Interview

: Nach Nahost-Gipfel: "Mehrheit will Frieden"

22.10.2023 | 15:26 Uhr
Trotz verfehlter Einigung könnten der Austausch und die Gespräche am Rande des Kairoer Friedensgipfels etwas in Gang setzen, meint der Direktor des Carnegie Middle East Programs.
Eine Zweistaatenlösung sei "der einzige Ausweg aus der Misere", sagt Amr Hamzawy nach dem Nahost-Krisengipfel in Kairo. Quelle: reuters
Beim Gipfeltreffen in Kairo haben sich am Samstag Spitzenpolitiker für ein schnelles Ende der Eskalation im Nahost-Konflikt stark gemacht. An dem Gipfel nahmen mehrere Staats- und Regierungschefs der Nahostregion sowie Vertreter der UN und westlicher Staaten teil. Für Deutschland nahm Bundesaußenministerin Annalena Baerbock teil.
Bei dem Treffen auf Einladung Ägyptens gab es scharfe Kritik an Israels Angriffen im Gazastreifen wie auch am Terror der dort herrschenden islamistischen Hamas. Im ZDFheute-Interview erklärt Politikwissenschaftler Amr Hamzawy, was der Gipfel gebracht hat.
ZDFheute: Der Gipfel in Kairo ist am Samstag ohne eine Einigung auf eine gemeinsame Abschlusserklärung zu Ende gegangen. Konnte dieses Zusammentreffen überhaupt etwas anstoßen?
Amr Hamzawy: Das Mindestergebnis wäre, dass weiterhin humanitäre Hilfe in den Gazastreifen fließen kann. Dass nicht nur, wie am Samstag, 20 Lkw passieren und sonst nichts. Mittelfristig müsste jetzt dieses Momentum genutzt werden für gemeinsame diplomatische Bemühungen.
Die zentralen Akteure des Nahen Ostens, sowie Israelis und Palästinenser, müssten nun zusammen an einer Zweistaatenlösung arbeiten. Das ist der einzige Ausweg aus der Misere.
Amr Hamzawy
Das langfristige Ergebnis dieses Gipfeltreffens wäre in der Tat, die 1993 unterzeichneten Friedensverträge von Oslo zu erneuern und Palästinenser und Israelis zu einer friedlichen Beilegung des Konflikts zu bewegen.
Es ist wichtig, dass die Biden-Administration ihre Selbstverpflichtung zum Friedensprozess und zu der Zweistaatenlösung jetzt nicht nur in Reden, sondern in politischen Handlungen umsetzt. Das kann nicht warten.
Und was den Iran angeht:
Die Mehrheit in der Region will Frieden - und keinen Krieg.
Amr Hamzawy
Friedensverhandlungen wären sicherlich nur unter Ausschluss des Iran zu erreichen.

Amr Hamzawy...

Quelle: Ralph Alswang
... ist Ägyptischer Politikwissenschaftler und Direktor des Nahostprogramms Carnegie Endowment for International Peace. Seine Forschungen und Schriften konzentrieren sich auf die Regierungsführung im Nahen Osten und in Nordafrika, soziale Gefährdung und die unterschiedlichen Rollen von Regierungen und Zivilgesellschaften in der Region.

Zuvor war er außerordentlicher Professor für Politikwissenschaft an der Universität Kairo und Professor für öffentliche Ordnung an der Amerikanischen Universität in Kairo.

Hamzawy wurde als 2011 Abgeordneter des Kairoer Stadtteils Heliopolis ins Parlament gewählt. 2013 zog er sich aus der Politik zurück.

ZDFheute: Was ist notwendig, um diese Region zu stabilisieren?
Amr Hamzawy: Notwendig ist eine Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts. Wir sehen das ja immer wieder: Es wurden viele sogenannte Normalisierungsverträge zwischen Israel und arabischen Ländern in den letzten Jahren unterzeichnet - mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, mit Bahrain, mit Marokko. Es gab Verhandlungen zwischen Israel und Saudi-Arabien mit amerikanischer Vermittlung.
Aber wir wachen immer wieder auf und finden heraus, dass für Stabilität zwei Dinge nötig sind: Demokratie und Menschenrechte innerhalb der Länder der Region, und extern: die Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts.

Mehr humanitäre Hilfe und Schutz für Zivilisten in Gaza – das haben arabische und europäische Staaten auf einem Gipfel in Kairo gefordert. Israel war nicht unter den Teilnehmern.

21.10.2023 | 02:18 min
ZDFheute: Wir erleben eine völlig andere Wahrnehmung des Krieges im arabischen Raum. Wie kann man mit dem Westen zusammenkommen?
Amr Hamzawy: Viele Menschen im arabischen Raum sind schockiert, wie über Gaza berichtet wird. Sie sind schockiert, wie in israelischen und auch westlichen Medien die kollektive Bestrafung der Palästinenser in Kauf genommen wird - auch wenn die Antwort auf den Terror der Hamas natürlich völlig legitim ist.
Viele Menschen im arabischen Raum werfen dem Westen Doppelstandards vor.
Amr Hamzawy
Auch wenn man Israel das Recht geben muss auf legitime Selbstverteidigung, so darf man auch nicht vergessen: Die Palästinenser leben seit vielen Jahrzehnten unter Besatzung und werden tagtäglich mit Diskriminierung und anderen Maßnahmen einer Besatzungsmacht konfrontiert.
Wir brauchen eine ausgeglichene Politik, deren Ziel die Friedenslösung ist, basierend auf dem Prinzip zweier Staaten, die nebeneinander in Frieden leben.
Amr Hamzawy

In Israel sei das Interesse an der Konferenz in Kairo gering, so ZDF-Korrespondent Michael Bewerunge. Ein Grund sei, dass es dort „keine Verurteilung der Hamas“ gegeben habe.

21.10.2023 | 01:32 min
ZDFheute: Ägypten fühlt sich unter Druck gesetzt, palästinensische Flüchtlinge aufzunehmen, und lehnt dies vehement ab. Warum?
Amr Hamzawy: Es geht um die Furcht, die dahinter liegt. Denn es gibt Ideen in Israel, die auf einer Zwangsauswanderung der Palästinenser basieren. Diese Konzepte wurden in den letzten Jahren in verantwortungsloser Weise von einigen israelischen Politikern propagiert. Das würde aber eine erneute Zwangsauswanderung bedeuten, eine weitere Welle nach 1948 und 1967 - von der Westbank zur Ostbank, von Gaza in Richtung Sinai.
In beiden Fällen sind nicht nur die Regierungen Jordaniens und Ägyptens dagegen, sondern auch deren Bevölkerungen. Das Palästina-Problem kann nicht auf Kosten Ägyptens oder Jordaniens gelöst werden.
Was man braucht, ist die Entstehung eines Palästinenserstaates - so wie es in den Osloer Verträgen 1993 und in verschiedenen UN-Resolutionen als Ziel definiert wurde. Die Regierungen der Vereinigten Staaten und Europas sollten Ägypten nicht unter Druck setzen, eine Politik zu akzeptieren, die seine nationale Souveränität, seine Sicherheitsinteressen und seine politische Stabilität untergräbt.
Das Interview führten Anna Feist und Jenifer Girke.

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