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: Warum Gewerkschaften jetzt mehr Zulauf haben

von Kathrin Wolff
31.01.2024 | 15:16 Uhr
Nach jahrzehntelangem Rückgang verbucht der DGB 2023 erstmal wieder ein Mitglieder-Plus. Auch mehr Jüngere treten in Gewerkschaften ein. Woran liegt das?

Die Gewerkschaft Verdi verbucht 2023 den größten Mitgliederzuwachs aller DGB-Gewerkschaften. Jetzt ruft sie zu Streiks bei Flugsicherheitspersonal und im ÖPNV auf - mehr im Video.

30.01.2024 | 01:30 min
Am Montag beendeten die Lokführer ihren Streik, am Dienstag legten die Ärzte an Unikliniken die Arbeit nieder. Am Donnerstag streikt das Sicherheitspersonal an Flughäfen, am Freitag Bus-, Straßenbahn- und U-Bahn-Fahrer in fast allen Bundesländern. Und mitten in dieser Arbeitskampf-Woche präsentiert der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Zahlen, die zeigen, dass sein Mitgliederrückgang gestoppt wurde.
Insgesamt traten im vergangenen Jahr 437.000 Menschen neu in eine der acht DGB-Gewerkschaften ein. Zieht man die Austritte ab, bleibt ein Plus von 21.885 Mitgliedern.
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Lange ging die Kurve der DGB-Mitgliederzahlen nur in eine Richtung: nach unten. Das hat verschiedene Gründe. Seit den 70er Jahren haben die sozialen Milieus stark an Bedeutung verloren, die Arbeitswelt hat sich verändert, zugespitzt formuliert: vom produzierenden Großbetrieb zum mobilen Schreibtisch. Es gibt viel weniger Flächentarifverträge als früher. Zudem gehen viele Gewerkschaftsmitglieder in Rente. Und zuletzt machten es Corona und Homeoffice den Arbeitnehmerorganisationen schwer, neue Leute zu gewinnen.

Verdi legt am stärksten zu

Diesen Trend konnten zumindest einige Gewerkschaften jetzt stoppen. DGB-Chefin Yasmin Fahimi spricht von einem "deutlichen Plus trotz der schwierigen demografischen Entwicklung" in einigen traditionsreichen Branchen. So hat die IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) 2023 knapp vier Prozent Mitglieder verloren. Doch vier DGB-Gewerkschaften legten zu - am deutlichsten die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi.
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Woran liegt das? Verdi verzeichnete schon Anfang 2023 einen deutlichen Mitgliederzuwachs - auch damals gab es einen großen Verkehrsstreik, zudem legte Kita-Personal die Arbeit nieder. Verdi-Chef Frank Werneke sagte im ZDFheute-Interview, einen Mitgliederzuwachs "in der Größenordnung hat es das seit Menschengedenken nicht mehr gegeben".
Insgesamt hat Verdi im vergangenen Jahr nach eigenen Angaben gut 193.000 neue Mitglieder gewonnen und knapp 153.000 verloren. Damit ist es "das bislang erfolgreichste Jahr" seit der Gründung 2001. Besonders groß sei der Zuwachs bei jungen Mitgliedern gewesen - 50.500 Menschen unter 28 traten bei.

Was macht die Gewerkschaften zurzeit attraktiv?

Grundsätzlich helfen Arbeitskämpfe den Gewerkschaften, Mitglieder zu gewinnen. Dazu kommt, dass viele Beschäftigten angesichts von Inflation und Fachkräftemangel bereit sind, für bessere Bezahlung und Arbeitsbedingungen zu kämpfen. Thorsten Schulten, Leiter des Tarifarchivs der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, spricht von einem "neuen Selbstbewusstsein" der Arbeitnehmer.
Doch haben die Gewerkschaften bei den Mitgliederzahlen die Trendwende geschafft? Verdi-Chef Wernecke warnt, dass die eigentliche Bewährungsprobe noch bevorstehe, wenn die Babyboomer-Jahrgänge - also die Mitte der 1950er bis Ende der 1960er Jahre Geborenen - massenweise in Rente gehen.
Auch Hagen Lesch vom arbeitgebernahen Institut der Wirtschaft (IW Köln) sieht noch keinen langfristigen Trend. Er verweist darauf, dass die Gewerkschaften zuletzt mit aggressiven und erfolgreichen Arbeitskämpfen Mitglieder gewonnen hätten. Insgesamt seien aber nur 17 Prozent der Arbeitnehmer in einer Gewerkschaft.
Mit Material von dpa

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