: Kann sich der Westen auf die USA verlassen?
Es gibt für gewöhnlich zwei Arten, als Journalist an ein Interview zu kommen. Die erste: anzufragen, ob jemand Zeit und Interesse hat. Manchmal aber wird ein Interview auch ungefragt angeboten. Was dann aufhorchen lässt: Will da jemand eine Botschaft loswerden?
Julianne Smith ...
... ist seit November 2021 US-Botschafterin bei der Nato in Brüssel. Zuvor arbeitete sie unter anderem als sicherheitspolitische Beraterin für den damaligen US-Vizepräsidenten Joe Biden. Deutschland kennt Smith noch aus ihrer Studienzeit – als sie für ein Jahr an der Ludwig-Maximilians-Universität in München studierte.
"As long as it takes" - gilt der Satz noch?
Über zwei Jahre hatte US-Präsident Joe Biden schließlich stets diese Botschaft. Sein Land werde die Ukraine so lange unterstützen wie nötig - "as long as it takes". Eine Zusicherung, die in diesen Tagen, angesichts der Blockade im US-Kongress, etwas hohl wirkt.
Kanzler Scholz wirbt in den USA für weitere Hilfen für die Ukraine. Präsident Biden will seit Monaten Finanzhilfen durch den Kongress bringen, scheitert aber an den Republikanern.
10.02.2024 | 02:06 minUnd so hat Bidens Nato-Botschafterin Julianne Smith im ZDF-Interview gleich mehrere Botschaften mitgebracht. Die erste und wichtigste: ja, sowohl die Ukraine als auch die Nato könnten sich weiter auf die USA verlassen.
Nicht ohne Grund habe man für diesen Mittwoch erneut ein Treffen der "Ramstein-Gruppe" einberufen, jener rund 50 Länder also, die unter Führung der USA ihre Waffenlieferungen an die Ukraine abstimmen."Und wir werden diese Länder dazu drängen, mehr zu tun - auch wenn wir selbst gerade noch Einzelheiten unseres Pakets klären müssen", sagt Smith.
Niemand aus dieser Runde nimmt den Fuß vom Pedal, niemand schlägt eine Alternative vor. Ich glaube auch nicht, dass es einen anderen Weg gibt als die weitere Unterstützung der Ukraine.
Nato-Botschafterin will Zuversicht verbreiten
Doch sind es wirklich nur "Einzelheiten", die die USA bei ihrer Militärhilfe noch klären müssen? "Unverzichtbar" nennt der deutsche Kanzler Olaf Scholz nach seinem Besuch bei US-Präsident Biden die US-Militärhilfe.
Expertinnen wie Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin geben ihm Recht: "Wenn die US-Militärlieferungen nicht weitergehen, wird das fatale Folgen haben für die Ukraine". Noch wichtiger, so Major zu ZDFheute, sei aber das Signal, das davon an alle Verbündeten ausgehe: "Dass auf die USA langfristig kein Verlass ist."
Bundeskanzler Scholz fordert Ukraine-Hilfen vom US-Kongress. Politikberater Werz nennt es Ironie der Geschichte, dass ein Sozialdemokrat Deutschland als Führungsmacht etabliere.
09.02.2024 | 01:34 minWas, wenn Trump zurückkehrt?
Es steht ja auch noch eine Wahl an im November, und zumindest aktuelle Umfragen lassen eine Rückkehr des Nato-Skeptikers Donald Trump ins Weiße Haus als wahrscheinlich gelten. Ist die US-Wahl also auch eine Abstimmung über die Zukunft der Nato?
Nein, sagt US-Diplomatin Smith. Die Zustimmung zur Nato sei quer durch die Lager der US-Politik hoch - und erst recht in der amerikanischen Bevölkerung.
Egal, wer im Weißen Haus sitzt, ob im nächsten Jahr oder in 25 Jahren: ich bin überzeugt, dass das amerikanische Volk schon dafür sorgen wird, dass er oder sie der Nato verpflichtet bleibt.
Diese Allianz, so Smith, habe ihren eigenen Wert nun seit 75 Jahren immer wieder aufs Neue bewiesen. Was sie nicht sagt: ob diese Beweise auch das Lager von Donald Trump erreicht und überzeugt haben.
Das Weiße Haus hat Trumps Aussagen über säumige Nato-Partner scharf verurteilt. Laut Trump würden Nato-Partner, die ihre Beiträge nicht zahlen, keinen Schutz vor Russland erhalten.
11.02.2024 | 00:26 minSmith: Europäer, macht endlich mehr!
Bleibt die letzte Botschaft, die Julianne Smith im ZDF-Interview loswird: Eine Aufforderung an Europa. "Ganz unabhängig von unserer Wahl hatten alle US-Präsidenten über Jahre stets dieselbe Botschaft: dass Europäer mehr in ihre eigene Verteidigung investieren müssen", sagt Smith.
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Das Problem ist nur, dass Europa auf solche Aufforderungen lange nicht reagiert hat. Das sieht auch Claudia Major von der SWP so.
Die meisten Europäer haben sich zu lange auf den Schutz der USA verlassen, zu wenig in die eigene Verteidigung investiert – und sie werden diesen Rückstand auch nur langfristig mit enormen Investitionen ersetzen können.
Spätestens bei einer Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus dürfte sich das rächen.
Florian Neuhann ist Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.