Kolumne

: Warum wir Kernenergie wirklich nicht brauchen

von Volker Quaschning
17.03.2024 | 08:01 Uhr
Die immer wieder aufbrandende Diskussion um die Kernkraft ist nur ein Ablenkungsmanöver. Die Realität der Energieerzeugung schafft Fakten zugunsten regenerativer Energien.
Quelle: Jakob Schäuffelen
Am 15. April 2023 wurden die letzten Kernkraftwerke in Deutschland abgeschaltet. Zuvor wurden Horrorszenarien verbreitet: Explosion der Strompreise, Zusammenbruch der Stromversorgung und Anstieg der Braunkohleverstromung samt Treibhausgasemissionen in unbekannten Höhen. Stattdessen sanken die Strompreise spürbar, niemand musste im Dunkeln sitzen, die Braunkohleverstromung fiel im Jahr 2023 sogar auf den niedrigsten Wert seit 1965 und die Treibhausgasemissionen gingen um rekordverdächtige zehn Prozent zurück.

Terra-X-Kolumne auf ZDFheute

In der Terra-X-Kolumne auf ZDFheute beschäftigen sich ZDF-Wissenschaftsjournalistinnen und -journalisten wie Harald Lesch, Mirko Drotschmann und Jasmina Neudecker sowie Gastexpert*innen jeden Sonntag mit großen Fragen der Wissenschaft - und welche Antworten die Forschung auf die Herausforderungen unserer Zeit bietet.
All das kam aus wissenschaftlicher Sicht nicht überraschend. Die Kernenergie deckte im Vorausstiegsjahr 2022 gerade mal noch sechs Prozent der Nettostromerzeugung. Und da wir neben Strom auch noch Energie für Wärme, Verkehr und die Industrie benötigen, lag der Anteil der Kernenergie an der Gesamtenergieversorgung nicht mal bei zwei Prozent. Sogar Brennholz hat einen erheblich größeren Anteil an der Energieerzeugung. Die Kernenergie war schlicht und einfach unbedeutend für die deutsche Energieversorgung.
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Kernkraft nicht als Lückenfüller geeignet

Schon heute decken erneuerbare Energien zeitweise 100 Prozent unserer Stromversorgung. Um wenigstens ansatzweise unsere Klimaschutzziele einzuhalten und die Abhängigkeit von Energieimporten zu reduzieren, wurde der Solar- und Windenergieausbau nun deutlich angekurbelt. Schon in etwa zwei Jahren werden 100 Prozent erneuerbarer Strom im Sommer tagsüber die Regel sein.
Kernkraftwerke lassen sich zwar drosseln, die Betriebsart "abends an und morgens aus" können sie aber nicht. Ihr Weiterbetrieb würde dann wahlweise zum betriebswirtschaftlichen Harakiri oder zum ausufernden Subventionsgrab. Kein Wunder, dass selbst die Kernkraftwerksbetreiber wenig Interesse an weiteren Laufzeitverlängerungen zeigten.

Volker Quaschning ist Professor für Regenerative Energiesysteme. Wie er mit Forschung und wissenschaftlicher Aufklärung den Klimawandel verhindern will, erklärt er im Science Date.

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Anteil der Kernenergie im internationalen Strommix sinkt

Statt die wenig hilfreiche Diskussion endgültig zu beenden, geht sie mit dem Verweis auf eine angebliche Isolation Deutschlands, boomende internationale Kernenergieentwicklungen und Klimaschutzerfordernisse weiter.
Dabei sinkt auch international die Bedeutung der Kernenergie rapide. Seit dem Jahr 2000 ist der weltweite Stromverbrauch um fast 90 Prozent gestiegen. Im Jahr 2000 deckte die Kernenergie immerhin noch 17 Prozent des weltweiten Strombedarfs. Im Jahr 2022 waren es nur noch magere neun Prozent. Tendenz weiter fallend.

Viele laufende Reaktoren sind altersschwach

Und weil Strom nur einen Bruchteil des Energiebedarfs ausmacht, deckt die Kernenergie auch weltweit nur rund zwei Prozent der Gesamtenergieversorgung. Gerade mal 32 Länder betreiben Kernkraftwerke, 163 Länder nicht.
Gut 50 Reaktoren sind derzeit weltweit im Bau. Über 200 Reaktoren wurden allerdings bislang stillgelegt. Viele der gut 400 jetzt noch laufenden Reaktoren sind altersschwach und werden in absehbarer Zeit vom Netz gehen. Die weltweite Stromerzeugung aus Kernkraftwerken wird darum auch in den nächsten Jahren kaum steigen.

Immense Kosten stehen dem Ausbau der Kernkraft im Wege

Kürzlich haben 22 Staaten angekündigt, bis 2050 ihre Atomenergiekapazitäten zu verdreifachen. Gleichzeitig wird der Energiebedarf um den Faktor zwei bis drei ansteigen. Selbst wenn die Ankündigung Realität würde, was angesichts der explodierenden Kosten für neue Kernkraftwerke völlig unrealistisch ist, bliebe der geringe Anteil der Kernenergie gerade mal konstant.
Die Kernenergie ist überall also nur ein Scheinriese, während preiswerte Photovoltaik- und Windkraftanlagen wirklich durchstarten. 2023 wurden weltweit gut 400 Gigawatt an Photovoltaik aufgebaut, was der Leistung von 400 Kernkraftwerken entspricht. Bei der Kernenergie ging hingegen die weltweite Leistung sogar um ein Gigawatt zurück, weil mehr Kraftwerkleistung stillgelegt als zugebaut wurde.

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Mit Diskussionen von Fakten ablenken und Zeit schinden

Bleibt die Frage, warum einige immer noch permanent über die Kernenergie diskutieren, obwohl sie so unbedeutend ist. Ganz einfach: Man kann mit dieser Diskussion wunderbar von politischen Fehlentscheidungen und fehlenden Zukunftskonzepten ablenken und außerdem auch noch unangenehme Entscheidungen zum Klimaschutz und der Energiewende auf die lange Bank schieben. Darum sollten wir in Deutschland endlich Diskussionen führen, die uns wirklich weiterbringen.

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Volker Quaschning ...

... ist Professor für Regenerative Energiesysteme an der Hochschule für Technik und Wirtschaft HTW Berlin ist mehrfacher Buchautor, Betreiber eines Podcasts und Mitbegründer von Scientists für Future.

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