Interview

: Was hat Macron da bloß geritten?

12.04.2023 | 11:44 Uhr
Alle Welt rätselt: Was war los bei Macrons jüngsten Taiwan-Äußerungen? Hier versucht ein ehemaliger französischer Top-Diplomat eine Antwort.
Der Präsidenten-Kenner: François HeisbourgQuelle: ZDF
Wer wissen will, wie es um französische Außenpolitik bestellt ist: der muss bei François Heisbourg durchklingeln. Der heute 73-Jährige war einer von Frankreichs absoluten Top-Diplomaten, beriet die Präsidenten Hollande und Sarkozy. Kaum einer kennt das Denken von Frankreichs Präsidenten so gut wie Heisbourg. Doch Macrons jüngste Äußerungen zu Taiwan haben auch ihn ratlos hinterlassen.
ZDFheute: Alle Welt fragt sich, was Emmanuel Macron bei seinen Äußerungen zu Taiwan geritten hat. Haben Sie eine Erklärung dafür?
François Heisbourg: Die kürzeste und einfachste Antwort darauf ist: So ist halt Macron. Er ist gewohnt, das zu tun, was man in Frankreich als "en même temps", also Gleichzeitigkeit bezeichnet.
Er glaubt in einer so starken Position zu sein, dass er gleichzeitig sehr unterschiedliche Politiken verfolgen kann.
Das haben wir in der Ukraine-Krise erlebt: als er einerseits der Ukraine half und gleichzeitig versuchte, eine Einigung mit Putin zu erzielen. Und jetzt eben sein Ansatz, kritisch gegenüber China zu sein und gleichzeitig die USA als die Macht zu bezeichnen, die hauptsächlich für Spannungen zwischen China und Taiwan verantwortlich ist. Das Problem dieser Gleichzeitigkeit ist nur: dass sie von unseren Partnern nicht verstanden wird.
ZDFheute: Sie sind sich also sicher: Das war kein Missverständnis?
Heisbourg: Sie erinnern sich bestimmt an Macrons Formulierung von 2019, dass die Nato "hirntot" sei, oder? Die Redaktion, der er das Interview gegeben hatte (der britische "Economist", Anm. der Red.), war davon so überrascht, dass sie mehrfach im Élysée-Palast nachgefragt haben: Will der Präsident wirklich, dass das im Interview auftaucht? Und die Antwort war: Auf jeden Fall! Und das gilt in diesem Fall auch: Er ist nicht falsch verstanden worden. Er wird die Aussagen jetzt nicht wiederholen, er wird andere Dinge sagen. Aber er wird diese Worte weder zurückholen wollen noch ersetzen.
ZDFheute: Macron hat ja dafür plädiert, dass Europa in der Taiwan-Frage gleichermaßen Distanz hält zu China wie zu den USA. Halten Sie das als ehemaliger französischer Diplomat für eine richtige Schlussfolgerung?
Heisbourg: Nein. Diese Analyse ist völlig falsch. Die USA haben keinerlei Absicht, Taiwan anzugreifen. China dagegen lässt keinen Zweifel an seinem Ziel: Es will mit allen Mitteln die Eingliederung Taiwans in den Machtbereich der Kommunistischen Partei Chinas erzwingen. Peking hat bereits mehrfach erklärt, dass dafür auch die Anwendung von Gewalt nicht ausgeschlossen ist.
Sollte das passieren, wäre das eine Katastrophe für Europa. Insofern ist eine Äquidistanz Europas gegenüber diesen beiden Mächten nicht möglich.
ZDFheute: Welchen Schaden hat Macron mit seinen Aussagen angerichtet?
Heisbourg: Den größten Schaden hat er paradoxerweise nicht gegenüber den USA angerichtet - sondern gegenüber den mittel- und osteuropäischen Ländern. In deren Augen wiederholt sich hier der Film eines Macron, der sanft gegenüber einem Diktator auftritt - so wie 2022 gegenüber Putin, jetzt also gegenüber Xi Jinping aus China. Dabei ist hier Neutralität schlicht keine Option.
ZDFheute: Stehen hinter den Aussagen Macrons womöglich harte wirtschaftliche Interessen? Immerhin ist Macron auf seiner Reise von einer großen Wirtschaftsdelegation begleitet worden, man hat zahlreiche Verträge unterzeichnet.
Heisbourg: Nun:
Wenn Macron glaubt, dass er leichter auf den Zugang zu amerikanischer Technologie verzichten kann als auf den Zugang zu chinesischer Technologie, dann kann man ihm nur Glück wünschen.
Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird. Im Moment sind die USA gegenüber China dafür zu stark. Das sieht man ja auch daran, dass die USA etwa die Niederlande dazu veranlasst haben, im wirklich grundlegenden Bereich der Halbleitertechnik auf der Seite der USA zu stehen - und den Export nach China zu beschränken.
ZDFheute: Was ist unterm Strich das Ergebnis dieser Reise?
Heisbourg: Leider haben sich meine Befürchtungen bestätigt. Das Ergebnis, diese Äußerungen von Macron, sind schlecht für die Beziehungen innerhalb der EU, für unsere Beziehungen mit den USA und für die Rolle Frankreichs im Indopazifik - der wirtschaftlich und strategisch wichtigsten Region der Welt.
Das Interview führte Florian Neuhann, Korrespondent im ZDF-Studio Brüssel.

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