FAQ

: Hält der Bund das Zwei-Prozent-Ziel ein?

von Kevin Schubert
20.08.2023 | 19:27 Uhr
Hält Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato in Zukunft ein? Ja, bekräftigt SPD-Chef Klingbeil im ZDF-Sommerinterview. Doch Berechnungen von Experten zeichnen ein anderes Bild.
Bundeswehrsoldaten in Litauen: Stärkung der Nato-Ostflanke.Quelle: dpa
Eigentlich sah es doch gut aus. Nach Jahren des Dauerstreits wollte Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der Nato endlich erreichen. "Jahr für Jahr" werde Deutschland nun mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in seine Verteidigung investieren, versprach Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Februar 2022. Da war Russland gerade in die Ukraine einmarschiert. Es war "Zeitenwende".
Aber ist die "Zeitenwende" wirklich im Verteidigungsbudget angekommen?
Während SPD-Chef Lars Klingbeil im ZDF-Sommerinterview betont, "die zwei Prozent werden eingehalten", sehen Experten eine gewaltige Finanzierungslücke - trotz Sondervermögen. Die Zahlen im Check.

Das gesamte Sommerinterview mit SPD-Chef Lars Klingbeil.

20.08.2023 | 19:53 min

Was ist das Zwei-Prozent-Ziel der Nato?

Bereits 2006 haben sich die Nato-Staaten darauf verständigt, mindestens zwei Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung zu investieren. So soll die militärische Einsatzbereitschaft des Bündnisses langfristig gewährleistet werden.
Erst im Juli erneuerten die Staaten diese Zielsetzung beim Nato-Gipfel in Vilnius. Im Abschlussdokument verpflichten sich die Staaten, "dauerhaft mindestens zwei Prozent unseres BIP jährlich in die Verteidigung zu investieren".

Der Nato-Gipfel in Vilnius hat sich auch mit dem Status der Ukraine beschäftigt.

12.07.2023 | 33:07 min

Wie weit ist Deutschland bislang vom Zwei-Prozent-Ziel entfernt?

Um es kurz zu halten: milliardenweit.
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Kalten Kriegs hat Deutschland den Anteil der Militärausgaben deutlich verringert. Das zeigt unter anderem die Datenbank für Militärausgaben des Stockholmer Friedensforschungsinstituts Sipri, wonach Deutschland 2022 nur 1,39 Prozent des BIP in seine Verteidigung gesteckt hat:
ZDFheute Infografik
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In den offiziellen Nato-Zahlen ist die Finanzierungslücke zum Zwei-Prozent-Ziel zwar etwas kleiner. Das Verteidigungsbündnis schätzt, dass Deutschland im vergangenen Jahr 1,49 Prozent des BIP in die Verteidigung investiert hat, wobei der Unterschied durch Abweichungen bei der Datenerhebung erklärbar ist. Gut sind aber auch diese Zahlen nicht: Gemessen am BIP liegt Deutschland im Nato-Vergleich lediglich auf Rang 19 von 30.

Immer weniger Frauen und Männer zeigen Interesse an dem Soldatenberuf. Die Zahl der Bewerber sinkt weiter.

03.08.2023 | 02:05 min

Erreicht Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel denn in Zukunft?

Hier wird es spannend - und es lohnt sich, die Frage um das 100-Milliarden-Sondervermögen zu erweitern, mit dem die Bundeswehr nach Jahren der Sparpolitik und Unterfinanzierung aufgerüstet werden soll.
Noch bei seiner Sommerpressekonferenz im Juli hat Kanzler Scholz seine Ambitionen beim Zwei-Prozent-Ziel wiederholt. "Nächstes Jahr werden wir das aus Haushaltsmitteln und dem Sondervermögen das erste Mal erreichen", sagte Scholz, und fügte hinzu: "Das wird auch so bleiben, auch wenn das Sondervermögen aufgebraucht ist." Auch SPD-Chef Klingbeil ist im ZDF-Sommerinterview deutlich:
Die zwei Prozent werden eingehalten.
SPD-Chef Lars Klingbeil
Berechnungen von Experten lassen daran jedoch erhebliche Zweifel aufkommen. So kommt eine Auswertung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) zu dem Schluss, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel 2024 in der bislang geplanten Finanzierung um sieben Milliarden Euro verfehlen wird - und das trotz Sondervermögen. Demnach investiere Deutschland insgesamt rund 78 Milliarden Euro in die Verteidigung, die sich wie folgt zusammensetzen:
  • Verteidigungshaushalt: 51,8 Milliarden Euro
  • Sondervermögen: 19,2 Milliarden Euro
  • Anteile anderer Haushalte: etwa 7 Milliarden Euro
"Das Zwei-Prozent-Ziel der Nato wird in 2024 aber circa 85 Milliarden Euro als Verteidigungsausgaben erfordern", schreiben die Autoren.
Auch das Münchener Wirtschaftsinstituts ifo macht im Haushaltsentwurf für 2024 noch eine gewaltige Finanzierungslücke aus. "Wenn wir in den Haushaltsentwurf schauen, dann stellen wir fest, dass der Verteidigungshalt gemeinsam mit dem Sondervermögen nur für 1,7 Prozent der Wirtschaftsleistung steht", sagt ifo-Militärexperte Marcel Schlepper.
Es fehlen also 14 Milliarden.
ifo-Militärexperte Marcel Schlepper
Doch damit nicht genug: "Schlimmer noch wird die zukünftige Lücke sein, denn nach bisheriger Planung werden die Gesamtverteidigungsausgaben nach 2026 massiv abfallen, sobald das Sondervermögen aufgebraucht ist und der reguläre Verteidigungshaushalt konstant bleibt", schreiben die Autoren der DGAP-Studie.
Wirtschaftsexperte Hubertus Bardt vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln beziffert diese Lücke für die Zeit nach dem Sondervermögen auf fast 40 Milliarden Euro - und das jedes Jahr. Diese dauerhafte Lücke "ist in der bisherigen Haushaltsplanung unberücksichtigt und stellt ein wesentliches, aber planbares Ausgabenrisiko für den Bundeshaushalt dar", kritisiert Bardt.

Ist abzusehen, dass die Bundesregierung hier nachbessert?

Auch wenn Klingbeil im Sommerinterview betont, dass das Zwei-Prozent-Ziel "nicht aufgeschoben" werde - im jüngsten Entwurf des Haushaltsfinanzierungsgesetzes, der dem ZDF vorliegt, wurde das Jahr 2024 gestrichen. Nun heißt es dort nur noch allgemein, dass die "gegenüber der Nato getätigte Zusage, dauerhaft jährlich mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Verteidigung aufzuwenden, zu erfüllen" sei.

Warum ist das Zwei-Prozent-Ziel der Nato überhaupt wichtig?

Hier steht die Frage im Raum: Wie verlässlich ist Deutschland als internationaler Partner? Zwar verweist SPD-Chef Klingbeil im Sommerinterview auch auf andere Faktoren. So ist Deutschland nach anfänglichem Zögern längst der zweitgrößte Waffenlieferant der Ukraine und liefert dabei auch schwere Waffen. "Die sicherheitspolitische Rolle Deutschlands ändert sich", sagt Klingbeil, "das sieht auch jeder."

Die Ukraine versichert, keine westlichen Waffen auf russischem Gebiet einzusetzen. An solchen Waffen werden ukrainische Soldaten unter anderem bei der Bundeswehr ausgebildet.

17.08.2023 | 01:27 min
Das befreit Deutschland allerdings nicht vom Zwei-Prozent-Ziel, zu dem es sich selbst verpflichtet hat. Zumal die Bundesregierung nicht darauf setzen sollte, das andere Nato-Staaten ihr in dem Punkt Absolution erteilen. 2024 wählen die USA als größter und wichtigster Nato-Partner einen neuen Präsidenten. Was, wenn Donald Trump es trotz all der Prozesse gegen ihn noch einmal ins Weiße Haus schafft?
Die USA sind schon lange - auch vor Trump - unzufrieden, aber mit der Frage, ob Trump womöglich erneut Präsident werden könnte, bekommt das Problem eine neue Brisanz: Die im Vergleich hohen, amerikanischen Nato-Ausgaben sind ihm ein Dorn im Auge. Es ist nicht auszuschließen, dass er in einer zweiten Amtszeit die Nato-Finanzierung erneut in Frage stellt. Spätestens dann sollten Deutschland und die anderen Partner ihren Teil der Abmachung geregelt haben.
Quelle: mit Material von dpa und AFP

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