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: Droht Sudan ein Bürgerkrieg? Die Lage erklärt

von Nils Metzger
16.04.2023 | 17:50 Uhr
Im ganzen Land gehen die Gefechte weiter: Sudan steht vor einem anhaltenden Bürgerkrieg, warnen Experten. Dabei habe sich der Konflikt lange angekündigt - die Hintergründe.
Die heftigen Kämpfe in mehreren Landesteilen des Sudan dauern an. In der Hauptstadt Khartum wird mit schwerer Artillerie geschossen, Kampfflugzeuge fliegen über die Stadt. Sudans De-Facto-Präsident Abdel Fattah al-Burhan und sein Vize Mohammed Daglo, genannt Hemedti, kämpfen um die Macht in dem nordostafrikanischen Staat. Al-Burhan kommandiert die Armee, Daglo wiederum die paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF).
Im Gespräch mit dem ZDF warnt Alan Boswell, Afrika-Experte der International Crisis Group, dass die Lage in Sudan "sehr schnell sehr hässlich" werden könne. "Wir befinden uns bereits in einer Bürgerkriegssituation", sagte Boswell.
Das ist mehr oder weniger das Albtraumszenario, das die Menschen in Sudan befürchtet haben.
Alan Boswell, International Crisis Group
Am Sonntagmorgen sprach eine sudanesische Ärzteorganisation von mindestens 56 zivilen Todesopfern und 600 Verletzten. Die aktuell bekannten Todeszahlen seien laut Boswell auf keinen Fall vollständig. Zahlreiche Hilfsorganisationen stellten ihre Arbeit in Reaktion auf die Gefechte ein.

Welches Ausmaß haben die Kämpfe aktuell?

Die RSF wie auch die regulären Streitkräfte sind in weiten Teilen des Landes parallel aktiv. So gibt es aktuell Berichte über Gefechte in weiten Teilen des Landes. Deren Ausmaß und die Zahl der Opfer sind jedoch noch völlig unklar.
Wir sehen Kämpfe über das gesamte Land hinweg. Und sie werden andauern, das sind zwei mächtige Kräfte. Das ist kein Krieg, den eine Seite gewinnen kann. Sie werden nur viele Menschen töten.
Alan Boswell, International Crisis Group
Solche Konflikte hätten die Tendenz, sich aufzuspalten, sollten sie andauern, und es gebe viele weitere bewaffnete Akteure in Sudan, die bislang noch unbeteiligt sind. Die afrikanischen und arabischen Nachbarländer hätten, wie auch der Westen, einen Stopp der Kämpfe gefordert. "Wenn es länger andauert, steigt das Risiko, dass sich weitere Akteure einmischen und eine der Seiten unterstützen, wodurch es noch schwieriger beizulegen wird", so Boswell.

Hat sich dieser Konflikt angekündigt?

Der Konflikt hat sich Experten zufolge lange angekündigt. "In den letzten Tagen der Diktatur von Omar al-Baschir, die drei Jahrzehnte andauerte, erlaubte er die Zersplitterung der Sicherheitskräfte in viele Fraktionen", so Boswell.
Anstelle al-Baschirs trat ab 2019 eine Militärherrschaft, bei der unterschiedliche bewaffnete Gruppen zivile Kräfte immer wieder entmachteten und den Prozess hin zu einer Demokratie hinauszögerten.
"Was wir jetzt in Khartum sehen, ist dass die zwei mächtigsten dieser Kräfte, die regulären Streitkräfte und die paramilitärischen Rapid Support Forces, gewaltsam aufeinandertreffen." Laut Boswell sei es lediglich eine Frage der Zeit gewesen, bis "dieses zweiköpfige Monster" von Armee und RSF in einen gewalttätigen Konflikt gerät.
Auch Gerrit Kurtz von der Stiftung Wissenschaft und Politik betont gegenüber ZDFheute, dass beide Seiten zu dieser Eskalation beigetragen hätten. "Weitere Kämpfe zwischen den Parteien erscheinen derzeit wahrscheinlich, trotz kurzfristiger Feuerpause heute Nachmittag. Ein Bürgerkrieg ist möglich."
Dass die RSF eine eigene Einnahmequelle durch den großteils illegalen Goldexport hatte, war den Streifkräften schon lange ein Dorn im Auge.
Gerrit Kurtz, Stiftung Wissenschaft und Politik

Kann die sudanesische Zivilgesellschaft den Konflikt beenden?

"In dieser Situation gibt es im Land aktuell keine zivile politischen Führung, die über realen Einfluss verfügt. Beide militärischen Akteure scheinen sich nicht sonderlich um die Leben von Zivilisten zu scheren", sagt Experte Boswell.
Auch Kurtz betont, dass die Kämpfe ein herber Schlag für die Bemühungen politischer Parteien seien, eine rein zivile Regierung zu etablieren. "Hemedti hatte sich als starker Befürworter einer zivilen Regierung präsentiert." Die taktische Zusammenarbeit einiger ziviler Akteure mit dem RSF-Chef könnte Armeechef al-Burhan möglicherweise zur aktuellen Eskalation ermuntert haben, so Kurtz.
Viele der Nachbarstaaten seien in keiner guten Lage, um Auswirkungen eines anhaltenden Kriegs in Sudan mit seinen über 45 Millionen Einwohnern zu schultern. "Ein Zusammenbruch Sudans ist etwas so Schreckliches, dass es sich niemand vorstellen mag."

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