: Kampf gegen Kinderarbeit in Schokoindustrie

von Marcel Burkhardt
23.02.2023 | 16:48 Uhr
Zwei deutsche Regierungsmitglieder wollen afrikanischen Kakaobauern aus existenzbedrohender Armut helfen. Kann das Lieferkettengesetz das leisten oder braucht es ganz neues Denken?
Svenja Schulze und Hubertus Heil in der Elfenbeinküste.Quelle: picture alliance / photothek
Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze und Arbeitsminister Hubertus Heil sind mit hehren Zielen nach Westafrika gereist: In der Elfenbeinküste, dem weltgrößten Kakaoproduzenten, wollen sie "den Menschen am Anfang der Lieferkette" aus der Not helfen, wie Schulze es sagte.

Kakao: Begehrter Rohstoff, arme Produzenten

Der Grund: Circa 60 Prozent des in Deutschland verarbeiteten Kakaos kommt aus der Elfenbeinküste - begehrter Grundstoff für edle Schokolade, der dem Großteil der ivorischen Bauern allerdings keinen Wohlstand bringt. Im Gegenteil: Sie leben in großer Armut. Die Folge: ausufernde Kinderarbeit.

Kinderarbeit in der Kakaoernte

Die Elfenbeinküste und Ghana produzieren circa 70 Prozent des weltweiten Kakaos. In den dortigen Plantagen schuften laut einer Studie der Universität Chicago fast 1,6 Millionen Minderjährige, obwohl dies in beiden Ländern offiziell verboten ist. Ein Grund: Viele Kleinbauern seien so mittellos, dass sie sich keine erwachsenen Hilfskräfte leisten könnten. Und: Kakaobohnen seien oft die einzige Einnahmequelle.

Einhergehend mit einem starken Anstieg der Kakaoproduktion in den vergangenen zehn Jahren hat auch Kinderarbeit in Ghana und der Elfenbeinküste zugenommen. In den Kakaoanbaugebieten ist nach Informationen des Inkota-Netzwerks fast jedes zweite Kind von "ausbeuterischer Kinderarbeit" betroffen. Hunderttausende Kinder müssen dort schwere Erntesäcke schleppen, mit Macheten und giftigen Pestiziden hantieren.

Desiré Adon ist einer der ungezählten ivorischen Bauern, die verzweifelt sehen, wie die Kosten für Lebensmittel und Dünger explodieren, während das ohnehin geringe Einkommen durch Inflation extrem an Wert verliert.
Derzeit ist es unmöglich, vom Kakaoeinkommen zu leben. Wir sind verdammt dazu, unter der Armutsgrenze zu existieren.
Desiré Adon, ivorischer Kakaobauer
An den für afrikanische Bauern viel zu geringen Kakaopreisen kann das deutsche Lieferkettengesetz nichts ändern, allerdings erhofft sich die Bundesregierung einen stärkeren Einfluss auf faire Arbeitsbedingungen in den Lieferketten der Industrie. So soll ausbeuterische Kinderarbeit eingedämmt werden.
"Wer global wirtschaftet, wer global Gewinne macht, muss auch global Verantwortung übernehmen", sagte Arbeitsminister Heil.

Was ist Kinderarbeit?

Mit dem Begriff "Kinderarbeit" wird Arbeit beschrieben, die der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schadet und/oder sie am Schulbesuch und Bildung hindert. Zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit zählen die Vereinten Nationen Tätigkeiten, die unter kriminellen und ausbeuterischen Bedingungen erfolgen und schädlich für die seelische und körperliche Gesundheit und Sicherheit sind.

Dazu zählen Kinderprostitution und Kinderpornografie, der Missbrauch von Kindern als Sklaven und Zwangsarbeiter, Soldaten oder Drogenschmuggler sowie schwer gesundheitsgefährdende Tätigkeiten wie Arbeit in Steinbrüchen oder in Bergwerken, das Tragen schwerer Lasten, der Umgang mit Chemikalien und gefährlichen Werkzeugen sowie Nachtarbeit.

Als Hauptgrund für Kinderarbeit gelten extreme Armut und Existenznot von Familien. Zuletzt hat die Corona-Pandemie weltweit Millionen Menschen ins Elend gerissen. Aber auch ausbeuterische Wirtschaftspraktiken, fehlende politische Fürsorge und Rechtsbrüche gelten als systemische Gründe für Armut und Kinderarbeit.

Wer ist von Kinderarbeit betroffen?

Laut Unicef ist die Zahl der Kinder von fünf bis elf Jahren in Kinderarbeit zuletzt deutlich angestiegen, sodass diese Altersgruppe inzwischen weltweit "etwas mehr als die Hälfte der von Kinderarbeit betroffenen Kinder stellt". 70 Prozent der Mädchen und Jungen arbeiten in der Landwirtschaft, 20 Prozent im Dienstleistungssektor und zehn Prozent in der Industrie.

Vom Schulbesuch abgehalten sind laut Unicef fast 28 Prozent der Kinderarbeiter im Alter von fünf bis elf Jahren und 35 Prozent der betroffenen Kinder im Alter von zwölf bis 14 Jahren. Die Zahlen zeigen: Kinderarbeit beeinträchtigt oder verhindert die Bildung der Kinder und grenzt ihre Zukunftschancen somit stark ein. Die meisten arbeitenden Kinder leben in Afrika und Asien.

Woher bezieht Unicef Informationen über Kinderarbeit?

"Eine der größten Quellen für statistisch fundierte und international vergleichbare Daten zur Kinderarbeit ist das von UNICEF unterstützte internationale Haushaltserhebungsprogramm Multiple Indicator Cluster Surveys (MICS)", erklärt Claudia Cappa, Unicef-Statistikexpertin. Dabei handele es sich um staatlich geführte Haushaltserhebungen, für die Unicef technische und finanzielle Hilfe leiste. "Bei einer typischen Haushaltsbefragung besuchen geschulte Feldarbeitsteams eine repräsentative Stichprobe von Haushalten und führen persönliche Interviews mit validierten Tools und Methoden durch", so Cappa.

Die Unicef-Expertin verweist in dem Zusammenhang auf "strenge Datenqualitätsprüfungen, die während der gesamten Umfragedurchführung angewendet werden". Ein international aktiver Datenerhebungsexperte, der namentlich nicht zitiert werden möchte, kritisiert dagegen "aus eigener Beobachtung" die häufig mangelhafte Ausstattung von Umfrage- und Kinderarbeit-Beobachtungsteams in ärmeren Ländern. Dies könne durchaus "einen wesentlichen negativen Einfluss auf die Qualität der Daten" haben.

Was fordert Unicef im Kampf gegen Kinderarbeit?

Setzt sich der aktuelle Negativtrend fort, steigt die Zahl ausgebeuteter Kinder weltweit weiter an statt bis 2025 gegen Null zu schrumpfen. Um den "generationenübergreifenden Teufelskreis" von Armut und Kinderarbeit zu brechen, fordert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen unter anderem einen "angemessenen sozialen Basisschutz für alle, einschließlich der existenzsichernden finanziellen Absicherung von Kindern".

Das Kinderhilfswerk fordert zudem mehr Mittel für Bildung und den Aufbau von Bildungsinfrastrukturen in Regionen, in denen es bislang keine Schulen gibt. Außerdem fordert Unicef eine "Förderung von menschenwürdiger Arbeit für Erwachsene, damit Familien nicht auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen sind", um das Familieneinkommen zu sichern.

Menschenrechtsaktivisten: Lieferkettengesetz "zahnlos"

Zum Hintergrund: Deutsche Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern, die zum Beispiel Rohstoffe von ausländischen Zulieferern beziehen, sind seit Jahresbeginn verpflichtet, mit Blick auf Menschenrechtsverletzungen eine Risikoanalyse sowie Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu betreiben.
Die Bundesregierung bezeichnet das Lieferkettengesetz als "schlagkräftig", Menschenrechtsaktivisten betrachten es dagegen als "zahnlos". Ein Grund: Bei indirekten Zulieferern, Vorlieferanten also, "gelten die Sorgfaltspflichten nur anlassbezogen und nur, wenn das Unternehmen Kenntnis von einem möglichen Verstoß erlangt", wie es offiziell heißt.

Das Lieferkettengesetz - verwässert durch Politik und Lobby.

24.01.2023 | 09:25 min

BDI: Unternehmen "verabschieden" sich aus Afrika

Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) beklagt indes neue Erschwernisse durch das Lieferkettengesetz. Laut Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung, gebe es erste deutsche Unternehmen, die neue rechtliche "Hürden" zum Anlass nähmen, "sich vom afrikanischen Markt zu verabschieden".
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel des Schokoladenherstellers "fairafric", Finalist des Deutschen Nachhaltigkeitspreises in der Kategorie "Lieferkette". Das junge Unternehmen agiert nach Angaben des Gründers Hendrik Reimers "weit über den Mindeststandards, die das Lieferkettengesetz vorsieht" - und erzielt dabei Gewinn.

Deutscher Gründer stellt "faire" Schokolade in Afrika her

"Wir schaffen die gesamte Wertschöpfung in Ghana", sagt Reimers im Gespräch mit ZDFheute. Das Unternehmen beschäftigt derzeit 85 Menschen, die "mindestens den vierfachen Lohn des Mindestlohns" erhalten, eine Krankenversicherung für die ganze Familie sowie eine Rentenversicherung.
Wir schaffen Arbeitsplätze und bekämpfen damit Armut. Kinderarbeit ist die Konsequenz aus bitterer Armut, somit geht der Schutz von Kinderrechten Hand in Hand mit unserer Mission und Vision.
Hendrik Reimers, fairafric-Gründer
Den Kakaolieferanten zahlt fairafric deutlich höhere Preise als marktüblich. Das Unternehmen investiert zudem in Aufklärung zum Thema Kinderrechte und besucht Kakaoplantagen unangekündigt, "um zu kontrollieren, dass wirklich keine Kinder auf den Farmen arbeiten".

Der Preis für faire Bedingungen

Bis 2030 will fairafric 10.000 "gut bezahlter Arbeitsplätze" in Afrika schaffen und mit seiner Bio-Schokolade 100 Millionen Euro Umsatz machen.
Vor allem in deutschen Bioläden ist die fairafric-Schokolade inzwischen erhältlich, "kostet etwa das Zweieinhalbfache der Lila-Schokolade", wie Reimers sagt. Dies sei der Preis für faire Bedingungen in der gesamten Lieferkette.

Auch der Anbau von Kaffee bietet den Produzenten kaum eine Existenzgrundlage.

21.10.2022 | 29:50 min

Fairafric-Gründer: Großes Umdenken in Wirtschaft nötig

Um bestehende Missstände in den globalen Lieferketten zu beenden, sei ein tiefgreifenderes Umdenken nötig, ist Reimers überzeugt. Denn noch produziere der Globale Süden hauptsächlich die Rohstoffe, die erst in den Industrieländern zu fertigen Produkten veredelt würden.
"So werden reiche Konzerne im Globalen Norden immer reicher", während die Rohstoffproduzenten im Globalen Süden in Armut verharrten, so Reimers: "Daran ändern weder Fairtrade noch das Lieferkettengesetz bisher leider nichts."

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