: Was das Leben auf der Erde begrenzt

von Elisa Miebach
13.09.2023 | 22:05 Uhr
Globale Erwärmung, Artensterben, Plastik: Forscher haben berechnet, wie stark die Belastungsgrenzen des Planeten überschritten werden. Die Studie macht Druck - und gibt Hoffnung.
Der Mensch bringt die Erde an ihre Grenzen. Wo sind sie bereits überschritten? Eine Studie klärt auf.Quelle: dpa
Im Jahr 1988 lag das Lied "One Moment in Time" von Whitney Houston zwei Wochen in den westdeutschen Charts auf Platz 1. Im gleichen Jahr lag die CO2-Konzentration noch bei 350 Parts per Million, die tropischen Regenwälder waren noch zu 85 Prozent intakt und wäre alles so geblieben, hätte sich die Erde nur um 0,6 Grad erwärmt.
Mittlerweile haben mehrere Systeme der Erde, die die Lebensgrundlagen des Menschen ausmachen, ihre Belastbarkeitsgrenze überschritten. Dabei geht es nicht ausschließlich um das Weltklima und die Entwaldung. Artensterben, Wasserknappheit, zu hohe Nitratwerte im Grundwasser - die Symptome der Grenzüberschreitungen sind bekannt.
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Lebensgrundlagen der Menschheit

Forscher um den Professor für Erdsystemwissenschaften Johan Rockström, Direktor des Potsdam Instituts für Klimafolgenforschung, hatten schon 2009 ein Modell der sogenannten "Planetaren Grenzen" entwickelt.
Es sollte Bestand aufnehmen, wie es um die Systeme steht, die die Lebensgrundlagen der Menschheit bilden. Mehrere Male überarbeitet sollen nun alle Bereiche so vollständig und aktuell wie nur möglich berechnet worden sein. Sechs von neun der planetaren Grenzen sind überschritten.
Was diesen Planeten besonders macht, ist, dass er Leben hat.
Johan Rockström, Forscher
Die Werte von heute werden mit dem Durchschnitt der Werte der vergangenen rund zehntausend Jahre verglichen. In diesen entwickelte die Menschheit Landwirtschaft und ihre Zivilisationen. Kurz gesagt, in diesen Jahren begünstigten die Bedingungen auf der Erde menschliches Leben. Nun verändern die Auswirkungen des menschlichen Lebens diese Bedingungen.

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Auch die UN sind informiert

Die Ergebnisse der Studie werden längst nicht mehr nur in der Wissenschaftscommunity gelesen. Das Modell der Planetaren Grenzen wird in Klassenzimmern und auf politischen Veranstaltungen besprochen. Die Forschenden stellten ihre neue Studie unter anderem auch dem Direktor des UN-Entwicklungsprogrammes und der Direktorin des UN-Umweltprogrammes vor.
Sie betonen, dass sich die genannten Systeme gegenseitig verstärken und beeinflussen und dass der Klimawandel nicht etwa isoliert vom Artensterben oder der Versauerung der Meere betrachtet werden kann.

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Acht der neun Bereiche haben sich verschlechtert - ein Bereich hat sich jedoch auch verbessert:
In diesen Bereichen wurden die Grenzen bereits überschritten, liegen also in der Zone des steigenden Risikos oder bereits hohen Risikos.

Klimawandel

Die größten Treiber der menschengemachten Klimawandels sind die Treibhausgasemissionen und die Veränderung des Albedo-Wertes der Oberfläche. Damit ist gemeint, dass zum Beispiel weißes Eis die Strahlen und Wärme der Sonne reflektiert. Schmilzt es durch die Erderwärmung nimmt das dunklere Meerwasser, die Wärme zusätzlich auf, was wiederum zum Schmelzen von mehr Eis führt. Die aktuellen Klimaveränderungen sind laut der Studie in der Zone des zunehmenden Risikos und reichen bereits teilweise in die Hochrisikozone hinein.

Biosphäre

Mit der Biosphäre ist die Vielfalt des Lebens auf der Erde und seine Funktion für den Planeten gemeint. Das aktuelle Artensterben ist schätzungsweise zehn bis hundertmal stärker als der Durchschnitt der letzten zehn Millionen Jahre und nimmt zu.

Eine Millionen von insgesamt weltweit acht Millionen Arten sind vom Aussterben bedroht, zehn Prozent der genetischen Vielfalt von Pflanzen und Tieren wurde allein in den vergangenen 150 Jahren verloren. Das bedroht auch die Lebensgrundlagen des Menschen. Damit liegt dieser Bereich in der Hochrisiko-Zone. Die Veränderungen der genetischen Vielfalt sind laut Modell die größten aller neun Bereiche im Vergleich zum Zustand der vergangenen zehntausend Jahre.

Entwaldung

Auch die Wälder weltweit verringern sich stark durch menschlichen Einfluss, vor allem durch Abholzung und Brände. Wälder wie der Amazonas sind dabei, Grenzen zu überschreiten, und von einer CO2-Senke zu einer Quelle von CO2 durch die sterbenden Bäume und Brände zu werden. Dieser Bereich liegt in der Zone des steigenden Risikos.

Einbringen neuartiger Stoffe

Dies beschreibt neue synthetische Chemikalien und Substanzen, die durch den Menschen geschaffen wurden, darunter etwa Mikroplastik oder Atommüll. Von den Chemikalien, die von der EU-Behörde REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals) registriert sind, seien 80 Prozent für mindestens zehn Jahre ohne Sicherheits-Tests im Umlauf gewesen. Auch daher schätzen die Forschenden diesen Bereich als Hoch-Risiko Zone ein.

Süßwassersysteme

Es geht um Veränderungen des sogenannten "blauen" Süßwassers, etwa in Flüssen oder Seen, und des "grünen" Wasser, etwa im Wasser, das in Pflanzen gespeichert ist. Veränderungen betreffen unter anderem die Feuchtigkeit des Bodens oder den Wasserkreislauf. 18 Prozent des blauen Wassers und 16 Prozent des grünen auf der Landfläche weltweit weisen Veränderungen auf. Damit liegt dieser Bereich in der Zone mit zunehmendem Risiko.

Biogeochemische Kreisläufe

Hier sind vor allem zwei Elemente wichtig: Phosphor und Stickstoff. Diese sind etwa in Pflanzen enthalten, die von Tieren gegessen werden, bevor diese die Stoffe in ihrem Kot ausscheiden, der dann wieder als Dünger für Pflanzen dienen kann. Moderne Landwirtschaft und Industrie haben die Kreisläufe dieser Elemente stark verändert und etwa Phosphor aus dem Bergbau in Form von künstlichem Dünger hinzugefügt. Überdüngung führt zu hohen Werten der Stoffe im Grundwasser sowie in den Meeren, was sich dort wiederum auf die Ökosysteme auswirkt. Dieser Bereich ist in der Zone mit steigendem Risiko.
In diesen Bereichen wurden die planetaren Grenzen nicht überschritten. Die Veränderungen liegen also noch im sicheren Bereich

Ozeanversauerung

Die Ozeane nehmen einen Teil des ausgestoßenen CO2s auf. Dies führt unter anderem zur Versauerung der Meere. Noch liegt der Wert innerhalb eines sicheren Rahmens, doch der Trend verschlimmert sich mit den weiterhin hohen CO2-Emissionen.

Aerosolbelastung

Aerosole sind kleine Partikel, die wie Wüstenstaub oder Ruß von Waldbränden auch natürlichen Ursprung haben können. Die Menge dieser Partikel in der Luft kann die Luftqualität und Niederschläge beeinflussen. Unterschiede in der Menge auf der Nordhalbkugel im Vergleich zur Südhalbkugel können sogar Monsun-Systeme verändern. Bisher ist die Aerosolbelastung laut Modell noch im sicheren Bereich, doch die Forscher weisen darauf hin, dass ein noch besseres Verständnis der Einflüsse von Aerosolen notwendig ist.

Ozonabbau in der Stratosphäre

Der Hoffnungsschimmer im Modell: Der Abbau von Ozon in der Stratosphäre hat sich nach dem Montreal-Abkommen von 1987 verringert. Das Ozonloch war durch die Verwendung neuer chemischer Stoffe entstanden, wie etwa Fluorchlorkohlenwasserstoffe in Kältemitteln. Das Abkommen legte den Ausstieg daraus fest. Damit ist dieses System wieder im sicheren Bereich, nur über manchen Breitengraden der Südhalbkugel tritt das Ozonloch noch auf.

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Hoffnungsträger Ozonloch

Schon einmal habe es die Menschheit geschafft, erfolgreich das Überschreiten einer planetaren Grenze zu verhindern. Die Ozonschicht wurde durch chemische Stoffe, die etwa in Kältemitteln enthalten waren, bedroht. 197 Länder einigten sich am 16. September 1987 in Montreal, die Verwendung dieser Stoffe zu beenden. So verringerte sich der Ozonabbau.
Studienautorin Katherine Richardson sieht in der Umsetzung dieses Abkommens eine Hoffnung auch für die Bemühungen zum Klimaschutz. Sie warnt jedoch davor, vorrangig auf Technologien zu setzen, die CO2 wieder aus der Atmosphäre ziehen, sondern fordert stattdessen die Verminderung der Emissionen.
Wir wetten auf Technologien, die wir nicht haben, anstatt die Technologien zu benutzen, die wir tatsächlich bereits haben, um die Probleme anzugehen.
Katherine Richardson, Studienautorin
Im Jahre 2023, in dem sich der Taylor Swift Song "Anti-Hero" wochenlang in den deutschen Charts hält, liegt die CO2-Konzentration bei 420 Parts per Million. Um das weltweite Klimaziel einer Erwärmung von maximal 1,5 Grad noch in Reichweite zu halten, darf diese Konzentration Berechnungen zufolge nicht auf mehr als 450ppm steigen.
Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels wurde die aktuelle CO2-Konzentration in der Atmosphäre mit 450 ppm angegeben. Experten erwarteten Werte in dieser Höhe jedoch erst 2035, sofern die weltweiten Emissionen nicht rasch reduziert werden.
Quelle: ZDF

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