: Alkoholsucht: Wo Angehörige Hilfe finden

von Julia Tschakert
14.06.2024 | 06:22 Uhr
Alkoholsucht hat Folgen für das gesamte Umfeld. Auf jeden Alkoholkranken kommen geschätzt vier bis fünf Angehörige, die unter der Sucht leiden. Was man tun kann.

"Wem schadet dein Drink?" So lautet das Motto der bundesweiten Aktionswoche Alkohol 2024, denn Alkohol schadet nicht nur denen, die ihn trinken. Zwei Betroffene berichten.

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Alkoholsucht ist eine Krankheit, die den betroffenen Menschen nicht selten in seiner Persönlichkeit verändert, lange bevor sich auf körperlicher und medizinischer Ebene Auswirkungen zeigen. Als erstes bemerken das meist die direkten Angehörigen wie Eltern, Partner und Kinder, aber auch Freunde. Oft versuchen sie dann dem Betroffenen zu helfen und ihn zu decken, in der Hoffnung, dass alles wieder gut wird.
Dies kann soweit gehen, dass sich ihr ganzes Fühlen, Denken und Handeln nur noch um den alkoholabhängigen Menschen dreht - fast wie eine eigene Sucht, die "Co-Abhängigkeit". Das soll aber nicht heißen, dass sie durch ihr Verhalten Schuld an der Sucht des Angehörigen sind, vielmehr geht es hier um eine Mitbetroffenheit.

Co-Abhängigkeit und ihre Symptome

Co-Abhängige sind Verbündete des Abhängigen, ohne dass ihnen das bewusst ist. Zu den Anzeichen für Co-Abhängigkeit gehören:

  • Verantwortung für den Abhängigen übernehmen
  • ihm Aufgaben abnehmen
  • sein Verhalten entschuldigen oder decken
  • selbst Schuldgefühle entwickeln, weil der Angehörige trinkt
  • die eigenen Gefühle unterdrücken, diese vor sich selbst nicht wahrhaben wollen und sie vor dem Abhängigen und anderen nicht zeigen oder zugeben
  • den eigenen Lebensstil an die Suchtgewohnheiten des Partners anpassen
  • die Tatsachen über die Suchtentwicklung und die Konsequenzen daraus verleugnen oder verniedlichen
  • versuchen, den Alkoholkonsum zu kontrollieren
  • den Eindruck gewinnen, selbst seelisch oder körperlich krank zu werden

Selbst wenn man sich nur in einem oder zwei Punkten wiederfindet, sollten man sich Unterstützung oder Beratung suchen.

(Quelle: Blaues Kreuz)

Warum viele Angehörige erst spät Hilfe suchen

Für Außenstehende mag es einleuchten, dass es das Gegenteil bewirken kann, wenn man die Verantwortung für den abhängigen Menschen übernimmt, ihm alles abnimmt und damit in gewisser Weise dessen Sucht unterstützt. Wer aber in dieser Situation verhaftet ist, weil er dem suchtkranken Menschen emotional nahesteht oder ihn liebt, dem fällt es oft schwer, anders zu handeln oder gar Konsequenzen zu ziehen.
Manche brauchen Jahre, bis sie sich Hilfe suchen. Wenn sie es dann tun, dreht sich die Frage eher darum, wie sie dem alkoholabhängigen Menschen helfen können. Die meisten fragen nicht, was sie für sich selbst tun können, weiß Cathrin Fehl, Leiterin der Fachambulanz für Suchtkranke von der Caritas Wiesbaden.
Die Angehörigen vergessen oft, dass sie selbst Bedürfnisse haben und dass sie selbst möglicherweise eine Unterstützung brauchen.
Cathrin Fehl, Suchttherapeutin, Caritas Wiesbaden
Der Fokus läge permanent auf dem oder der Betroffenen, so die Expertin weiter.

Wann und wie man als Angehöriger handeln sollte

Handeln beziehungsweise für sich aktiv werden sollten Angehörige spätestens dann, wenn ein "normales" Familienleben nicht mehr möglich ist. Für Angehörige gibt es verschiedene Hilfsangebote:

  • In Suchtberatungsstellen finden Angehörige fachlich qualifizierte Unterstützung mit therapeutischem Hintergrund. Die Beratung ist kostenlos und auf Wunsch anonym. Das Angebot reicht von Einzelgesprächen bis hin zu Gruppensitzungen.
  • In Suchtselbsthilfegruppen speziell für Angehörige und andere Mitbetroffene können sich Hilfesuchende mit anderen austauschen.
  • Auch psychotherapeutische Unterstützung ist eine Möglichkeit.

Nicht selten haben Angehörige mit körperlichen und seelischen Folgen zu kämpfen, sagt Gabriele Hub von der Angehörigengruppe des Kreuzbundes.
Es ist ja bekannt, dass viele Angehörige und Mitbetroffene psychosomatisch erkrankt sind.
Gabriele Hub, Kreuzbund Suchtselbsthilfe-Verband
So habe eine Studie unter anderem ergeben, dass es in der Gruppe der Angehörigen doppelt so viele Menschen mit Depressionen gebe wie in der durchschnittlichen Allgemeinbevölkerung, sagt Gabriele Hub.

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Wichtig für Angehörige: Sich selbst nicht vergessen!

Der überraschendste Rat für die meisten Angehörigen ist, dass sie etwas für sich selbst tun müssen und sich von dem suchterkrankten Menschen abgrenzen sollten. Das heißt auch, dass sie sich von dem Gedanken frei machen, Schuld zu sein an der Sucht des alkoholabhängigen Menschen. Für die Mitbetroffenen ist es wichtig zu erkennen, dass sie keine Verantwortung für dessen Leben, sondern vielmehr wieder für das eigene Leben übernehmen müssen. Oft haben sie das jahrelang hintenangestellt.
Das heißt nicht, dass der Abhängigkeitserkrankte fallen gelassen werden soll. Aber: Man muss deutlich kommunizieren, dass man sich Hilfe gesucht hat und dass es so nicht weiter gehen kann. Nicht selten wird dem Betroffenen dadurch erst bewusst, wie krank er ist. Erst mit dieser Krankheitseinsicht kann es ihm gelingen, die Sucht zu überwinden.
Die Angehörigen können die Betroffenen nur unterstützen, wenn diese bereit sind, sich helfen zu lassen.
Gabriel Hub, Kreuzbund Suchtselbsthilfe-Verband

Kinder sind von Alkoholabhängigkeit der Eltern besonders betroffen

Häufig wird die Suchterkrankung eines Elternteils aus Scham oder Angst vor Stigmatisierung tabuisiert. Nicht selten glauben Kinder, sie seien schuld an der Situation. Sie fühlen sich ausgeliefert, hilflos und haben oft niemanden, mit dem sie über ihre Sorgen und Ängste sprechen können.
Hinzu kommt, dass manche Kinder plötzlich Verantwortung übernehmen müssen, zum Beispiel für die jüngeren Geschwister und den Haushalt, und sich dabei vollkommen überfordert fühlen. Die meisten Kinder von Suchtkranken tragen diese Erfahrungen ein Leben lang mit sich. Sie haben oft nicht nur Probleme mit dem Selbstwertgefühl, sondern sind auch selbst stark suchtgefährdet.
Julia Tschakert ist Redakteurin der ZDF-Sendung "Volle Kanne - Service täglich".

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