Interview

: "Uns fliegt das Klimasystem um die Ohren"

19.03.2024 | 22:15 Uhr
Wärmerekorde, Dürre, Überschwemmungen - der globale Klimawandel ist da. Im ZDF-Interview erklärt Klima-Experte Levermann, was aus seiner Sicht jetzt zu tun ist.

Um die Temperatur des Planeten zu stabilisieren, müsse man „keine Verzichtsdebatte, sondern tatsächlich eine Strukturwandel-Debatte“ führen, so Klimaforscher Anders Levermann.

19.03.2024 | 05:26 min
Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) hat angesichts der Fülle der im vergangenen Jahr gebrochenen Wärmerekorde einen "Roten Alarm" ausgerufen. WMO-Generalsekretärin Celeste Saulo verwies insbesondere auf die Folgen des Klimawandels bei den Ozeanen. Anders Levermann ist Professor für die Dynamik des Klimasystems. Im Interview mit dem ZDFheute journal ordnet er die neuen Zahlen ein und erklärt, was aus seiner Sicht nötig ist.
[Sehen Sie das ganze Interview oben im Video oder lesen Sie hier die Antworten von Andres Levermann]
ZDF: Welche Wirkung haben so dramatische Zahlen wie heute?
Anders Levermann: "Ich mache das seit 21 Jahren, wir haben ein Auf und Ab in der öffentlichen Aufmerksamkeit gesehen. Fakt ist, dass Klimawandel falsch diskutiert wird. Es geht nicht darum, der Wirtschaft zu schaden. Es geht nicht um Verzicht. Es geht darum, den Strukturwandel einzuleiten.
Wir müssen die Wirtschaft umdrehen von fossilen Brennstoffen auf Erneuerbare.
Anders Levermann
Wir haben 1,5 Grad ungefähr erreicht an globaler Erwärmung. Wir haben genug Öl, Gas und Kohle gefunden im Boden, um den Planeten um 15 Grad zu erwärmen. Das sind Größenordnungen, die wir niemals erreichen dürfen. Wenn wir die Temperatur des Planeten überhaupt stabilisieren wollen, müssen wir den Strukturwandel hinkriegen. Das ist keine Verzichts-Debatte, sondern eine Strukturwandel-Debatte."

Die Weltorganisation für Meteorologie (WMO) warnt: 2023 war das heißeste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn. Die Bedrohung durch den Klimawandel sei ein „Anlass zu besonderer Sorge“.

19.03.2024 | 01:22 min
ZDF: Was wäre denn Ihre Lösung, um aus dem Klein-Klein herauszukommen?
Levermann: "Es geht nicht ums Klein-Klein. Es geht auch nicht um die komplizierten täglichen Kleinigkeiten, die man machen kann oder auch nicht machen kann. Das eine, wo wir uns einig sein müssen als Bundesrepublik Deutschland aber auch als Europäische Union, ist, dass wir diesen Strukturwandel durchführen.
Das heißt, kein Kämpfen gegen Erneuerbare Energien mehr, kein Bremsen mehr."
Ein Politiker, der der Wirtschaft sagt, wir müssen nicht so viel machen – das ist das gleiche wie ein Vater, der seinen Kindern sagt, wir müssen nicht lernen.
Anders Levermann

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ZDF: Die Wirtschaft merkt, dass sich mit fossilen Energien Milliarden verdienen lassen. Aktuell mehr denn je: Shell will seine Klimaziele erstmal senken und strecken. Können Sie verstehen, dass die Aktionäre erstmal Rendite sehen wollen statt Klimaschutz?
Levermann: "Das ist kein Geheimnis, das ist keine Neuigkeit. Selbstverständlich gibt es Bereiche, wo Leute Geld verdienen wollen. Es ist eben China, die jetzt voranpreschen und die Erneuerbaren Energien stark voranziehen. China hat im letzten Jahr mehr Photovoltaik implementiert als die ganze Welt in 2022 zusammen. Da ist sehr viel Zug drinnen.
Die Frage ist, wollen wir wie bei den Elektroautos hinten dran sein, wollen wir wie bei den Erneuerbaren Energien, die wir mal geführt haben, jetzt wieder hinten dran sein? Wir kombinieren in Deutschland Wirtschaft mit Politik, das heißt: wir machen rationale Entscheidungen und lassen nicht nur alles wuchern."

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ZDF: Kann man der Industrie denn sagen: Freunde, ihr sollt weniger produzieren in Zukunft?
Levermann: "Weniger ist nie die Lösung. Wir müssen auf 0 Emissionen, das heißt: kein Öl, kein Gas, keine Kohle mehr. Und wann immer ich das Industrievertretern sage, dann merken die nach 30 Sekunden betreutem Denken, dass 0 viel besser ist als weniger. Denn 0 bedeutet, wir müssen die Sachen anders machen, wir müssen andere Energie verwenden.
Und so was funktioniert auch. Das ist tatsächlich dann keine Begrenzung, nämlich kein CO2 mehr, worauf wir uns übrigens geeinigt haben in Europa, in der Welt, ist dann ein Innovationstreiber."

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ZDF: Aber das müssen Sie noch einmal erklären: 0 ist besser als langsam herunterfahren?
Levermann: "Nein, wir haben einen Emissionshandel in Europa, der tatsächlich die Grenze 0, auf die wir zusteuern, die wir auch tatsächlich schon beschlossen haben, die uns näher bringt – und man schon jetzt Geld damit verdienen kann, wenn man schneller auf 0 geht als langsamer. Das heißt aber nicht, dass Sie weniger wirtschaftlich machen müssen. Die Grenze-0-Emission bedeutet Innovation, bedeutet neue Arten zu produzieren, bedeutet neue Arten zu wirtschaften."
ZDF: Wenn Sie in die Zukunft blicken, so ganz generell: Sind Sie an dem Tag heute eher pessimistisch oder optimistisch?
Levermann: "Ich muss ganz ehrlich sagen, uns fliegt das Klimasystem gerade um die Ohren. Das merken wir in Deutschland mit einer Ahrtal-Überschwemmung, mit Elbe-Fluten und ähnlichem. Aber das merken wir natürlich global noch stärker.
Die Ozeane sind derart erhitzt im letzten Jahr, dass es wirklich Sorgen macht.
Anders Levermann
Aber natürlich haben wir gleich nach dem Klima-Problem auch das nächste Nachhaltigkeits-Problem, und ich denke, dass wir mit dem Emissionshandel und ähnlichen Konzepten, tatsächlich die Sache in den Griff kriegen können – aber wir müssen es alle zusammen wollen."
Quelle: ZDF, reuters

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