den anderen Passanten ab. Alexejs Haare sind lila gefärbt und Sofia trägt gut sichtbar das Zeichen für Frieden als Anstecker auf ihrem Rucksack. Beide sind aufgeregt, weil die Verhandlung, zu der sie unterwegs sind, sie persönlich betrifft.
Sofia und Alexej, Freunde von Alexandra SkochilenkoQuelle: ZDF

Vorwurf: Fakes über die russische Armee

Vor Gericht steht ihre Freundin, die Künstlerin Alexandra Skochilenko. Sofia ist bedrückt:
Alexandra sitzt seit mehr als einem Jahr im Gefängnis.
Sofia Subbotina, Freundin von Alexandra Skochilenke
Im vergangenen April habe man sie wegen Fakes über die russische Armee festgenommen, so Sofia.
Es ist ein Fall, der international für Schlagzeilen gesorgt hatte. Alexandra Skochilenko ist in Russland vor allem bei jungen Menschen bekannt. Sie hat eine Graphic Novel über Depressionen verfasst.

Warten auf ein Gerichtsurteil: Die Aktivistin Alexandra Skochilenko.

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Das Werk hat autobiographische Züge und wurde auch ins Englische übersetzt. Sie schreibt Gedichte, organisiert Konzertabende und ist in der liberalen Künstlerszene gut vernetzt.

"Künstlerisches Statement": Ukraine-Informationen im Supermarkt

Als Russland in die Ukraine einmarschierte, wollte Alexandra ein Zeichen setzen. In einem Supermarkt tauschte sie Preisschilder aus. Sie platzierte darauf Meldungen aus der Ukraine. Über russische Verbrechen in Cherson und den Beschuss einer Kunstschule in Mariupol. Dafür wurde sie festgenommen.
Skochilenkos Kunstaktion: Ukraine-Meldungen statt Preisschildern. Quelle: ZDF
Ihr Schulfreund Alexej Beloserow ist schockiert. Für ihn ist Alexandra eine Künstlerin ohne politische Motive. Sie habe die Idee aus dem Internet und sie habe ihr gut gefallen:
Die Aktion erschien ihr als ein sehr gut durchdachtes künstlerisches Statement.

Im Visier des Kreml: LGBTQIA-Personen wie Alexandra

Im Neonlicht vor dem Gerichtssaal haben sich viele Unterstützerinnen und Unterstützer versammelt. Vor allem Sofia wirkt angespannt. Sie und Alexandra sind seit Jahren ein gleichgeschlechtliches Paar und symbolisieren das, was die Putin-Propaganda schon lange verteufelt.
Immer wieder betont der russische Präsident die angeblich moralische Verderbtheit des Westens und prangert die gleichen Rechte für LGBTQIA-Personen als unnatürlich an.
Als Alexandra Skochilenko unter strenger Aufsicht der Beamten in den Saal geführt wird, skandieren ihre Freunde: "Freiheit, Freiheit". Mindestens 20 sind gekommen.

Jeder kleinste Protest gegen den Krieg in der Ukraine wird unterdrückt. In Sankt Petersburg protestiert eine Gruppe kreativ gegen Putins Regime.

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Doch deren Hoffnung wird schnell enttäuscht. Genauso wie Alexandra in den Saal geführt wurde, wird sie auch wieder herausgebracht.

Der Fall Skochilenko - selbst fürs System Putin ungewöhnlich

Das Gericht fällt an diesem Tag kein Urteil. Es gibt weder einen Schuld- noch einen Freispruch. Doch das Gericht verlängert die Untersuchungshaft für Alexandra um weitere drei Monate.
Wenn es bis dahin keinen Freispruch gibt, säße Alexandra eineinhalb Jahre ohne Urteil im Gefängnis, weil sie fünf Preisschildchen in einem Supermarkt ausgetauscht hat. Das ist selbst für Russlands Willkürsystem ungewöhnlich.
Ihre Freundin Sofia macht sich große Sorgen. Alexandra gehe es nicht gut, sie brauche eine ordentliche medizinische Versorgung.
Alexandra drohen fünf bis zehn Jahre Gefängnis. Sie hat sehr schwere Gesundheitsprobleme.
Sofia Subbotina – Freundin von Alexandra Skochilenko
"Einen Herzschaden und Glutenunverträglichkeit. Wir befürchten, dass sie diese Zeit einfach nicht überleben kann", erklärt Sofia.

Drakonische Strafen für Abweichler von Kreml-Linie

Am 18. Juli soll der Prozess fortgesetzt werden. Ihre Unterstützer rechnen mit dem Schlimmsten. Dass bereits festgenommene Kritiker des Krieges freigesprochen werden oder Gnade erwarten können, ist in letzter Zeit fast nicht vorgekommen. Meinungen, die von der Kreml-Linie abweichen, werden nicht geduldet. Die Strafen können drakonisch ausfallen.
Die Freunde Alexandras wollen dennoch nicht aufgeben. Sofia, Alexej und alle anderen werden auch beim nächsten Verhandlungstag wieder lautstark die Freiheit für Alexandra fordern. Es ist das Einzige, was sie im Moment tun können.
Sebastian Ehm ist Korrespondent für Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
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