: So weit von der Null entfernt wie nie

von Miriam Steimer
25.11.2022 | 09:31 Uhr
Mehr Corona-Infektionen in China heißt: noch mehr Einschränkungen. Peking gleicht einer Geisterstadt und immer mehr Menschen wissen sich nur noch mit Protest zu helfen.
"Du bist ein echter Superman", ruft eine Frau aus der Menge dem Mann im grauen T-Shirt zu. Seinen Spitznamen verdankt er einerseits seinem Rucksack mit dem Logo des Superman-Comic-Helden. Andererseits, weil er ausspricht, was viele denken und sich nicht zu sagen trauen:
Es gibt zwei Krankheiten auf der Welt: Armut und Unfreiheit. Wir haben jetzt beide und kämpfen noch mit einer kleinen Erkältung.
Demonstrant gegen Corona-Maßnahmen in China
Die Menschentraube, die sich vor ihm versammelt hat, spendet Beifall. Videos von diesem Vorfall in Chongqing im Süden von China verbreiteten sich im chinesischen Netz, bevor die staatlichen Zensoren sie löschen.

Corona-Maßnahmen: Regierung hält an Regeln fest

Es ist nur ein Beispiel von Protest gegen die extremen Maßnahmen der Null-Covid-Politik. Die chinesische Führung hält stur daran fest - nimmt sogar schlechte Wirtschaftszahlen in Kauf - und versucht jeden einzelnen Ausbruch mit Zwangsquarantäne und Massentests einzudämmen. Doch die Infizierten-Zahlen steigen. Mehr als 30.000 neue Corona-Fälle pro Tag - bei 1,4 Milliarden Einwohnern.
Andere Länder würden sich über solche Zahlen freuen. Doch in China ist es neuer Rekord. Millionen Chinesinnen und Chinesen dürfen ihre Wohnungen nicht verlassen. Eigentlich waren viele hoffnungsvoll, als die chinesische Führung ankündigte, das Virus künftig gezielter zu bekämpfen. Im Alltag ist davon wenig zu spüren.
Ein Grund: Oft sind lokale Beamten noch strenger als die staatlichen Vorgaben - aus Angst, etwas falsch zu machen oder für einen möglichen Corona-Ausbruch verantwortlich gemacht zu werden. An manchen Orten sitzen Leute schon so lange im Lockdown, dass sie aus ihren Wohnungen den Wechsel der Jahreszeiten dokumentieren.

Strikte Quarantäne für Corona-Infizierte

Schutz vor dem Virus steht über allem: Es gibt Berichte von Kindern, die gestorben sind, weil die Hilferufe der Eltern in Quarantäne nicht beachtet wurden. Oder dass bei einem Brand die Feuerwehr nicht durch die Absperrungen in den Wohnkomplex kommt und die Menschen nicht raus.
Wer positiv getestet wird oder Kontakt zu einer infizierten Person hatte und "Glück" hat, landet in einem Quarantäne-Hotel, darf das Zimmer nicht verlassen und bekommt dreimal am Tag was zu essen vor die Tür gestellt. Wer Pech hat, landet in einer Massenunterkunft, in der Bett an Bett steht, 24 Stunden das Licht brennt und Sanitäranlagen und Essens-Versorgung schlecht sind.

Wut gegen Corona-Maßnahmen wächst

"Verteidigt unsere Rechte!", rufen die Arbeiter in der größten iPhone-Fabrik der Welt. Sie beschweren sich über die Arbeitsbedingungen und haben Angst, dass versprochene Löhne nicht bezahlt werden. Mit Stühlen zertrümmern sie die Scheiben einer Corona-Teststation.
Brutal gehen die Polizei und Menschen in Corona-Schutzanzügen gegen die Protestierenden vor. Bereits Anfang des Monats waren viele aus der Fabrik geflüchtet: Es soll Corona-Infizierte gegeben haben, die weder ausreichend isoliert noch versorgt worden sein sollen.
Peking gleicht einer Geisterstadt: Schulen und Geschäfte sind geschlossen, viele Wohnkomplexe im Lockdown, im Restaurant gibt’s Essen nur zum Mitnehmen. Die, die noch können, decken sich mit Lebensmitteln ein: Zu präsent sind die Bilder vom Frühjahr aus Shanghai, als die Behörden vielerorts mit der Organisation des Lockdowns völlig überfordert waren und Haushalte nicht genug zu essen hatten.
ZDF-Korrespondetin Miriam Steimer über "Geisterstadt" Peking

Rekordinzidenzen: China hat Impflücke

Chinas Problem: Das Land hat seinen "Vorsprung" der ersten Pandemie-Jahre verspielt und diese Zeit nicht zum Impfen genutzt. Vor allem bei den Älteren ist die Impfquote niedrig. Von den Über-80-Jährigen sind nicht einmal 66 Prozent geimpft, nur 40 Prozent geboostert. Inhalierbare Impfstoffe sollen jetzt helfen. Doch Corona ist auch ein guter Vorwand, um das chinesische Volk weiter zu kontrollieren.
Mit Gewalt versuchen Polizisten den "Superman" im grauen T-Shirt in ein Polizeiauto zu setzen. Die Menge protestiert lautstark und schafft es schließlich, den Mann den Polizisten zu entreißen. Jubelnd feiern sie ihren "Sieg". Dass es dabei bleibt und der chinesische Staat, dem Kontrolle über alles geht, riskiert, dass der "Superman" seinen Ärger noch einmal öffentlich rauslässt, ist leider sehr unwahrscheinlich.

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