: Trugen Iran-Sanktionen zum Raisi-Absturz bei?

von Nils Metzger
21.05.2024 | 15:29 Uhr
Der Hubschrauber von Irans Präsident Raisi flog im dichten Nebel gegen einen Berg. Haben westliche Sanktionen dabei eine Rolle gespielt? Ein Überblick zum Bell 212 Hubschrauber.

Der iranische Präsident Raisi ist tot und Zehntausende trauern. Aber wie inszeniert ist die Trauer und was empfindet die Mehrheit der Bevölkerung?

21.05.2024 | 01:04 min
Bei der Suche nach Verantwortlichen für den tödlichen Helikopter-Absturz des iranischen Präsidenten Ebrahim Raisi zeigen erste iranische Politiker erwartbar in Richtung USA. Irans ehemaliger Außenminister und Atom-Unterhändler Mohammad Javad Zarif sagte am Montag im staatlichen Fernsehen:
Einer der Verantwortlichen hinter der gestrigen Tragödie sind die Vereinigten Staaten, denn ihre Sanktionen unterbinden, dass Iran notwendige Ersatzteile für Luftfahrzeuge beschafft.
Irans Ex-Außenminister Mohammad Javad Zarif
Haben westliche Sanktionen wirklich indirekt zum Absturz des Hubschraubers beigetragen? Ist da etwas dran? Ein Überblick zu den bislang bekannten Anhaltspunkten.

Bei einem Hubschrauberabsturz ist der iranische Präsident Ebrahim Raisi ums Leben gekommen. Das wurde nun bestätigt. Raisi war seit 2021 Präsident des Landes.

20.05.2024 | 01:44 min

Mit welchem Hubschrauber war Raisi unterwegs?

Bei dem abgestürzten Hubschrauber handelt es sich um einen Bell 212 aus US-Entwicklung und kanadischer Fertigung. Eine ganze Reihe an Hubschraubern dieses Typs erhielt Iran noch zur Zeit des Schahs, also vor der Revolution 1979. Laut Daten des Luftfahrtdaten-Unternehmens Cirium soll es sich bei der Raisi-Maschine aber um einen etwas jüngeren Bell 212 mit knapp 30 Betriebsjahren handeln.
Dieses Alter stellt nicht automatisch ein Risiko dar. Bis vor einigen Jahren nutzten auch Bundeswehr und Bundesgrenzschutz noch diese Bell-Oldtimer. Zahlreiche Staaten und Unternehmen setzen weiterhin auf dieses zuverlässige Modell. Die US-Organisation Aviation Safety Network (ASN) listet 431 Sicherheitsvorfälle mit 639 Toten seit dem Erstflug 1968, 38 dieser Toten in den vergangenen zehn Jahren. Angesichts der großen Verbreitung des Modells keine besorgniserregende Zahl.
Der letzte tödliche Vorfall mit einem iranischen Bell 212 war im April 2018 - der offizielle Untersuchungsbericht machte einen Pilotenfehler verantwortlich. Zuvor gab es 2014 und 2015 jeweils einen Absturz mit unterschiedlichen Auslösern.

Welche Politiker bei Flugvorfällen ums Leben kamen

Weltweit hat es in den vergangenen Jahrzehnten mehrfach dramatische Ereignisse in der Luftfahrt gegeben, bei denen Präsidenten oder führende politische Persönlichkeiten gestorben sind - ein Überblick:

Chiles Ex-Präsident: Sebastián Piñera

Am 6. Februar 2024 stirbt der chilenische Ex-Präsident Sebastián Piñera bei einem Hubschrauberabsturz im südchilenischen Lago Ranco. Piñera hatte das Präsidentenamt zweimal inne, von 2010 bis 2014 und von 2018 bis 2022.

Polnischer Präsident: Lech Kaczyński

Am 10. April 2010 stürzt eine Tupolew 154 mit 96 Menschen an Bord, unter ihnen der polnische Präsident Lech Kaczyński und zahlreiche weitere ranghohe Politiker und militärische Verantwortliche Polens, beim Landeanflug in der Nähe der westrussischen Stadt Smolensk ab. Die Katastrophe wurde auf die wegen Nebels schlechte Sicht, auf Fehler der polnischen Piloten sowie auf Fehler der russischen Fluglotsen zurückgeführt.

Vize-Präsident des Sudans: John Garang

Beim Absturz seines Hubschraubers auf dem Rückflug aus Uganda kommt der nur kurz amtierende sudanesische Vize-Präsident John Garang am 30. Juli 2005 ums Leben. Garang war davor der Anführer der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), die für die 2011 erlangte Unabhängigkeit des Südsudans kämpfte.

Mazedonischer Präsident: Boris Trajkovski

Beim Landeanflug auf Mostar im Süden Bosniens stürzt am 26. Februar 2004 die Maschine von Mazedoniens Präsident Boris Trajkovski ab. Der Präsident und acht weitere Insassen sterben.

Präsidenten Ruanda und Burundi: Habyarimana und Ntaryamira

Am 6. April 1994 wird eine Falcon 50 über der ruandischen Hauptstadt Kigali von mindestens einer Rakete abgeschossen. An Bord befinden sich die beiden Präsidenten von Ruanda und Burundi, Juvénal Habyarimana und Cyprien Ntaryamira. Das Attentat gilt als einer der Auslöser für den nachfolgenden Krieg in dem ostafrikanischen Land und den Völkermord an der Volksgruppe der Tutsi.

Pakistanischer Präsident: Zia ul-Haq

Unter den Opfern des Flugzeugabsturzes vom 17. August 1988 in der Nähe der Stadt Bahawalpur ist auch der Präsident Pakistans, Zia ul-Haq.

Präsident von Mosambik: Samora Machel

Der erste Präsident der unabhängigen Republik Mosambik, Samora Machel, stirbt am 19. Oktober 1986 zusammen mit 24 weiteren Menschen beim Absturz einer Tupolew 134 im Nordosten des Nachbarlandes Südafrika.

Quelle: AFP

War der betroffene Hubschrauber Ziel von Sanktionen?

Der Raisi-Hubschrauber und die iranische Luftfahrtindustrie insgesamt sind seit vielen Jahren Ziel von Sanktionen, insbesondere der USA. Die hohe globale Vernetzung der Branche hält auch viele Unternehmen ohne US-Sitz davon ab, Iran zu beliefern.
"Der Zusammenhang zwischen den westlichen Sanktionen und der ungewöhnlich hohen Zahl von Flugzeugabstürzen im Iran in den letzten Jahrzehnten ist ein offenes Geheimnis", sagt der Sanktionsexperte Viktor Winkler ZDFheute. "Vor allem das Verbot von Ersatzteilen mit schon minimalem US-Anteil macht es Iran seit vielen Jahren praktisch unmöglich, sich auf dem Weltmarkt für Flugkomponenten zu versorgen."
Ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass die westlichen Sanktionen zu dem Absturz wesentlich beigetragen haben. Die Sanktionen betreffen vor allem hinsichtlich der Ersatzteile einen Kernbereich der Erhaltung der Flugsicherheit.
Viktor Winkler, Anwalt und Experte für Sanktionsrecht
Je älter Luftfahrzeuge werden, desto wartungsintensiver werden sie. Von den 330 in Iran registrierten kommerziellen Flugzeugen etwa waren 2023 nach Angaben der zivilen Luftfahrtbehörde wegen Ersatzteilmangel weniger als 200 einsatzfähig. Auch professionelle Simulatoren, in denen schwierige Bedingungen geübt werden können, sind sanktioniert.

Beileidsbekundungen von den Verbündeten, verhaltene Reaktionen aus dem Westen: Nach dem Unfalltod von Irans Präsidenten Raisi ist die politische Zukunft des Landes unklar.

20.05.2024 | 02:10 min
In der ASN-Crash-Datenbank schlägt sich das nieder: gab es in den 1990er Jahren nie mehr als fünf Sicherheitsvorfälle pro Jahr, verzeichnet ASN ab 2011 durchgehend zweistellige Zahl an Vorfällen pro Jahr in Iran.
Eine bewusste Strategie dahinter, um etwa durch vermehrte Abstürze das iranische Regime zu schwächen, wäre laut Winkler nicht akzeptabel: "Eine Beeinträchtigung der Sicherheit der zivilen wie der militärischen Luftfahrt als Ziel wäre völkerrechtlich absolut inakzeptabel. Das durfte und darf zu keinem Zeitpunkt Ziel von Sanktionen sein."

Wie kommt der Iran an moderne Flug-Technik?

Länder wie Russland und China beliefern Iran zwar mit moderner Technik, jedoch sind es betagte Flugzeuge und Hubschrauber westlicher Hersteller, die weiterhin das Rückgrat des iranischen Flugbetriebs ausmachen.
An neue westliche Luftfahrzeuge kommt Iran nur selten. Vor wenigen Jahren erhielt der Iranische Rote Halbmond mehrere moderne Bell 412 Rettungshubschrauber. Diese Lücken sollen durch Kopien und Eigenentwicklungen gestopft werden, etwa mit einem 2020 vorgestellten Airbus A320-Simulator. Auch bei der Hubschrauber-Flotte verkündet Irans Militär immer wieder Modernisierungen. Die Qualität all solcher Bemühungen ist unklar.

Im Iran beginnen heute die Trauerfeierlichkeiten für den am Sonntag tödlich verunglückten Präsidenten Ebrahim Raisi, es gilt eine fünftägige Staatstrauer. Jörg Brase berichtet.

21.05.2024 | 01:09 min

Welche Rolle hat das Wetter gespielt?

Aktuell deutet viel darauf hin, dass das Wetter ein entscheidender Faktor war. Die Sicht am Unglücksort lag bei weniger als 100 Metern. In solchen Bedingungen müssen sich Piloten statt auf Sicht ganz auf ihre Instrumente verlassen. Dafür müssen Piloten gesondert ausgebildet und die Hubschrauber zertifiziert sein. Es ist nicht bekannt, ob das der Fall war. Modernes Navigationsequipment kann das Fliegen in solchen Bedingungen erleichtern.
Jedoch sind solche Wetterlagen in den Gebirge im Norden Irans häufig. Auch am Dienstag lagen in der Gegend erneut Sichtweiten von Teils unter 100 Metern vor. Den Piloten muss klar gewesen sein, dass sie auf ihrer Flugroute mehrere Tausend Höhenmeter überwinden müssen und Nebelbänke da eine Gefahr sind. Auf rund 2.200 Metern über dem Meeresspiegel kollidierte der Hubschrauber mit einem Berghang.
Ein unter guten Bedingungen zuverlässiger Hubschrauber kann bei womöglich lückenhafter Ausbildung oder veralteten Navigationsmitteln schnell zu einer Todesfalle werden. Zu landen und besseres Wetter abzuwarten, wäre übliche Praxis in solchen Fällen.

Fazit

Dafür, dass die westlichen Sanktionen negativ auf die iranische Flugsicherheit auswirken, gibt es viele Anhaltspunkte. Dennoch war der Todesflug des Präsidenten nicht unausweichlich. Schon einfache Vorsichtsmaßnahmen hätten den Absturz womöglich verhindern können.

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