Faktencheck

: Wie wahr waren die Aussagen der Kandidaten?

von Nils Metzger
31.05.2024 | 14:53 Uhr
In der ZDF-Wahlsendung "Wie geht's, Europa?" diskutierten die Parteien über Verhandlungen im Ukraine-Krieg, den Klimawandel und Migrationspolitik. Haben dabei alle Fakten gestimmt?

Acht Kandidatinnen und Kandidaten, acht unterschiedliche politische Konzepte zur Europawahl 2024.

30.05.2024 | 90:04 min
Sieben Spitzenkandidaten und ein eingesprungener Krah-Ersatz der AfD - das waren die Teilnehmer der ZDF-Wahlsendung "Wie geht’s, Europa?" am Donnerstagabend. Bei den Wortgefechten rund um die anstehende Europawahl am 9. Juni wurde mit vielen Zahlen und Fakten argumentiert. Welche davon halten einer Überprüfung nicht stand? Die Aussagen im Faktencheck.

AfD-Kandidat René Aust zu den Anerkennungsquoten für Asylbewerber

Wie viele Menschen, die in die EU kommen, erhalten tatsächlich einen Schutzstatus? "Nach dem deutschen Asylrecht sind es etwa 0,7 Prozent - alles andere sind weitergehende [Schutzrechte]", sagte AfD-Vertreter René Aust. Moderatorin Dunja Hayali ging dazwischen:
Die Anerkennungsquote in Deutschland liegt bei 70 Prozent, die Anerkennungsquote der EU-geflüchteten Menschen liegt bei 80 Prozent.
Dunja Hayali, Moderatorin
"Nach anderen rechtlichen Bedingungen als im Asylrecht", entgegnete Aust. Was steckt hinter diesen höchst unterschiedlichen Zahlen?
Grundsätzlich kennt Deutschland vier verschiedene Schutzformen, die das zuständige Bundesamt (BAMF) bei einem Asylantrag prüfen muss. Das Asylrecht nach Art. 16a des Grundgesetzes ist nur eine davon. Es machte 2023 tatsächlich nur 0,7 Prozent aller BAMF-Bewilligungen aus, bezieht man die anderen gesetzlich vorgeschriebenen Kategorien mit ein, kommt man auf ein Gesamtbild etwas über 50 Prozent Gesamtschutzquote bei rund 261.000 Entscheidungen 2023 - blendet man die 25 Prozent sogenannten "formellen Entscheidungen" aus, bei denen das BAMF einen Antrag inhaltlich gar nicht prüft, etwa weil ein anderer EU-Staat zuständig ist, dann sind rund 69 Prozent Anerkennungsquote korrekt.

René Aust ist Europa-Kandidat der AfD. Seine Partei setzte ihn letztes Jahr auf Platz drei der Liste. Da Spitzenkandidat Krah nicht mehr vorzeigbar ist, soll es nun Aust richten.

31.05.2024 | 01:13 min
Die drei weiteren Kategorien sind Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz und ein Herkunftsland mit Abschiebeverbot. Diese weiteren Kategorien sind im Asylgesetz geregelt, womit Deutschland Vorgaben etwa der Genfer Flüchtlingskonvention oder der Europäischen Union umsetzt. So werden etwa Personen geschützt, die aus Kriegs- und Krisengebieten fliehen.
Ein Grund, weshalb das Recht auf Asyl nur so einen geringen Anteil an der Gesamtzahl ausmacht, ist das kategorische Verbot einer Einreise über einen sicheren Drittstaat. Das Recht kann also nur in Anspruch nehmen, wer auf dem See- oder Luftweg nach Deutschland kommt. Die anderen Kategorien kennen weniger Einschränkungen. Der AfD-Kandidat Aust gab auf die Frage also eine unvollständige Antwort, indem er sich nur auf das Asylrecht bezog.

AfD-Kandidat René Aust zu den Russland-Sanktionen

Man [hat] mittlerweile seit zwei Jahren das 13. Sanktionspaket gegen Russland auf der europäischen Ebene beschlossen. (…) Man kann doch nicht glauben, dass man weiterhin das Gleiche machen kann und ein anderes Ergebnis erwartet.
René Aust, AfD
Das Ziel der EU-Sanktionen ist, "Russlands Fähigkeit zur Finanzierung des Krieges zu schwächen". Dieses Ziel wurde bislang klar verfehlt. Russlands Rüstungsindustrie konnte die Kapazitäten massiv hochfahren, Arbeitslosigkeit und Löhne entwickeln sich gut. Der Internationale Währungsfonds rechnet mit einem Wirtschaftswachstum von 3,2 Prozent in diesem Jahr.
Jedoch ist der Effekt solcher Sanktionen langfristig ausgelegt und zwei Jahre sind zu kurz, damit sie die volle Wirkung entfalten können. "Sanktionen zeigen niemals schnelle ökonomische Auswirkungen und verändern nicht die Politik eines Landes", so der russische Ökonom Igor Lipsits zum MDR.

Xi Jinping und Wladimir Putin sind Partner, die voneinander profitieren. Seit den westlichen Sanktionen gegen Russland liefert Peking einige Güter, die Russlands Militär helfen.

16.04.2024 | 01:25 min
Aktuell kann Russland viele der Sanktionen über China und Zentralasien umgehen und bei Weitem nicht alle Produkte und Rohstoffe sind sanktioniert. Moskau erzwingt sein Wirtschaftswachstum durch massive Staatsausgaben; noch geht das, dank der Reserven aus dem Öl- und Gasgeschäft. Doch die sind endlich. Der Energiekonzern Gazprom meldete Anfang Mai einen Verlust von 6,4 Milliarden Euro. Der Fokus auf Rüstung bedeutet Kürzungen bei sozialen Leistungen, Bildung und Investitionen. Am langfristigen Effekt zweifelt Ökonom Lipsits darum nicht:
Die Sanktionen werden die russische Wirtschaft langanhaltend und unwiderruflich zerstören. Die russische Wirtschaft wird degenerieren, immer rückständiger, ärmer und perspektivloser werden, und Russland wird sich zu einem Randgebiet der Welt zurückentwickeln.
Igor Lipsits, russischer Ökonom

BSW-Kandidat Fabio De Masi zu US-Militäreinsätzen

Es gab seit Ende des Kalten Krieges über 250 Militäreinsätze, an denen auch die USA beteiligt waren (…), wir haben das nicht über Sanktionen gelöst, sondern immer am Ende über Verhandlungen.
Fabio De Masi, Bündnis Sahra Wagenknecht
Dem widerspricht der Militärhistoriker Sönke Neitzel von der Universität Potsdam: "Diese Aussage ist irreführend und in ihrer Kernaussage schlicht falsch", so Neitzel zu ZDFheute.
"Man denke nur an den Irak-Krieg 1990/91. Es gab wohl Waffenstillstandsverhandlungen, die aber nur die Niederlage der Iraker festschrieben. Von echten Verhandlungen wird man kaum sprechen können. Gleiches gilt für den Irak-Krieg 2003." Diplomatie sei immer in irgendeiner Form an der Beendigung eines Krieges beteiligt, zumeist werde aber nur der "Status quo der militärischen Situation fixiert", erklärt Neitzel.

Fabio de Masi ist Spitzenkandidat für das Bündnis Sahra Wagenknecht. Kernforderungen: Weniger Bürokratie aus Brüssel, Friedens-Diplomatie mit Putin und höhere Steuern für Banken.

31.05.2024 | 01:12 min

FDP-Kandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann zum Tempolimit

Warum es nur auf deutschen Autobahnen kein allgemeines Tempolimit gibt?
Weil es keine Mehrheit dafür gibt, die das umsetzt.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann, FDP
Seit Jahren spricht sich aber eine Mehrheit der Deutschen klar für die Einführung eines Tempolimits auf Autobahnen aus. In einer Allianz-Umfrage sprachen sich 71 Prozent für ein allgemeines Tempolimit aus, in einer aktuellen repräsentativen "Bild"-Umfrage 57 Prozent. 55 Prozent der ADAC-Mitglieder sind dafür.
Auch in der aktuellen Regierungskoalition gibt es auf dem Papier eine Mehrheit - Grüne wie SPD hatten die Forderung in ihren Wahlprogrammen stehen. Gescheitert ist die Einführung jedoch am Widerstand der FDP, die sich damit in der Koalition durchsetzen konnte. Strack-Zimmermann sagt damit nicht die Unwahrheit, unterschlägt aber, dass es ihre Partei war, die es verhindert hat.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann ist die Spitzenkandidatin der FDP. Kernforderungen sind: Europas Verteidigung stärken, mehr Freihandelsabkommen und die EU soll KI-Hotspot werden.

31.05.2024 | 01:07 min

CDU-Kandidat Daniel Caspary zur Motivation für Migration

Unter den Zielländern für Migration gibt es wenige Ziele, die so beliebt sind wie Deutschland. "Die Bundesregierung ist gefordert, die Magnetfunktion in Deutschland abzuschalten", sagte CDU-Spitzenkandidat Daniel Caspary unter Verweis auf sogenannte "Pull-Faktoren" der Sozialsysteme, die erklären sollen, weshalb Migranten bestimmte Länder bevorzugen würden. "Es gibt etliche Studien, die genau das nahelegen", so Caspary.
In der Fachwelt wird das Modell jedoch als überholt angesehen. "Die Höhe von Sozialleistungen ist nicht entscheidend für Migrationsbewegungen", so das Fazit einer Expertenanhörung im Bundestag Anfang April. Entscheidender seien die Community vor Ort, Arbeitsperspektiven und die demokratische Verfasstheit des Ziellandes, heißt es auf der Bundestags-Webseite.
Die wissenschaftliche Geschäftsführerin des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) nannte die These von Pull-Faktoren "bestenfalls unvollständig". Eine Absenkung von Leistungen werde Migration nicht reduzieren, so Vera Egenberger vom Deutschen Gewerkschaftsbund.

Kaum ein Thema spaltet Europa so sehr wie die Migration. 2015 herrschte Willkommenskultur, seitdem schwenkt die EU zu einem härteren Umgang mit Geflüchteten.

16.05.2024 | 45:19 min

SPD-Kandidatin Katarina Barley zum EU-Migrationspakt

Zu kaum einem Thema gingen die Meinungen unter den Kandidaten so weit auseinander wie zum EU-Migrationspakt, mit dem die EU-Staaten in diesem Jahr Asylregeln verschärft haben.
Es gibt im Moment diese Elendslager wie in Moria. Wenn wir jetzt sagen, wir machen nichts, dann bleibt das so. Wir haben uns jetzt entschlossen, etwas zu machen.
Katarina Barley, SPD
Ein zentraler Aspekt der neuen Asylregelungen ist jedoch, dass Personen aus Staaten mit geringer Anerkennungsquote in haftähnlichen Zuständen in Lagern an den EU-Außengrenzen untergebracht werden. Staaten wie Italien oder Griechenland, die schon zuvor mit unmenschlichen Bedingungen, Überfüllung und Unterfinanzierung ihrer Aufnahmeeinrichtungen Schlagzeilen gemacht haben, erhalten so weitere Befugnisse, Lebensbedingungen der Asylbewerber zu erschweren.

Katarina Barley ist Spitzenkandidatin der SPD. Kernforderungen: Die europäische Arbeitslosenversicherung, die Digitalisierung beschleunigen, die EU zur Friedensmacht ausbauen.

31.05.2024 | 01:12 min
Auf mehreren Inseln betreibt Griechenland schon jetzt solche "geschlossenen Lager" und entzieht das Leid so noch mehr den Augen der Öffentlichkeit. Die neuen Regelungen sehen beschleunigte Verfahren vor, doch schon früher konnten Fristen wegen Überlastung nicht ansatzweise gehalten werden. Auch Frauen und Kinder säßen dann in diesen Haftlagern fest.
"Es ist klarer denn je, dass der EU-Migrationspakt das europäische Asylrecht auf Jahrzehnte zurückwerfen wird, zu mehr Leid führen wird und Menschen an jedem Schritt ihrer Reise größerem Risiko von Menschenrechtsverletzungen aussetzen wird", so die Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Elendslager wie in Moria könnten zunehmen.

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