: Israel: Die Schwierigkeit mit der Staatsräson

von Kristina Hofmann
10.10.2023 | 15:07 Uhr
Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson. Viele betonen seit dem grauenhaften Überfall der Hamas diesen Grundsatz. Doch was bedeutet er konkret? Da wird es schwierig.
Quelle: dpa
"Die Sicherheit Israels ist deutsche Staatsräson." Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) betont es seit dem Überfall der Hamas auf Israel immer wieder, auch noch einmal am Dienstag. Keine Äußerung von einer deutscher Parteien in diesen Tagen ohne diesen Satz. Doch was er konkret bedeutet, darüber ist man sich schon nicht mehr so einig.

Sicherheit Israels, Existenz Israels: Wer legt Staatsräson wie aus?

Für Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge etwa gibt es keinen Zweifel:
Das Existenzrecht Israels ist Staatsräson. Das gilt immer und gilt gerade in dieser so schweren Zeit.
Katharina Dröge (Grüne)
Übersetzt heißt das für Dröge: "Wir werden alles tun, um Israel zu helfen." Schließt das militärische Hilfe ein? Wird Deutschland wie die USA Geld und Waffen liefern? "Es gibt bislang keine konkrete Anfragen aus Israel", sagt Dröge. Jedenfalls wohl keine offiziellen.
Da die israelische Armee "gut ausgestattet" sei, sei mit militärischen Anfragen wohl nicht zu rechnen. Anfragen würden, so Dröge, aber "immer positiv beantwortet".
Die FDP sieht das ähnlich, wird aber noch ein bisschen genauer. Fraktionschef Christian Dürr sagt:
Es ist die Sicherheit, aber ausdrücklich die Existenz des israelischen Staates, die zur deutschen Staatsräson gehört.
Christian Dürr (FDP)
Sicherheit und Existenz. Das bedeute auch, so Dürr, "dass wir geopolitisch alles dafür tun, dass Israel als einzige Demokratie im Nahen Osten in Zukunft politisch erfolgreich ist". Wenn es in Deutschland Hamas-freundliche Demonstrationen wie in Berlin oder Duisburg gebe, "dann ist das das Gegenteil von deutscher Staatsräson", so Dürr.

Wegen der Kämpfe zwischen Israel und der Hamas versuchen viele Menschen, Israel zu verlassen. Auch zahlreiche Deutsche sitzen in Israel fest und suchen Wege aus dem Land.

10.10.2023 | 01:55 min

Union: Ampel muss Regierungsflieger schicken

Für die SPD geht es momentan auch darum, die verschleppten Menschen aus den Händen der Hamas zu befreien. "Alles, was wir tun können, an Unterstützung und Hilfe, das soll von Deutschland aus erfolgen", so SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. CDU-Parteichef Friedrich Merz geht diese Hilfe allerdings noch nicht weit genug.
Die Bundesregierung hätte schon längst eine Möglichkeit einräumen müssen, die deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die noch im Land sind, zurück nach Deutschland zu bringen.
Friedrich Merz (CDU)
Wenn die Lufthansa alle Flüge nach Israel gestrichen habe, dann müssten Regierungsmaschinen zur Verfügung gestellt werden, so CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt, um Schulklassen oder Reisgruppen aus Israel zurückzuholen. Aus dem Auswärtigen Amt heißt es, man verhandele mit den Fluggesellschaften.

Nach dem Angriff auf Israel durch Terroristen der Hamas haben Sympathisanten die Angreifer in mehreren Städten in Deutschland offen bejubelt und Süßigkeiten verteilt. In Berlin prüft die Polizei ein Verbot entsprechender Demonstrationen.

10.10.2023 | 01:41 min
AfD und Linke stehen ebenfalls zu Israel. Für die Linke aber gibt es Einschränkungen. "Das Existenzrecht ist nicht verhandelbar", sagt Fraktionschefin Amira Mohammed Ali. "Es ist aber fraglich, ob das Vorgehen Israels in Gaza mit dem Völkerrecht vereinbar ist."

Ampel setzt Merkel-Politik fort

Militärische, humanitäre, politische, finanzielle, moralische Hilfe? Unter Staatsräson versteht momentan jeder ein bisschen etwas anderes und von allem ein bisschen etwas. Israel bestellt zum Beispiel U-Boote in Deutschland, Deutschland das Luftabwehrsystem Arrow 3 in Israel. Die kulturellen Verbindungen sind eng, es gibt viele Ansätze der Widergutmachung der historischen Schuld.
Es war Bundeskanzlerin Angela Merkel, die 2008 in einer Rede vor dem israelischen Parlament, der Knesset, die Staatsräson feierlich versichert hatte und sie mit historischen Schuld Deutschlands nach der Ermordung von Millionen Jüdinnen und Juden in der Zeit des Nationalsozialismus begründete:
Diese historische Verantwortung Deutschlands ist Teil der Staatsräson meines Landes. Das heißt, die Sicherheit Israels ist für mich als deutsche Bundeskanzlerin niemals verhandelbar.
Angela Merkel (CDU)

Der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, setzt sich auf der diplomatischen Ebene mit aller Kraft für die Freilassung der von der Hamas entführten Geiseln ein.

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Ganz neu war das damals nicht. Auch die sozialdemokratische Bundesregierung zuvor hatte dies schon vertreten, etwa durch ihren Botschafter Rudolf Dreßler. Die Staatsräson ist weiterhin Verpflichtung der aktuellen Ampel-Koalition. In ihrem Koalitionsvertrag heißt es:
Die Sicherheit Israels ist für uns Staatsräson. Wir werden uns weiter für eine verhandelte Zweistaatenlösung auf der Grundlage der Grenzen von 1967 einsetzen. Die anhaltende Bedrohung des Staates Israel und den Terror gegen seine Bevölkerung verurteilen wir.
Koalitionsvertrag der Ampel-Bundesregierung

Israel hat den gesamten Gazastreifen abgeriegelt und 25 Grenzorte fast komplett evakuiert. Eine Bodenoffensive der israelischen Armee scheint nur eine Frage der Zeit zu sein.

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Resolution des Bundestages am Donnerstag

Staatsräson bedeutet ein vorrangiges Interesse des Staates, das über allen anderen steht. Bundespräsident Joachim Gauck hatte Merkel öffentlich dafür kritisiert. Als er 2012 Israel besuchte und ein Krieg zwischen Iran und Israel drohte, sagte er:
Ich will mir nicht jedes Szenario ausdenken, welches die Bundeskanzlerin in enorme Schwierigkeiten bringt, ihren Satz, dass die Sicherheit deutsche Staatsräson ist, politisch umzusetzen.
Bundespräsident Joachimm Gauck 2012
Politisch fängt der Bundestag nun erst einmal klein an. Am Donnerstag soll eine Beschluss gefasst werden, der die Solidarität mit Israel untermauert und den Angriff der Hamas verurteilt Die Ampel-Parteien wollen den Beschlussantrag gemeinsam mit der Union einbringen, als parteiübergreifendes Zeichen. Allerdings: AfD und Linke sind nicht dabei. Sie wurden nicht gefragt.

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