: Skochilenko - Symbol gegen Putins Russland
Es ist ein warmer Tag in St. Petersburg, die Sonne scheint als Sofia Subbotina und Alexej Beloserow aus der U-Bahn-Station Wassileostrowskaja treten und die letzten Meter zum Gerichtssaal zu Fuß zurücklegen.
Die beiden heben sich sichtbar von den anderen Passanten ab. Alexejs Haare sind lila gefärbt und Sofia trägt gut sichtbar das Zeichen für Frieden als Anstecker auf ihrem Rucksack. Beide sind aufgeregt, weil die Verhandlung, zu der sie unterwegs sind, sie persönlich betrifft.
Vorwurf: Fakes über die russische Armee
Vor Gericht steht ihre Freundin, die Künstlerin Alexandra Skochilenko. Sofia ist bedrückt:
Alexandra sitzt seit mehr als einem Jahr im Gefängnis.
Im vergangenen April habe man sie wegen Fakes über die russische Armee festgenommen, so Sofia.
Es ist ein Fall, der international für Schlagzeilen gesorgt hatte. Alexandra Skochilenko ist in Russland vor allem bei jungen Menschen bekannt. Sie hat eine Graphic Novel über Depressionen verfasst.

Warten auf ein Gerichtsurteil: Die Aktivistin Alexandra Skochilenko.
11.07.2023 | 02:02 minDas Werk hat autobiographische Züge und wurde auch ins Englische übersetzt. Sie schreibt Gedichte, organisiert Konzertabende und ist in der liberalen Künstlerszene gut vernetzt.
"Künstlerisches Statement": Ukraine-Informationen im Supermarkt
Als Russland in die Ukraine einmarschierte, wollte Alexandra ein Zeichen setzen. In einem Supermarkt tauschte sie Preisschilder aus. Sie platzierte darauf Meldungen aus der Ukraine. Über russische Verbrechen in Cherson und den Beschuss einer Kunstschule in Mariupol. Dafür wurde sie festgenommen.
Ihr Schulfreund Alexej Beloserow ist schockiert. Für ihn ist Alexandra eine Künstlerin ohne politische Motive. Sie habe die Idee aus dem Internet und sie habe ihr gut gefallen:
Die Aktion erschien ihr als ein sehr gut durchdachtes künstlerisches Statement.
Im Visier des Kreml: LGBTQIA-Personen wie Alexandra
Im Neonlicht vor dem Gerichtssaal haben sich viele Unterstützerinnen und Unterstützer versammelt. Vor allem Sofia wirkt angespannt. Sie und Alexandra sind seit Jahren ein gleichgeschlechtliches Paar und symbolisieren das, was die Putin-Propaganda schon lange verteufelt.
Immer wieder betont der russische Präsident die angeblich moralische Verderbtheit des Westens und prangert die gleichen Rechte für LGBTQIA-Personen als unnatürlich an.
Als Alexandra Skochilenko unter strenger Aufsicht der Beamten in den Saal geführt wird, skandieren ihre Freunde: "Freiheit, Freiheit". Mindestens 20 sind gekommen.
Jeder kleinste Protest gegen den Krieg in der Ukraine wird unterdrückt. In Sankt Petersburg protestiert eine Gruppe kreativ gegen Putins Regime.
25.07.2022 | 02:05 minDoch deren Hoffnung wird schnell enttäuscht. Genauso wie Alexandra in den Saal geführt wurde, wird sie auch wieder herausgebracht.
Der Fall Skochilenko - selbst fürs System Putin ungewöhnlich
Das Gericht fällt an diesem Tag kein Urteil. Es gibt weder einen Schuld- noch einen Freispruch. Doch das Gericht verlängert die Untersuchungshaft für Alexandra um weitere drei Monate.
Wenn es bis dahin keinen Freispruch gibt, säße Alexandra eineinhalb Jahre ohne Urteil im Gefängnis, weil sie fünf Preisschildchen in einem Supermarkt ausgetauscht hat. Das ist selbst für Russlands Willkürsystem ungewöhnlich.
Ihre Freundin Sofia macht sich große Sorgen. Alexandra gehe es nicht gut, sie brauche eine ordentliche medizinische Versorgung.
Alexandra drohen fünf bis zehn Jahre Gefängnis. Sie hat sehr schwere Gesundheitsprobleme.
"Einen Herzschaden und Glutenunverträglichkeit. Wir befürchten, dass sie diese Zeit einfach nicht überleben kann", erklärt Sofia.
Drakonische Strafen für Abweichler von Kreml-Linie
Am 18. Juli soll der Prozess fortgesetzt werden. Ihre Unterstützer rechnen mit dem Schlimmsten. Dass bereits festgenommene Kritiker des Krieges freigesprochen werden oder Gnade erwarten können, ist in letzter Zeit fast nicht vorgekommen. Meinungen, die von der Kreml-Linie abweichen, werden nicht geduldet. Die Strafen können drakonisch ausfallen.
Mit einem "No War"-Schild hatte sie im russischen Staatsfernsehen gegen den Ukraine-Krieg protestiert. Nun erscheint das Buch der ehemaligen Fernsehredakteurin Marina Owsjannikowa.
11.02.2023 | 02:36 minDie Freunde Alexandras wollen dennoch nicht aufgeben. Sofia, Alexej und alle anderen werden auch beim nächsten Verhandlungstag wieder lautstark die Freiheit für Alexandra fordern. Es ist das Einzige, was sie im Moment tun können.
Sebastian Ehm ist Korrespondent für Russland, den Kaukasus und Zentralasien.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog: