: Tel Aviv: Ein Klassentreffen im Krieg

von Henriette de Maizière
24.12.2023 | 11:59 Uhr
Eine ehemalige Klasse ist wie ein Brennglas Israels - fast alle auf dem Klassentreffen sind betroffen von Angst und Trauer. Sie beklagen Tote und Vermisste.

Das Hamas-Massaker am 7. Oktober hat Israel traumatisiert – viele Israelis sind persönlich betroffen. Wie "normal" verläuft ein Klassentreffen in einer solchen Ausnahmesituation?

23.12.2023 | 01:41 min
20 Jahre ist es her, dass sie gemeinsam zur Schule gingen - Klassentreffen in Tel Aviv. Sie lachen über die alten Fotos, erzählen sich, was inzwischen alles passiert ist und beklagen ihre Toten und Vermissten. Es ist ein Wiedersehen, welches in diesen Tagen immer auch mit Schmerz verbunden ist. Es gibt ein Video des Jahrgangs 2003 - es zeigt das Jahrbuch der Schule Ma`ale Habsor in der Nähe des Gazastreifens.
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Auf dem Klassenfoto sind junge Menschen zu sehen, die hoffnungsfroh in die Kamera lächeln. Das Leben noch vor sich. Am Rand steht ihre Lehrerin - Rotem Kalderon. Der Erzähler des Videos sagt: "Dank ihr habe ich die Schule geschafft."

Lehrerin wurde von Hamas erschossen

Rotem Kalderon ist tot. Sie wurde am 7. Oktober 2023 in ihrem Zuhause im Kibbuz von der Hamas erschossen. Auf ihrer Beerdigung haben sich viele ihrer ehemaligen Schülerinnen und Schüler wiedergetroffen. Und beschlossen, zusammen zu rücken, sich wieder zu treffen, um ihren Schmerz zu teilen.
Wir wollen einfach nur noch einmal alle zusammen sein. Unsere Gefühle teilen - jeder hier hat einiges durchgemacht. Wir sind durch die Hölle gegangen.
Jaron Shazar, Klassenkamerad
Das Video beschreibt es so: "Liras verschanzte sich 26 Stunden vor der Hamas. Amits Eltern und Großeltern wurden von der Hamas ermordet. Nicht nur Familien starben, auch Yarons Hund wurde erschossen."

Drei Klassenkameraden wurden von der Hamas entführt

Drei von ihnen aus der Klasse wurden am 7. Oktober 2023 als Geiseln von der Hamas in den Gazastreifen entführt, sind seither dort. Tamir - das Video beschreibt, er hatte so ein großes Lachen. Tal, der Adi aus der Klasse geheiratet hat. Sie und ihre beiden Kinder wurden entführt - Adi und die Kinder sind inzwischen frei. Tal ist immer noch entführt.

Die Bewohner des brutal von der Hamas überfallenen Kibbuz Kfar Azza fühlen sich verraten. Mit einigen Palästinensern haben sie im Kibbuz eng zusammengearbeitet. Doch genau die haben der Hamas Lagepläne und Informationen geliefert und das gezielte Morden ermöglicht.

08.11.2023 | 02:00 min
Und dann ist da noch Itai, der im Film als sensibel und still beschrieben wird. Er wurde verschleppt, nachdem seine Eltern vor seinen Augen hingerichtet wurden. Sein bester Freund Jaron Shazar erinnert sich: "Wir haben unseren ersten Kuchen zusammen gebacken. Im Haus seiner Eltern - ich sehe noch das Gesicht seiner Mutter, als sie gesehen hat, was wir in ihrer Küche angerichtet haben."

Das Kibbuz Be‘Eri ist nach dem Angriff der Hamas eine Ruine, die Bewohner verschleppt, getötet oder geflohen. Angehörige kommen zurück, um zu gedenken.

23.12.2023 | 02:36 min

Nahezu jede und jeder im Land betroffen

Es sind diese Geschichten, die deutlich machen, wie tief das Trauma des 7. Oktober 2023 in Israel sitzt. Beinahe jede und jeder hier im Land ist betroffen. Viele fühlen sich traumatisiert, wie Nufar Gil-Or.
Ich habe das Gefühl, alles ist in einer Art Nebel versunken - und so kann ich gar nichts richtig fühlen, weiß gar nicht, was los ist. Alles ist anders - mein Blick auf die Menschen hat sich geändert
Nufar Gil-Or
Das Gefühl der Sicherheit im eigenen Zuhause, im eigenen Land, ist tief erschüttert. Das Leben im Kibbuz war geprägt von Offenheit und dem Gefühl, der Sicherheit, erzählen sie. Ofer Shemesh erinnert sich, dass er als Fünfjähriger allein mit dem Fahrrad zum Kindergarten fuhr. So sicher habe er sich - so sicher haben seine Eltern sich gefühlt. "Und die Ereignisse des 7. Oktober haben uns traurig gemacht. Sie zeigen, dass dieser Ort unserer Kindheit, nicht mehr sein wird, wie er einmal war. Unser naiver Blick auf die Dinge hat sich geändert. Auch der, auf unsere Nachbarn."
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Seine Klassenkameradin Eti Hofman stimmt ihm zu. Auf die Frage, ob sie sich eine Rückkehr in ihr Kibbuz vorstellen kann, sagt sie: "Nein, es ist zu nahe an Gaza. Ich weiß, dass ich nicht das letzte Mal dort war, aber ich weiß - unsere Angst ist zu groß, um wieder dort zu leben."

Glücksgefühle gepaart mit Schuldgefühlen

Besondere Aufmerksamkeit beim Treffen hier, zieht Yarden Silberman auf sich. Sie hat ihr vor drei Wochen geborenes Baby dabei. Alle sind berührt von dem Glück des Lebens. Yarden Silbermans Gefühle widersprüchlich: "Einerseits dieses Glück und gleichzeitig ist alles in dunkle Farben getaucht. Manchmal habe ich Schuldgefühle, weil ich so glücklich bin."

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