: EU-Kommission gegen das Windkraft-Paradox

von Gunnar Krüger
24.10.2023 | 04:25 Uhr
Stell Dir vor, Europa will klimaneutral werden und die Hersteller von Windkraft-Anlagen stecken in der Krise. Wie die EU-Kommission eine Schlüssel-Industrie retten will.

Die Pläne der EU-Kommission, bis 2050 klimaneutral zu werden, konzentrieren sich vor allem auf die Windkraft. 2030 sollen 42,5 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen.

24.10.2023 | 00:21 min
Sie biegen Stahl, gießen Beton, auf der Baustelle des - nach Angaben des Bauherrn - größten Elektrolyseurs für grünen Wasserstoff in Europa. Maasvlakte 2 ist aufgespültes Land, das den Hafen von Rotterdam auf die Nordsee hinausschiebt. Man muss wohl an solche Ort fahren, um zu spüren, wie groß der Hunger nach grüner Energie ist.
Hier kommen Kabel an, mit Strom aus Windparks, die in der Nordsee stehen - und entstehen sollen. Hier ist Platz für vier weitere Anlagen, die mit Strom Wasser in seine Elemente spaltet - zum neuen Elixier energieintensiver Industrien. Hier beginnen Pipelines, die einmal bis an Rhein und Ruhr führen sollen.
Ich übertreibe nicht, wenn ich sage, dass sich hier die deutsche Energiewende entscheidet.
Nico van Dooren, Manager der Hafen-Verwaltung

2030 sollen 42,5 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen

Die EU setzt auf Windkraft für ihr Ziel, bis 2050 klimaneutral zu werden. Schon 2030 sollen 42,5 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen kommen. Allein dafür müsste die Windkraft-Kapazität von derzeit rund 200 Gigawatt auf 500 Gigawatt steigen. Der jährliche Neubau müsste sich verdoppeln. So lautet die Problem-Analyse in einem Plan, den die EU-Kommission Dienstagmittag vorlegen will.
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Die endgültige Version kann davon abweichen. Doch Giles Dickson kennt - wie alle, die sich in Brüssel mit dem Thema beschäftigen - das geleakte Dokument: "Das ist wichtig und dringend." Beim Industrieverband WindEurope heißen die Sitzungsräume "Mistral" oder "Tramuntana", der Blick geht über Brüssels Dächer zum Gebäude der EU-Kommission.

Fünf europäische Windturbinenhersteller haben letztes Jahr Verluste gemacht

Warum braucht eine Industrie, der die Politik eine so große Zukunft voraussagt, staatliche Hilfe?
Unsere Kosten sind in den letzten Jahren gestiegen, für Stahl und andere Rohstoffe - aber unsere Einkünfte nicht.
Giles Dickson, Windkraft-Lobbyist
Letztes Jahr hätten alle fünf europäischen Windturbinenhersteller Verluste gemacht. "Das muss sich ändern." Sonst bestehe ein "echtes Risiko", dass Europa seine Windkraft-Industrie verliere.
Das Problem der Firmen, die Dicksons Verband vertritt, wird zum Problem der ganzen EU. Denn der Grund für die Verluste liegt in China. Dessen Hersteller kommen günstiger an Rohstoffe, würden - so die Vermutung - versteckt subventioniert und liegen damit unter dem Preis, die Europäer aufrufen. Erste Anlagen stehen in Italien und in Frankreich, etwa in Vannier bei Besançon.

Schnellere Genehmigungen für den Transport von Windkraftanlagen

"In jeder Windkraftanlage stecken 300 Sensoren. Die sammeln Massen von Daten. Wir wollen, dass die in Europa bleiben", sagt Dickson. Im Entwurf schreibt die Kommission, sie werde "Cyber-Sicherheits-Risiken identifizieren […] mit Blick darauf, ob Daten genutzt werden könnten, um die Versorgungsicherheit der EU mit Elektrizität zu gefährden".
Sprich: Bitte nicht noch eine Hintertür für China zu kritischer Infrastruktur. Es wäre ein Wettbewerbsvorteil für Europäer - und China hätte eine Antwort.
Noch ist das ein Prüfauftrag am Experten - mehr nicht. Konkreter schauen die Grünen auf das Windkraft-Paket. Das sieht laut Entwurf auch vor, dass Genehmigungen für den Transport von Windkraftanlagen schneller erteilt werden.
"Es ist ein Skandal, dass über 20.000 Anträge für Schwertransporte von Windkraftanlagen über deutsche Autobahnen noch in der Warteschleife stecken", sagt Michael Bloss, klimapolitischer Sprecher. Schuld sei der liberale Verkehrsminister. Kleinkrieg der Koalitionäre - eine Randnotiz.

Der Schutz der heimischen Windkraft-Industrie hat seinen Preis

Die EU muss Größeres entscheiden: Sollen chinesische oder europäische Hersteller die Ausbau-Lücke schließen? Will sie ihre Klimaziele erreichen oder ihre Souveränität bewahren?
Mit dem Windkraft-Paket strebt die Kommission beides an. Doch der Schutz der heimischen Windkraft-Industrie hat seinen Preis, nach innen und außen.

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