Exklusiv

: Rekrut: "Wer nicht mitmacht, wird geschlagen"

von Arndt Ginzel, Nils Metzger
26.03.2024 | 15:32 Uhr
Russlands Streitkräfte zwingen Inder, in der Ukraine zu kämpfen. Ein betroffener Soldat schildert, welche Grausamkeit er gerade an der Front erlebt – und bittet um seine Freiheit.

Für den Angriffskrieg in der Ukraine rekrutiert Russland Söldner aus Indien und Nepal. ZDF frontal Recherchen zeigen, dass viele nicht freiwillig an der Front kämpfen.

26.03.2024 | 01:54 min
Um den stetigen Nachschub an Soldaten auf den Schlachtfeldern in der Ukraine aufrechtzuerhalten, setzt Russland vermehrt auf ausländische Vertragssoldaten - insbesondere aus Indien und Nepal.
Es häufen sich Berichte, dass viele dieser Männer nicht aus freien Stücken in der Ukraine kämpfen und sterben, sondern von Menschenhändlern und russischen Behörden mit Drohungen und falschen Versprechungen in Wladimir Putins Streitkräfte gelockt werden. Die indische Regierung bestätigte bereits mehrere Todesfälle, Angehörige warten oft seit Wochen auf ein Lebenszeichen.

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Reporter telefoniert mit Zwangsrekruten an der Front

Mitte März berichtete ZDFheute über eine Gruppe indischer Vertragssoldaten in der Ukraine, die sich in einem Video verzweifelt an ihre Regierung gewandt hatten, um ihre Entlassung zu ermöglichen. In ihrem Video hatten sie die Sorge vor einem Fronteinsatz geäußert - doch der Hilferuf blieb wirkungslos. Denn jetzt bestätigt sich, dass sie tatsächlich an der Front im Süden der Ukraine gelandet sind und unter Zwang kämpfen müssen. ZDF-frontal-Reporter Arndt Ginzel konnte erstmals mit einem von ihnen in der Ukraine telefonieren.
ZDF frontal: Wie geht es Ihnen?
Gurpreet Singh: Nein, es geht mir gar nicht gut. Ich kam heute von einem Tag an der Frontlinie zurück. Man wird uns wieder dorthin zurückschicken.
ZDF frontal: Was haben Sie dort gesehen?
Singh: Die Lage ist düster. Wir bekommen gar nichts zu essen. Wir alle werden krank. Es gibt nichts zu essen, gar nichts.
Es gibt hier überall Tote. Und wir sind alle so in Angst.
Gurpreet Singh, indischer Vertragssoldat in der russischen Armee
Die Verbindung ist schlecht. Nur für wenige Minuten kann eine Übertragung in die Ukraine aufgebaut werden. Singh berichtet, dass er gerade in der Ortschaft Sadowe im Oblast Saporischschja stationiert sei, wenige Kilometer entfernt von der strategisch wichtigen Stadt Tokmak. Es ist ein Ort, an dem seit Monaten heftigste Kämpfe toben. Die sozialen Medien sind voller Bilder von zerbombten Schützengräben, verwundeten Soldaten, die sich aus Verzweiflung selbst töten.
Der Inder Gurpreet Singh in russischer Uniform: Dieses Bild schickte er während des Trainings an seine Mutter.Quelle: ZDF
ZDF frontal: Wie gefährlich ist es, wo Sie gerade sind?
Singh: Sehr, sehr, sehr gefährlich, täglich rollen hier Panzer, es gibt Explosionen und Drohnenangriffe. Wir waren siebzehn, achtzehn Jungs hier, nur drei oder vier sind zurückgekommen. Der Rest ist tot. Keine Ahnung, wo ihre Leichen sind.
ZDF frontal: Was sagen Ihnen die russischen Behörden? Warum können Sie nicht nach Hause?
Singh: Niemand hört auf uns. Niemand tut etwas. Sie haben uns hier zurückgelassen.

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ZDF frontal: Wurden Sie gezwungen, an die Front zu gehen?
Singh: Ja, sie üben großen Zwang aus! Sie stoßen und treten uns. Wenn einer nicht mitmachen will, wird er geschlagen.
Im nordindischen Dorf Dakala im Bundesstaat Punjab konnte ZDF frontal auch die Mutter des 20-jährigen Soldaten sprechen: "Ich flehe darum, dass mein Sohn zurückkommt", sagt Baljinder Kaur. "Wenn ich am Fenster stehe, stelle ich mir vor, dass er von der linken oder von der rechten Straßenseite zurückkommt." Sie steht in Kontakt mit indischen Behörden, die eine Heimkehr betroffener Soldaten erreichen möchten. Indische Bundesanwälte haben sogar Ermittlungen wegen des Verdachts auf Menschenhandel eingeleitet.
Frontal-Reporter Arndt Ginzel mit Baljinder Kaur, der Mutter des Soldaten.Quelle: ZDF
ZDF frontal: Wie sind Sie in den russischen Streitkräften gelandet?
Singh: Wir waren als Touristen in Russland. Ein Mann, den wir an unserem Hotel getroffen haben, hat versprochen, uns herumzuführen, also sind wir auf Sightseeing-Tour gegangen. Aber die Visa von mehreren aus unserer Gruppe waren abgelaufen, andere weiter gültig. Es war mir nicht klar, dass wir so nicht nach Belarus reisen durften.
Man hat uns verhaftet und uns mit zehn Jahren Haft gedroht, wenn wir nicht in die Armee eintreten.
Gurpreet Singh, indischer Vertragssoldat in der russischen Armee
Zwei oder drei Tage lang haben wir uns geweigert, aber sie haben uns nichts zu essen gegeben und uns in einem dunklen Raum eingesperrt. Wir konnten mit niemandem sprechen. So haben sie uns zur Unterschrift gezwungen.
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ZDF frontal: Mit wem waren Sie gerade an der Front? Wer wurde getötet?
Singh: Die mit uns dort waren, kamen aus Kamerun und zwei oder drei aus Russland. Vor uns waren hier noch zwei oder drei andere Inder. Einer wurde am Fuß getroffen, einem anderen wurde die Hälfte des Körpers weggesprengt. Einer von ihnen kam aus Rajastan, ihre Namen kenne ich nicht.

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ZDF frontal: Was wünschen Sie sich jetzt?
Singh: Wir wollen nur nach Hause. Wir wollen nichts anderes. Ich möchte zu meiner Mutter und meinem Vater. Wir hoffen, dass man uns so schnell wie möglich hier rausholt. Wir wissen nicht, ob wir den nächsten Anruf noch erleben werden.
Kurz darauf bricht die Verbindung ab. Gurpreet Singh ist seitdem nicht mehr erreichbar. Aber die Hoffnung will seine Mutter nicht aufgeben. Der Dorfvorsteher habe ihr geraten, sich nicht zu sehr zu sorgen.
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