: Wie die USA mit der Todesstrafe ringen

von Anna Kleiser, Washington D.C.
29.05.2024 | 17:14 Uhr
2023 wurden in den USA mehr Menschen hingerichtet als in den Jahren zuvor. Warum das Land es nicht schafft, die Todesstrafe abzuschaffen – obwohl die Mehrheit sie ablehnt.
Anfang des Jahres wurde in Alabama erstmals ein Häftling mit Stickstoffgas getötet. Die Methode ist hochumstritten.Quelle: dpa
Unter den westlichen Demokratien sind die USA isoliert, wenn es um die Todesstrafe geht. Es ist das letzte Land unter ihnen, das an ihr festhält. In Deutschland etwa steht unmissverständlich im Grundgesetz: "Die Todesstrafe ist abgeschafft."
Die USA sind gespalten, in 27 Bundesstaaten gibt es die Todesstrafe weiterhin. Auch wenn gesellschaftlich die Skepsis zunimmt - von einer landesweiten Abschaffung ist man noch weit entfernt.
24 Menschen wurden in den USA im vergangenen Jahr hingerichtet. Das ist im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von 33 Prozent. Im aktuellen Bericht von Amnesty International liegt das Land damit auf Platz fünf der Nationen mit den meisten Hinrichtungen.

Iran

Die Behörden im Iran hätten die Todesstrafe verstärkt eingesetzt, um die Bevölkerung in Angst und Schrecken zu versetzen und ihre Macht zu festigen. Die Zahl der Hinrichtungen sei gegenüber 2022 (576) um 48 Prozent auf mindestens 853 gestiegen.

Unverhältnismäßig oft hätten Hinrichtungen die ethnische Minderheit der Belutschen betroffen - auf sie entfielen demnach 20 Prozent der registrierten Hinrichtungen, obwohl sie nur etwa fünf Prozent der Bevölkerung ausmache.

Über 60 Prozent der dokumentierten Hinrichtungen im Iran seien für Taten vollstreckt worden, die nach internationalem Recht nicht mit der Todesstrafe geahndet werden dürften, darunter vor allem Drogendelikte. 

Saudi-Arabien

In Saudi-Arabien ist die Zahl der vollstreckten Todesurteile demnach um zwölf Prozent auf 172 gesunken. Darunter seien sechs Frauen gewesen. Das Land sei das einzige, das 2023 die Hinrichtungsmethode der Enthauptung angewendet habe. Todesurteile würden nach unfairen Verfahren gefällt und "Geständnisse" durch Folter erpresst.

Im Juli sei Mohammad al-Ghamdi für regierungskritische Social-Media-Posts zum Tode verurteilt worden.

USA

Amnesty-Generalsekretärin Duchrow nannte es sehr bedenklich, dass sich einige US-Bundesstaaten zur Todesstrafe bekannten und "sogar eine neue grausame Hinrichtungsmethode" eingeführt hätten. Dies setze sich fort: Im Januar sei Kenneth Smith im Bundesstaat Alabama durch die unerprobte Methode des Erstickens durch Stickstoffgas getötet worden, "14 Monate nachdem er einen verpfuschten Hinrichtungsversuch überlebt hatte". Insgesamt sei die Zahl der Hinrichtungen von 18 auf 24 im Vergleich zum Vorjahr gestiegen.

In den US-Bundesstaaten Idaho und Tennessee seien zudem Gesetzentwürfe eingebracht worden, die Exekutionen durch Erschießungskommandos ermöglichen sollten. 

In den USA ist erstmals ein zum Tode Verurteilter mit einer neuen Stickstoff-Methode hingerichtet worden. Seine Anwälte hatten vergeblich versucht, die Hinrichtung zu stoppen.

26.01.2024 | 00:20 min

Somalia und Subsahara-Afrika

In Somalia verzeichnet Amnesty mehr als eine Versechsfachung der Zahl der Hinrichtungen von 6 im Jahr 2022 auf 38 im vergangenen Jahr. In der Region Subsahara-Afrika registrierte die Menschenrechtsorganisation einen drastischen Anstieg der Todesurteile um 66 Prozent - von 298 Fällen im Jahr 2022 auf 494 im vergangenen Jahr.

China

Amnesty International geht laut dem Bericht davon aus, dass China nach wie vor weltweit die meisten Menschen hinrichtet. Wegen der Geheimhaltung in dem Land enthalte der Bericht keine Angaben zu den laut Amnesty vermutlich Tausenden Menschen, die in China exekutiert worden seien. 

Aus ähnlichen Gründen könne man auch keine Zahlen zu Nordkorea und Vietnam vorlegen – bei beiden Ländern werde allerdings angenommen, dass sie in großem Umfang Menschen hinrichteten, heißt es weiter. Nordkorea habe ein neues Gesetz eingeführt, das die Todesstrafe als mögliche Strafe für jene vorsehe, die nicht Koreanisch verwenden würden.

Myanmar habe weiterhin in geheimen und unfairen Verfahren Todesurteile vor Militärgerichten verhängt.

Quelle: dpa

Was Florida mit dem Anstieg zu tun hat

Justin Mazzola forscht für Amnesty International in den USA und sagt gegenüber ZDFheute, dies sei fast ausschließlich Florida zuzuschreiben. Dort seien erstmals seit 2019 wieder Hinrichtungen durchgeführt worden.
Sechs Menschen wurden hingerichtet, als der Gouverneur des Bundesstaates sich noch im Präsidentschaftswahlkampf befand.
Justin Mazzola, Amnesty International USA 
Floridas republikanischer Gouverneur Ron DeSantis hat sich die striktere Durchsetzung von Gesetzen auf die Fahne geschrieben. 2023 hat er die bis dahin nötige Einstimmigkeit unter den zwölf Geschworenen einer Jury für die Verhängung der Todesstrafe aufgehoben. Seither reichen acht Stimmen.
Das macht deutlich, warum die Abschaffung so schwierig ist. Es ist ein hochpolitisches Thema. Juraprofessor John Blume von der Cornell-Universität betont gegenüber ZDFheute: Die Zahl der Hinrichtungen hänge vom politischen Klima ab.

"DeSantis ist so etwas wie eine Kopie von Donald Trump gewesen", berichtet ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen. Dass er Trump nun trotz dessen Spott unterstützt, überrascht viele.

22.01.2024 | 03:23 min

Nur wenige Bundesstaaten vollstrecken Urteile

Auf das ganze Land bezogen, hat sich in den letzten Jahrzehnten die Zahl der Exekutionen verringert. Nur wenige US-Staaten führen die Hinrichtungen auch durch. Im Jahr 2023 waren es Texas (8), Florida (6), Missouri (4), Oklahoma (4) und Alabama (2).
ZDFheute Infografik
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Mazzola betont, insgesamt sei die Zahl der Hinrichtungen seit der Jahrtausendwende rückläufig.
Elf Bundesstaaten haben in diesem Zeitraum die Todesstrafe abgeschafft.
Justin Mazzola, Amnesty International USA

Verurteilte sitzen jahrelang in Todeszellen

2.333 Häftlinge saßen Anfang 2023 im Todestrakt, berichtet das gemeinnützige "Todesstrafen-Informationszentrum". Im Durchschnitt vergehen demnach 23 Jahre von der Verurteilung zur Hinrichtung. Die meisten der 2023 Hingerichteten wären vermutlich nicht zum Tod verteilt worden, hätten ihre Prozesse heutzutage stattgefunden, heißt es in dem Bericht.

Die Todesstrafe in Zahlen

Die Todesstrafe gibt es in den USA heute noch beim Militär, auf Bundesebene sowie in 27 Bundesstaaten, wobei sie in mehreren dieser Staaten de facto nicht mehr vollstreckt wird. Die zugelassenen Methoden variieren von Bundesstaat zu Bundesstaat. Die mit Abstand am häufigsten angewandte Methode ist heutzutage die Exekution mit der Giftspritze. Stickstoffhypoxie ist außer in Alabama nur in den Bundesstaaten Oklahoma und Mississippi erlaubt.

  • Seit 1976 gab es insgesamt 1.579 Hinrichtungen, davon bislang 24 im Jahr 2023 (Stand Januar 2024)
  • 2.330 Gefangene sitzen in den USA im Todestrakt (Stand Januar 2024)
  • 72 Prozent der im Jahr 2022 hingerichteten Gefangenen wiesen eine erhebliche psychische Beeinträchtigung auf
  • Die Todesstrafe kann wegen Mord, Hochverrat, Völkermord oder der Tötung oder Entführung einer Person in einem hohen politischen Amt verhängt werden
  • Wer die Todesstrafe bekommt, entscheiden die Geschworenen eines Gerichts; dabei können verschiedene Faktoren eine Rolle spielen wie das Leiden des Opfers, ein sexueller Übergriff, oder wer das Opfer ist, z.B. Polizeibeamter oder kleines Kind
  • Studien belegen, dass auch die Hautfarbe eine Rolle spielt: die Chance zur Todesstrafe verurteilt zu werden ist höher, wenn der Schuldige schwarz und das Opfer weiß ist
  • Gerichtsfälle, in denen die Todesstrafe verhängt wurde, sind durchschnittlich etwa 700.000 Dollar teurer, als Verfahren ohne Todesstrafe

Quelle: dpa, Death Penalty Information Center

Ein Grund, warum sich die Debatte stetig weiter in Richtung Abschaffung verschiebt. Seit den 1970er Jahren wurden landesweit 197 Todesurteile wegen der erwiesenen Unschuld der Verurteilten aufgehoben. Hinzu kommen praktische Gründe wie Schwierigkeiten in der Beschaffung der Todesspritze. Mehrere Staaten lassen daher andere Hinrichtungsmethoden zu.

In den USA ist erstmals ein zum Tode Verurteilter mit einer neuen Stickstoff-Methode hingerichtet worden. Seine Anwälte hatten vergeblich versucht, die Hinrichtung zu stoppen.

26.01.2024 | 00:20 min
In Alabama wurde Anfang des Jahres erstmals ein Mann mit Stickstoffgas hingerichtet, die EU spricht von einer "besonders grausamen" Methode. Idaho erlaubte im Juli als fünfter US-Staat zum Tode verurteilte Menschen per Erschießungskommando hinzurichten.

Große Unterschiede zwischen Republikanern und Demokraten

Ende 2023 war erstmals eine Mehrheit der Amerikaner für eine Abschaffung der Todesstrafe. In der Umfrage des Forschungsinstitutes Gallup zeigt sich zudem ein großer Unterschied in der Parteizugehörigkeit. 81 Prozent der befragten Republikaner befürworten die Todesstrafe im Vergleich zu nur 32 Prozent der Demokraten.
Dementsprechend ist auch die geografische Aufteilung des Landes nicht verwunderlich. In klassisch republikanischen Staaten, wie etwa Texas, werden die meisten Hinrichtungen durchgeführt. Die Politik dort hält an der Vorstellung einer abschreckenden Wirkung fest.

Im Rennen um die US-Präsidentschaftskandidatur steht der sogenannte "Super Tuesday" an. In 15 Bundesstaaten halten Republikaner und Demokraten parteiinterne Vorwahlen ab.

05.03.2024 | 00:22 min

Experte: Abschreckung als Motiv kein Grund

Aus Sicht vieler Fachleute und Jurist*innen ist das Unsinn. Entgegen politischer Versprechen stellt Fachjurist Blume klar:
Es gibt keine empirischen Belege dafür, dass die Todesstrafe abschreckend wirkt.
Prof. John Blume, Cornell Universität
Mazzola von Amnesty International sagt, man müsse sich zwar weiter gegen rückschrittliche Gesetzgebungen wehren, der Weg zur Abschaffung sei noch lang, aber es gehe voran. Auch Blume stimmt dem zu.
Politisch jedoch bewegt sich weniger. Im Wahlkampf 2020 hatte Joe Biden versprochen, die Todesstrafe abzuschaffen. Passiert ist nichts. Donald Trump hingegen wirbt für die Todesstrafe, will sie bei einem Wahlsieg etwa auf Schleuser ausweiten.
Anna Kleiser ist Korrespondentin im ZDF-Studio Washington.

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