: Was Hilfe aus der Luft in Gaza bewirken kann

von Nils Metzger
07.03.2024 | 18:30 Uhr
Der Hunger im Gazastreifen wird immer größer. Die USA und Jordanien werfen Lebensmittel mit Flugzeugen ab. Warum Hilfe aus der Luft keine dauerhafte Lösung für Gaza ist.

Hilfslieferungen kommen nicht bis hierher durch, weder Hamas noch israelische Truppen lassen sich blicken: Beit Lahia im Norden Gazas ist komplett auf sich allein gestellt.

06.03.2024 | 02:39 min
Selten wird die katastrophale humanitäre Lage in Gaza so deutlich wie bei der Verteilung der wenigen Hilfsgüter. Mehrfach in den letzten Tagen wurden Laster von verzweifelten Menschen angegriffen und geplündert. Über 100 Menschen starben vergangenen Donnerstag, wurden von Lkw überfahren und womöglich auch von israelischen Soldaten beschossen, als ein Hilfskonvoi die Grenze von Gaza-Stadt erreichte. Insbesondere in den von Israel abgeriegelten Norden des Gazastreifens kommt kaum noch Hilfe.
Die USA haben sich am Dienstag darum einer jordanischen Hilfsmission angeschlossen, die Lebensmittel im Luftraum über Gaza abwirft. Drei Militärmaschinen hätten 36.800 Mahlzeiten an Fallschirmen nach Gaza gebracht, teilte das Verteidigungsministerium in Washington mit. Aber ist das eine praktikable Lösung für den gesamten Gazastreifen? Wie funktioniert so eine Hilfsmission aus der Luft?
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Machen die Hilfslieferungen aus der Luft einen Unterschied?

Hunderttausende Menschen in Gaza sind akut auf Lebensmittelhilfen angewiesen. "Der Hunger hat katastrophale Ausmaße angenommen", sagte der UN-Nothilfekoordinator für die Palästinensergebiete, Jamie McGoldrick, am Mittwoch. Mindestens 20 Kinder seien bereits verhungert, berichtete McGoldrick. Zur Versorgung der Bevölkerung seien nach UN-Schätzungen mindestens 300 Lkw-Lieferungen mit je 20 bis 30 Tonnen Hilfsgütern nötig.
Omar El Manfalouty, Geschäftsführer der Schweizer Hilfsorganisation Humanitarian Pilots Initiative, die Hilfsflüge aus der Ukraine und über dem Mittelmeer durchführt, sagt ZDFheute:
Jede Palette, die am Boden ankommt, rettet Menschenleben. Aber eine nachhaltige Lösung kann nur auf dem Landweg erfolgen, die Blockade der wartenden Lkw mit Nahrungsmitteln muss beendet werden.
Omar El Manfalouty, Humanitarian Pilots Initiative
Das Welternährungsprogramm (WFP) verweist darauf, dass allein ein in dieser Woche gescheiterter Hilfstransport 200 Tonnen Lebensmittel in den Norden des Gazastreifens hätte bringen sollen - die jüngsten WFP-Flugzeug-Lieferungen mit jordanischen Maschinen hätten lediglich sechs Tonnen ausliefern können.
Video von WFP-Lieferungen über Gaza

Warum werden nicht mehr Lebensmittel per Flugzeug geliefert?

Nur bestimmte Frachtflugzeuge eignen sich für so einen Lastabwurf aus der Luft, die USA setzen aktuell mehrere C-130 Hercules dafür ein. Sie können pro Flug bis zu 19 Tonnen abwerfen, eine ganze Reihe von Faktoren kann diese Kapazität jedoch verringern. Nur bestimmte Lebensmittel eignen sich für den Abwurf aus der Luft, etwa Reis oder Linsen. Insbesondere empfindliche Arzneimittel können kaum aus großer Höhe abgeworfen werden.

CADUS ist eine Berliner Hilfsorganisation, die medizinische Hilfe in Krisengebieten leistet. Gerade stehen die Männer und Frauen vor einem weiteren Einsatz im Gazastreifen.

04.03.2024 | 02:37 min
"Bei perfekter Distribution am Boden, ohne jedes Chaos der Kampfhandlungen, bräuchten wir mehr als 1.500 Tonnen Abwurflast, Tag für Tag", berichtet El Manfalouty.
Das entspricht gut 100 Abwürfen mit voll beladenen C-130 Hercules oder knapp 70 mit A400M. Nach drei Jahrzehnten Friedensdividende ist kein europäischer Staat mehr allein zu einem solche Kraftakt in der Lage.
Omar El Manfalouty, Humanitarian Pilots Initiative
Um alle notleidenden Menschen in Gaza aus der Luft zu versorgen, sei eine regelrechte Luftbrücke nötig. Damit verbunden wäre ein enormer logistischer Aufwand, den nur wenige Staaten über längere Zeit aufrecht erhalten könnten. Die Vereinten Nationen etwa verfügen nicht über so eine Flugzeugflotte. "Kapazitäten für eine solche Rettungsaktion für die Zivilbevölkerung bestünden nur in einer paneuropäischen oder transatlantischen Koalition. Selbst dann stellen sich Fragen der Durchhaltefähigkeit", so El Manfalouty.
Gleichzeitig übernehmen jene Staaten damit auch eine Verantwortung, die eigentlich bei den Konfliktparteien vor Ort liegt. Gemäß Völkerrecht muss Israel der Zivilbevölkerung ausreichend Zugang zu Lebensmitteln gewähren. Israels Militär betont regelmäßig, alle Vorgaben einzuhalten.

Im Süden des Gazastreifens gelinge es, Hilfsgüter zu verteilen, es gebe aber "enorme Schwierigkeiten in den Norden zu kommen", so Martin Frick, UN-Welternährungsprogramm.

04.03.2024 | 06:13 min
Auch kontrolliert Israel den Luftraum über Gaza. Jeder Anflug von Maschinen mit Hilfsgütern muss mit der israelischen Seite abgeklärt werden. Für den Abwurf ist eine freie Fläche von der Größe mehrerer Fußballfelder nötig - auch um Menschen nicht durch die tonnenschweren Pakete zu gefährden. Im dicht besiedelten Gaza sind das primär die Strände entlang der Küste.

Was macht einen Hilfsgüter-Abwurf so schwierig?

Nicht jeder Abwurf von Hilfsgütern ist identisch. Den größten Unterschied macht, in welcher Höhe die dabei eingesetzten Flugzeuge fliegen. Sie versuchen, im Anflug so niedrig wie möglich zu sein. Bei Abwürfen aus rund 100 Metern ist oft nicht einmal ein Fallschirm nötig.
Die Sorge vor Beschuss vom Boden im Kriegsgebiet Gaza führt jedoch dazu, dass die US-Militärmaschinen deutlich höher fliegen. Die Präzision und Gütermengen, die sie per Fallschirm abwerfen können, sind geringer, die Kosten deutlich höher.
Abwürfe von Hilfsgütern sind teuer, wahllos und erreichen meist die falschen Leute.
Jan Egeland, ehemaliger UN-Nothilfekoordinator, gegenüber der BBC
Was eigentlich für den Erfolg so einer Mission eigentlich zwingend nötig ist, sind Mitarbeiter am Boden, die die Verteilung koordinieren. Das ist in Gaza aktuell kaum möglich. Von den Hilfslieferungen profitieren darum vor allem diejenigen, die schnell vor Ort sind und auch die Kraft haben, die bis zu 50 Kilogramm schweren Säcke zu transportieren. Auch kann so nur schwer verhindert werden, dass etwa bewaffnete Gruppen die Hilfen an sich reißen.

Nach dem Tod von mehr als 100 Palästinensern an einem Hilfskonvoi fordert auch die EU eine unabhängige Untersuchung. Die USA haben begonnen Hilfsgüter aus der Luft abzuwerfen.

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