: Mit 13 auf dem Bau oder im Schlachthof

von Marcel Burkhardt
27.04.2023 | 04:22 Uhr
Auch in reichen Nationen werden Kinder systematisch in illegalen Arbeitsverhältnissen ausgebeutet. Die Organisation Save the Children hat in Italien Licht ins Dunkel gebracht.
Eine Junge trägt einen Reifen in eine Werkstatt in Kairo. Aber auch in Italien und den USA gibt es Kinderarbeit.Quelle: AP
Als "Mädchen für alles" arbeitete Emma mit gerade mal zwölf, dreizehn Jahren auf einem italienischen Campingplatz: "Von morgens bis abends, nachts gab es drei Stündchen Schlaf, dann ging es weiter", wie die heute 17-Jährige einem Team der Hilfsorganisation Save the Children schildert.

Kinderarbeit in Italien weit verbreitet, wenig beleuchtet

Es sei ein auszehrender Job gewesen: "Ich habe es kaum noch geschafft, mich auf den Beinen zu halten", so die Teenagerin in einem kürzlich veröffentlichten Video von Save the Children. Andere Jugendliche wie der ebenfalls 17-jährige Valerio berichten über ähnliche Erfahrungen:
Ich habe schon mit acht Jahren mit meinem Vater in einem Fahrgeschäft gearbeitet; mit 13 Jahren dann als Maurer und Klempner. Ich war da quasi nie in der Schule.
Valerio
Um ihre Identität zu schützen, hat Save the Children die Namen der Jugendlichen geändert. Ihre Aussagen richten den Blick auf ein weit verbreitetes, allerdings wenig beleuchtetes Phänomen in einigen der reichsten Nationen der Erde: illegale Kinderarbeit.

Was ist Kinderarbeit?

Mit dem Begriff "Kinderarbeit" wird Arbeit beschrieben, die der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schadet und/oder sie am Schulbesuch und Bildung hindert. Zu den schlimmsten Formen Kinderarbeit zählen die Vereinten Nationen Tätigkeiten, die unter kriminellen und ausbeuterischen Bedingungen erfolgen und schädlich für die seelische und körperliche Gesundheit und Sicherheit sind.

Dazu zählen:

  • Kinderprostitution und Kinderpornografie
  • Missbrauch von Kindern als Sklaven, Zwangsarbeiter, Soldaten oder Drogenschmuggler
  • schwer gesundheitsgefährdende Tätigkeiten (z. B. Arbeit in Steinbrüchen oder Bergwerken)
  • Tragen schwerer Lasten
  • Umgang mit Chemikalien und gefährlichen Werkzeugen
  • Nachtarbeit

Was sind die Hauptgründe für Kinderarbeit?

Als Hauptgrund für Kinderarbeit gelten extreme Armut und Existenznot von Familien. Zuletzt hat die Corona-Pandemie weltweit Millionen Menschen ins Elend gerissen, aber auch ausbeuterische Wirtschaftspraktiken, fehlende politische Fürsorge und Rechtsbrüche gelten als systemische Gründe für Armut und Kinderarbeit.

Der international aktive Menschenrechtsaktivist Fernando Morales-de la Cruz sagt: "Die Ausbeutung von Kindern ist ein altes und extrem effizientes Geschäftsmodell – es reduziert Kosten, steigert Profite."

Wer ist von Kinderarbeit betroffen?

Laut Unicef ist die Zahl der Kinder von fünf bis elf Jahren in Kinderarbeit zuletzt deutlich angestiegen, sodass diese Altersgruppe inzwischen weltweit "etwas mehr als die Hälfte der von Kinderarbeit betroffenen Kinder stellt". 70 Prozent der Mädchen und Jungen arbeiten in der Landwirtschaft, 20 Prozent im Dienstleistungssektor und zehn Prozent in der Industrie.

Vom Schulbesuch abgehalten sind laut Unicef fast 28 Prozent der Kinderarbeiter im Alter von fünf bis elf Jahren und 35 Prozent der betroffenen Kinder im Alter von zwölf bis 14 Jahren. Die meisten arbeitenden Kinder leben in Afrika und Asien.

Was fordert Unicef im Kampf gegen Kinderarbeit?

Setzt sich der aktuelle Negativtrend fort, steigt die Zahl ausgebeuteter Kinder weltweit weiter an, statt bis 2025 gegen Null zu schrumpfen. Um den "generationenübergreifenden Teufelskreis" von Armut und Kinderarbeit zu brechen, fordert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen unter anderem einen "angemessenen sozialen Basisschutz für alle, einschließlich der existenzsichernden finanziellen Absicherung von Kindern". Zudem mehr Mittel für Bildung und den Aufbau von Bildungsinfrastrukturen in Regionen, in denen es bislang keine Schulen gibt. Außerdem fordert Unicef eine "Förderung von menschenwürdiger Arbeit für Erwachsene, damit Familien nicht auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen sind", um das Familieneinkommen zu sichern.

Viele Tätigkeiten für Kinder "besonders schädlich"

In Italien dürfen Minderjährige laut Gesetz erst nach Ende der Schulpflicht im Alter von 16 Jahren arbeiten. Einer Umfrage von Save the Children zufolge haben allerdings circa 336.000 Minderjährige im Alter von sieben bis 15 Jahren Arbeitserfahrung.
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Fast 28 Prozent der 14- bis 15-Jährigen haben demnach Tätigkeiten ausgeübt, die für den Bildungsweg und das körperliche und seelische Wohlbefinden "besonders schädlich sind, weil sie von den Befragten selbst als gefährlich empfunden werden, weil sie nachts oder während der Schulzeit ununterbrochen ausgeübt werden", wie Save the Children mitteilt.
Die am stärksten betroffenen Sektoren:
  • Gastronomie: 25,9 Prozent
  • Einzelhandel und Gewerbe: 16,2 Prozent
  • Landwirtschaft: 9,1 Prozent
  • Bau: 7,8 Prozent
Dabei arbeitet jeder zweite betroffene Minderjährige nach eigenen Aussagen mehr als vier Stunden am Tag - mit oft gravierenden Folgen.
Kinderarbeit ist die andere Seite der Medaille des vorzeitigen Schulabbruchs.
Raffaela Milano, Save the Children
Überarbeitete Minderjährige liefen Gefahr, "im Teufelskreis der Bildungsarmut gefangen zu sein", ergänzte Claudio Tesauro, Präsident von Save the Children Italien.
Eine solide Ausbildung als Grundlage einer beruflichen Entwicklung werde "effektiv blockiert", prekäre Arbeitsverhältnisse seien vorprogrammiert, die Gefahr eines Abdriftens in kriminelle Strukturen steige, so Tesauro.

Wirtschaftskrise könnte Lage verschlimmern

Raffaela Milano warnt zudem davor, dass sich die Lage für Minderjährige "in einer Zeit der Wirtschaftskrise und des starken Anstiegs der Kinderarmut" zunehmend verschlechtern könne.
Sie fordert deshalb "ein koordiniertes institutionelles Handeln" im Kampf gegen die Ausbeutung von Minderjährigen.

Kinder-Ausbeutung in den USA

Nach jüngsten Berichten über illegale Kinderarbeit wächst der Druck auch auf die US-Regierung. Zuletzt berichtete das Arbeitsministerium, dass die Zahl der in den USA illegal beschäftigten Kinder seit 2018 um 69 Prozent gestiegen sei.
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Ermittlungen zufolge beschäftigten mehr als 800 US-Unternehmen allein 2022 circa 3.800 Kinder illegal - vor allem schutzlose Migranten, unter anderem in lebensgefährlichen Jobs in Schlachthöfen oder auf dem Bau. Experten rechnen mit einer hohen Dunkelziffer von bis zu einer Million.

Vorbild Deutschland im Jugendarbeitsschutz?

Inzwischen wird gefordert, die Höchststrafen bei Verstößen von derzeit circa 15.000 US-Dollar deutlich zu erhöhen. Zum Vergleich: In Deutschland können Verstöße gegen das Jugendarbeitsschutzgesetz mit Geldbußen bis zu 30.000 Euro geahndet werden. Werden Minderjährige vorsätzlich oder fahrlässig gefährdet, drohen Freiheitsstrafen.

Einige sind der Meinung, dass das neue Liferkettengesetz durch Politik und Lobby verwässert.

24.01.2023 | 09:25 min
Das in Deutschland seit Januar gültige Lieferkettengesetz soll zudem sicherstellen, dass keine Kinder mehr in den Lieferketten deutscher Unternehmen ausgebeutet werden. Menschenrechtsorganisationen greifen die Regeln allerdings zu kurz.
Das Lieferkettengesetz könne nicht leisten, was es verspricht, kritisiert auch der international tätige Kinderrechtsaktivist Fernando Morales-de la Cruz:
Es gibt viele deutsche Konzerne in vielen Branchen, von A bis Z, von Auto bis Zucker, die weiter von der Ausbeutung Hunderttausender Kinder profitieren.
Fernando Morales-de la Cruz, Kinderrechtsaktivist

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