: Putins Faustpfand: Gershkovich vor Gericht

von Felix Klauser
26.06.2024 | 06:29 Uhr
Seit mehr als 14 Monaten sitzt Evan Gershkovich wegen Spionagevorwürfen in russischer Haft. Wladimir Putin sieht ihn als Faustpfand für einen möglichen Gefangenenaustausch.

Heute hat in Russland der Prozess gegen den US-Reporter Evan Gershkovich begonnen, ihm wird Spionage für die CIA vorgeworfen. Der US-Amerikaner weist alle Vorwürfe zurück.

26.06.2024 | 01:29 min
Rund 1.600 Kilometer von ihrer Moskauer Heimat entfernt sitzt Mascha Borzunowa an ihrem Berliner Schreibtisch und scrollt auf ihrem Smartphone durch die Fotos von früher. "Das ist die letzte Silvesterparty, die wir in Evans Wohnung gefeiert haben", erzählt die 29-Jährige und zeigt ein leicht verwackeltes Polaroid-Foto.
Mit Evan meint sie Evan Gershkovich, den US-Journalisten, der seit mehr als 14 Monaten in Russland inhaftiert ist, dem Spionage vorgeworfen wird. An diesem Mittwoch beginnt in Jekaterinburg der Prozess gegen ihn.
In der Stadt im Ural, gut zwei Flugstunden von Moskau entfernt, wurde Gershkovich im März 2023 während einer Recherchereise vom russischen Geheimdienst FSB festgenommen. Dem 32 Jahre alten Amerikaner, Sohn russischer Emigranten, wird vorgeworfen, "geheime Informationen über Herstellung und Reparatur von Militärtechnik gesammelt" zu haben. Und das, so sieht es die Generalstaatsanwaltschaft in Moskau, im "Auftrag der CIA".

Briefe an Gershkovich ins Moskauer Gefängnis

Gershkovich bestreitet die Vorwürfe und befindet sich dennoch seit 455 Tagen in Untersuchungshaft. "Er sitzt den ganzen Tag in einer kleinen Zelle, Bewegung ist nur für eine Stunde erlaubt", erzählt Mascha Borzunowa und betont, dass Gershkovich trotz allem guter Dinge sei: "Evan ist unglaublich stark, selbst nach mehr als einem Jahr im Gefängnis, selbst jetzt, bevor sein Prozess startet."

Der Fall Evan Gershkovich sorgt weltweit für Aufsehen.

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Die Journalistin, die früher für den russischen Fernsehsender Doschd arbeitete, bevor sie Russland - wie so viele ihrer Kollegen - verließ, steht in regem Briefkontakt mit Gershkovich. Einmal pro Woche könne der Reporter auch in Untersuchungshaft Briefe empfangen, erzählt sie.
Für Borzunowa und ihre Community aus ehemaligen Kollegen und Freunden Gershkovichs, sei das eine der wenigen Möglichkeiten, ihn während seiner Haft zu unterstützen. "Evan ist eine Geisel der russischen Behörden", meint Borzunowa, "dabei hat er lediglich seinen Job gemacht".

Klare Worte aus Washington

Das dürfte auch die US-Regierung so sehen, die Gershkovich als "zu Unrecht inhaftierten" Gefangenen einstuft. Präsident Joe Biden hat mehrmals bekräftigt, sich für die Freilassung des Reporters einzusetzen. Gershkovich ist der erste US-Journalist, der seit 1986 in Russland wegen Spionagevorwürfen verhaftet wurde. In Washington ist die Lesart in dem Fall eindeutig.
Die Vorwürfe gegen ihn sind falsch und die russische Regierung weiß, dass sie falsch sind. Er sollte sofort freigelassen werden.
Matthew Miller, Sprecher des US-Außenministeriums
Dass es sich bei Gershkovich um eine politische Geisel handelt, gibt selbst Wladimir Putin vergleichsweise unumwunden zu. Es sei "mehr oder weniger sinnlos, ihn im Gefängnis in Russland zu halten", bemerkte der russische Präsident vor wenigen Monaten im Interview mit US-Moderator Tucker Carlson. Die amerikanische Seite solle überlegen, wie diese "Probleme zu lösen sind".

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Putin dürfte damit wohl auf einen möglichen Gefangenenaustausch anspielen, bei dem es auch um den sogenannten Tiergartenmörder gehen könnte. Wadim K. hatte 2019 in Berlin einen Exil-Tschetschenen ermordet - offenbar im Auftrag staatlicher russischer Stellen. Seit 2021 sitzt er in Deutschland in Haft.

Prozess gegen US-Reporter könnte Monate dauern

Dass ein solcher Austausch schnell über die Bühne geht, halten Russland-Kenner allerdings für unwahrscheinlich. Erst müsste wohl der Prozess gegen Gershkovich abgeschlossen sein - und das kann dauern.
Denn Gershkovich sei für Putin nicht nur in einem möglichen Gefangenenaustausch ein Faustpfand, sagt Margarete Klein von der Stiftung Wissenschaft und Politik, sondern auch eine Möglichkeit, in den US-Wahlkampf einzugreifen. Joe Biden könne Putin Schwäche vorwerfen, solange keine Einigung zustande kommt, "Donald Trump dagegen gibt er die Möglichkeit, einen Deal zu machen", sagt Margarete Klein. Somit könnte Russlands Präsident auf Zeit spielen - und der Prozess gegen Gershkovich Monate dauern.
Mascha Borzunowa wird den Prozessauftakt aus Berlin verfolgen - mit gemischten Gefühlen. Einerseits sei es ihr fast unmöglich, Gershkovich im Gerichtssaal hinter Gittern zu sehen. "Andererseits sehe ich, wie er lächelt und lacht trotz der Umstände. Wie stark er ist", sagt Borzunowa. Sie hofft, Evan Gershkovich so schnell wie möglich wiederzusehen - dann allerdings in Freiheit.

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