: Corona-Pandemie heute und vor einem Jahr

von David Metzmacher
24.11.2022 | 11:15 Uhr
Wellenbrecher und Impfpflicht - das waren die Corona-Debatten vor einem Jahr. Heute wird über die Abschaffung aller Maßnahmen diskutiert. Ein Vergleich des Pandemie-Geschehens.
Statt über Kontaktreduzierung und Testpflicht wie im vergangenen Jahr wird derzeit über die Aufhebung der Maskenpflicht in Bus und Bahn diskutiert.Quelle: dpa
Eine vierte Corona-Welle rollt an, einige Krankenhäuser kommen ans Limit. Im Herbst 2021 war die Sorge vor einem harten Pandemie-Winter groß, wie ein Zitat des damaligen Bundesgesundheitsministers zeigt:
Die Lage ist dramatisch ernst. So ernst wie noch zu keinem Zeitpunkt in dieser Pandemie.
Jens Spahn (CDU), ehemaliger Bundesgesundheitsminister, am 26.11.2021
Es folgten härtere Kontaktbeschränkungen, Testpflichten und 2G-/3G-Regelungen. Teils wurden Weihnachtsmärkte ab- und touristische Übernachtungen untersagt. Man wollte einen "Wellenbrecher".
Heute hat sich die Debatte ins Gegenteil verkehrt: Es wird über das Auslaufen aller Corona-Maßnahmen diskutiert. Was ist anders als noch vor einem Jahr: Was erzählen uns die Zahlen? Welche Maßnahmen gab und gibt es? Und was könnte der Winter bringen?

Corona-Zahlen: Inzidenz nur schwer vergleichbar

Der Herbst 2021 war eine Zeit steigender Fallzahlen: Knapp 50.000 Menschen infizierten sich damals nachgewiesen neu mit dem Coronavirus. Genau ein Jahr später sind es etwa 23.000, also deutlich weniger. Es sei derzeit sogar zum ersten Mal so, dass die Inzidenz im Vergleich zum gleichen Zeitpunkt des Vorjahres niedriger liege, sagt der Modellierer Thorsten Lehr von der Uni Saarbrücken.
Im Vergleich zum letzten Jahr stehen wir zumindest auf dem Papier gut da.
Thorsten Lehr, Modellierer, Uni Saarbrücken
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Bei der Interpretation der Zahlen gebe es aber ein Problem, so Lehr: "Wir haben höchstwahrscheinlich eine deutlich höhere Dunkelziffer als im letzten Jahr." Denn die neue Teststrategie und die im Schnitt leichteren Verläufe mit der Omikron-Variante führten dazu, dass eine Infektion seltener entdeckt werde.

Corona-Tote: andere Dynamik als vor einem Jahr

Etwa 140 Menschen sterben derzeit täglich an oder mit dem Virus, Tendenz stabil bis abnehmend. Ende November 2021 hingegen waren es etwa 200 bis 300 Menschen, doch die Zahlen stiegen rasant. Die Dynamik und die mit ihr verbundenen Erwartungen an den Winter hatten also gänzlich andere Vorzeichen.
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Deutlich weniger Covid-Intensivpatienten

Zurzeit nimmt die Zahl der Corona-Patienten in Intensivbehandlung tendenziell ab, Kliniken können also etwas aufatmen. Im Herbst 2021 hingegen mussten erstmals Patienten per Hubschrauber in andere Krankenhäuser verlegt werden - so groß war der Druck. Und die Zahlen stiegen damals steil an und schienen bis Mitte Dezember kein Halten zu kennen.
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Zwischenfazit: Die Pandemie-Situation ist weniger angespannt als noch vor einem Jahr. Das liegt vor allem an der Omikron-Variante und einer besseren Immunisierung der Gesellschaft:

Omikron hat andere Varianten fast vollständig verdrängt

Die veränderte Pandemie-Lage liegt vor allem an der mittlerweile dominanten Omikron-Variante, die andere Varianten fast vollständig verdrängt hat. Im Herbst vor einem Jahr war hingegen die Delta-Variante noch vorherrschend. Der entscheidende Unterschied: Omikron habe die durchschnittliche Krankheitsschwere reduziert, sagt Lehr - sich dafür aber deutlich schneller ausgebreitet.
Omikron hat das Pandemie-Geschehen auf den Kopf gestellt.
Thorsten Lehr, Modellierer, Uni Saarbrücken
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Corona-Impfung aus öffentlichem Diskurs verschwunden

Dies führte - neben Impfungen - zu einer deutlich besseren Grundimmunisierung der Bevölkerung: Rund 95 Prozent der deutschen Bevölkerung soll laut den vorläufigen Ergebnissen einer Studie Antikörper gegen das Corona-Virus besitzen.
Vor einem Jahr war das noch anders: Von einer gefährlichen "Impflücke" war die Rede. Und die Bundesregierung startete eine massive Impfkampagne, vor allem für die Booster-Impfung. Als Folge bildeten sich lange Schlangen vor den Impfzentren. Heute ist die Impfung - wie auch die Debatte über eine Impfpflicht - in den Hintergrund geraten. Und es gibt heute acht bis neunmal mehr Drittgeimpfte als noch vor einem Jahr
"Ich glaube, wir haben alle erreicht, die sich impfen lassen wollen", sagt Modellierer Lehr. Derzeit fänden vor allem zweite Auffrischungsimpfungen statt. Diese empfiehlt die Ständige Impfkomission für Risikiogruppen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist für das Ende der Impfpflicht in der Pflege. Seine Begründung: "Die Impfung schützt nicht mehr vor Ansteckung", sagt er ZDFheute.

24.11.2022 | 00:26 min

Corona-Maßnahmen: Vom Wellenbrecher zur Aufhebung der Isolationspflicht

Vor allem Bundesländer mit niedrigen Impfquoten und hohen Inzidenzen wollten vor einem Jahr striktere Maßnahmen. So hielt etwa die sächsische Gesundheitsministerin Petra Köpping (SPD) einen Lockdown für "dringend notwendig, weil ich keine andere Möglichkeit mehr sehe". Auch der heutige Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) forderte mehr Maßnahmen:
Tweet von Karl Lauterbach im November 2021
Heute wird nur noch in wenigen Bereichen ein verpflichtender Corona-Test verlangt. Und einige Bundesländer haben bereits die Isolationspflicht abgeschafft. Die Maskenpflicht in Bus und Bahn steht auf dem Prüfstand.
Gesundheitsminister Lauterbach will von den Lockerungen der Länder nichts wissen, mahnt vor einer neuen Corona-Welle und neuen Varianten - steht damit aber immer mehr alleine:

Eine Welle der Begeisterung trug Karl Lauterbach vor einem Jahr an die Spitze des Gesundheitsministeriums. Dort aber wirkt er heute so einsam wie zuvor als Mahner in den Talkshows.

19.11.2022 | 11:31 min

Weiterhin Sorge vor Überlastungen und Corona-Spätfolgen

Doch auch andere rufen noch zur Vorsicht auf: "Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Covid-Infektionsspitzen immer noch das Potential haben, das Gesundheitssystem erheblich zu stören", sagt etwa Cihan Çelik, Leiter der Corona-Station am Klinikum Darmstadt zu ZDFheute.
Die anhaltende Gefahr von Corona-Spätfolgen ist für Jördis Frommhold, Leiterin des Long Covid Instituts in Rostock, ein gewichtiger Grund, Maßnahmen wie Masken- und Isolationspflicht weiterhin aufrechtzuerhalten.
Es besteht die Gefahr, dass die Akutverläufe bagatellisiert werden.
Jördis Frommhold, Leiterin des Long Covid Instituts in Rostock
Wenn Infizierte die Akutphase der Krankheit nicht ausheilten, steige zudem die Wahrscheinlichkeit für Spätfolgen - das geschehe ohne Isolationspflicht wohl noch häufiger, sagt Frommhold zu ZDFheute.

Corona-Pandemie: Was bringt der Winter?

Im vergangenen Jahr erreichten die Infektionen im Winter neue Rekordwerte, die Todeszahlen aber blieben unter dem Vorjahresniveau. Doch was bringt dieser Winter? Modellierer Lehr prognostiziert einen Anstieg der Infektionszahlen, der auch Ausfall von Personal zur Folge habe.
Der Winter wird sicherlich nochmal zuschlagen.
Thorsten Lehr, Modellierer von der Uni Saarbrücken
Gleichzeitig bestünde weiterhin die Sorge vor neuen Varianten - die, wie zuvor Omikron - für eine Pandemie-Situation sorgen könnten.

Waren die Corona-Maßnahmen richtig?

"Alle Maßnahmen, die Menschen auseinander bringen, bringen auch was" sagt Lehr - zumindest wenn es nur darum geht, die Verbreitung des Virus zu vermindern. Die Beurteilung der Maßnahmen sei aber weiterhin sehr schwierig: "Uns fehlt weiterhin die Kenntnis, wo Infektionen wirklich stattfinden."
Doch es gibt erste Untersuchungen: Laut einer Studie des IfW Kiel, waren Informationskampagnen und Schulschließungen am effektivsten. Auch Corona-Tests, Kontaktnachverfolgung und internationale Reisebeschränkungen konnten demnach die Reproduktionszahl des Virus reduzieren.
Zudem gibt es Hinweise, die zeigen, dass Kita-Schließungen wohl nicht nötig waren. Das macht eine Studie des Deutschen Jugendinstituts und des RKI deutlich.
Das Schließen von Kitas ist definitiv medizinisch nicht angemessen und wäre auch in dem Umfang, wie wir es damals gemacht haben, nach heutigem Wissen nicht nötig gewesen.
Karl Lauterbach (SPD), Bundesgesundheitsminister
Quelle: dpa

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