: Warum Russland jetzt angreift

von Christian Mölling und András Rácz
23.12.2022 | 21:50 Uhr
Seit Kriegsbeginn versucht Russland, die strategisch wichtige Stadt Bachmut im Donbass einzunehmen. Doch bisher scheitert Moskau dort, die ukrainische Verteidigung zu knacken.
Bislang scheitert Russland, die strategisch wichtige Stadt Bachmut in der Ostukraine einzunehmen.Quelle: AP
Bachmut, eine Stadt mit ehemals rund 70.000 Einwohnern, hatte vor 2014 keine große strategische Bedeutung. Ihre heutige Bedeutung ergibt sich aus der Tatsache, dass sie eine der am stärksten befestigten Städte in der Region Donezk war und in der Nähe der Frontlinie von 2014 lag. Sie war zuvor eine der vielen, relativ kleinen Industriestädte in der ukrainischen Region Donezk.
Die Stadt, die seit der Sowjetzeit bis 2016 Artemovsk hieß, war berühmt für ihren Bergbau: Das Salzbergwerk im Vorort Soledar beherbergt einen der größten unterirdischen Räume der Welt. Neben dem Bergbau war Bachmut auch ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt.

Prorussische Separatisten besetzten 2014 Bachmut

Während des Ausbruchs des Krieges im Jahr 2014 war Bachmut einige Wochen lang von prorussischen Separatisten besetzt. Seitdem haben die ukrainischen Streitkräfte die Verteidigungsanlagen von Bachmut verstärkt.
Dieser Teil der Donbass-Region ist so stark befestigt, dass die russischen Streitkräfte zu Beginn der Eskalation im Februar ursprünglich nicht beabsichtigten, ihn frontal anzugreifen. Stattdessen starteten sie nur kleine Sondierungsangriffe, die darauf abzielten, die ukrainischen Verteidiger in Schach zu halten, während das Hauptziel Russlands darin bestand, eine groß angelegte strategische Einkreisung zu erreichen.

Russland scheiterte, Bachmut in die Zange zu nehmen

Der nördliche Teil der beabsichtigten Zangenbewegung wäre von der Region Charkiw ausgegangen, der südliche von Saporischschja. Wäre dieses Manöver gelungen, hätten die russischen Truppen etwa die Hälfte der ukrainischen Streitkräfte einkesseln können.
Die starke ukrainische Verteidigung in den Regionen Saporischschja und Cherson im Frühjahr und die ukrainische Gegenoffensive, die Cherson im September befreite, machten diese russischen Pläne jedoch unmöglich. Die strategische Einkreisung war vom Tisch.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.

Verlustreicher Stellungskrieg im Donbass

Danach verlagerten die russischen Truppen allmählich ihren Schwerpunkt: Seit dem Spätsommer greifen sie den Donbass frontal an und schicken eine Angriffswelle nach der anderen gegen die ukrainischen Verteidigungsanlagen.
Da die russische Artillerie immer noch viel stärker ist als die ukrainische, stützt sich die russische Offensive auf ein extremes Artilleriefeuer, nach dem die Infanterie zum Einsatz kommt. Die Ukraine kann diese Angriffe jedoch schon seit Monaten weitgehend abwehren, und die Kämpfe sind größtenteils Stellungskämpfe.

Russland opfert in Bachmut bewusst Kanonenfutter

Die Verluste sind auf beiden Seiten extrem hoch. Dies gilt umso mehr, seit Russland begonnen hat, sowohl zwangsmobilisierte Soldaten als auch eilig gebildete Einheiten einzusetzen, die sich aus Männern der so genannten Donezker und Luhansker Volksrepublik zusammensetzen. Diese schlecht ausgebildeten und schlecht ausgerüsteten Einheiten erleiden extreme Verluste.
Viele von ihnen werden als Kanonenfutter eingesetzt, das die ukrainischen Verteidiger dazu bringen soll, ihre Stellungen preiszugeben, während die Angreifer vernichtet werden.

Moskau erzielt minimale Erfolge bei hohem Aufwand

Im November und Anfang Dezember gelang es den russischen Streitkräften, sich den Außenbezirken von Bachmut zu nähern. Sie versuchten, die Stadt einzukesseln, indem sie die Vororte Bachmutske und Soledar im Norden und Klischiivka im Süden einnahmen.
Mitte Dezember verstärkte die Ukraine jedoch ihre Verteidigung und drängte die russischen Streitkräfte zurück. Eine russische Einkreisung von Bachmutske ist kurzfristig nicht realistisch.

Weitere Festungsstädte verhindern russische Donbass-Einnahme

Doch selbst wenn Bachmut fallen sollte, hieße das noch lange nicht, dass es den Russen gelingt, den Rest des Donbass einzunehmen. Die gesamte Region ist stark befestigt, und nach Bachmut gibt es mindestens drei weitere Festungsstädte: Konstantinivka, Slovyansk und das Hauptquartier Kramatorsk.
Letztere war vor dem Krieg eine Großstadt mit etwa 150.000 Einwohnern und ist heute das Hauptquartier der ukrainischen Verteidigung des Donbass. Allein die Eroberung Kramatorsk würde Monate dauern. Selbst wenn Bachmut fallen würde, ist es daher höchst unwahrscheinlich, dass die Russen in absehbarer Zeit den Rest des Donbass einnehmen könnten.
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