: Investoren "könnten viel mehr Druck machen"

von Marcel Burkhardt
02.01.2023 | 17:46 Uhr
Der größte Staatsfonds der Welt hat starken Einfluss auf Unternehmen - doch er nutzt ihn zu wenig, um Kinderarbeit in den Lieferketten zu beseitigen, kritisieren Experten.
Kinderarbeit in Mexiko: Ein Junge arbeitet auf Feldern in Coahuayana bei der Ernte von Chili.Quelle: dpa

Das Wichtigste in Kürze:

  • Große institutionelle Investoren können ethisches Verhalten börsennotierter Unternehmen stark beeinflussen.
  • Der größte Staatsfonds der Welt steht exemplarisch für die Macht, aber auch Zurückhaltung vieler Investoren in diesem Bereich.
  • Beobachter fordern ein wirksameres Engagement der Investoren im Kampf gegen ausbeuterische Kinderarbeit.
In der Theorie ist alles ganz einfach: Da hat sich der größte staatliche Investor der Welt ganz klare Regeln für eine verantwortungsvolle Geldanlage gegeben. In der Praxis allerdings wird es schwierig: Der etwa 1,2 Billionen Euro schwere, vom Investment-Management der Norwegischen Zentralbank verwaltete Fonds ist an mehr als 9.300 Unternehmen in 70 Ländern beteiligt und steht wegen bestimmter Investments in der Kritik:
Norwegen, eines der reichsten Länder der Welt, profitiert durch seinen Staatsfonds von der Ausbeutung von Dutzenden Millionen Kindern, indem es in Hunderte Unternehmen investiert, die Kinderarbeit einsetzen, um Kosten zu senken und Gewinne zu steigern.
Fernando Morales-de la Cruz, Menschenrechtsaktivist
Der Staatsfonds weist diesen Vorwurf zurück, musste allerdings gegenüber dem norwegischen Gesetzgeber 2021 einräumen, eine Reihe von Unternehmen im Portfolio zu haben, die in ihren Lieferketten "auf die Arbeit von Minderjährigen angewiesen sind, um Gewinne zu erzielen", wie die Nachrichtenagentur Bloomberg berichtete.
Solche Investments widersprechen nicht nur den Leitlinien des Fonds, sondern verstoßen auch gegen die norwegische Verfassung.

Ab dem 1. Januar tritt das neue Lieferkettengesetz in Kraft. Unternehmen sollen damit zur Einhaltung von Umwelt- und Menschenrechten verpflichtet werden. Aber wie soll das kontrolliert werden?

28.12.2022 | 02:09 min

Eigentum kann "starke Kraft sein"

"Weltweiter Nummer 1 Aktienbesitzer kämpft mit Kinderarbeitsdilemma", fasste Bloomberg die Situation zusammen. Die Position des Großinvestors schildert Sprecherin Line Aaltvedt.

Der Großinvestor und das Kinderarbeitsdilemma

Line Aaltvedt, Sprecherin des Norwegischen Pensionsfonds, in ihrer Antwort an ZDFheute: "Unsere Mission ist es, Werte für zukünftige Generationen zu schaffen und gleichzeitig ein verantwortungsbewusster Eigentümer zu sein. Kinderarbeit ist eine endemische Herausforderung für einige Sektoren und Märkte, auch für Unternehmen, in die wir investieren, und deren Lieferketten. Die Achtung der Rechte von Kindern, einschließlich des Rechts, frei von Kinderarbeit zu sein, ist daher eine grundlegende Erwartung, die wir an Unternehmen haben, und es ist eine langfristige Priorität für unsere Eigentumsarbeit."
In einer Antwort an das norwegische Parlament verteidigte auch der 2021 amtierende Finanzminister Jan Tore Sanner die Anlagerichtlinien des Vermögensfonds: "Indem wir ein Unternehmen ausschließen, verlieren wir die Möglichkeit, durch Dialog und Abstimmung Einfluss zu nehmen", so Sanner. "Eigentum kann eine starke Kraft sein."

Ausbeuterische Kinderarbeit "in fast jeder Branche"

Dass die Manager des Staatsfonds auch anders agieren können, beweist der Fakt, dass sie seit Jahren nicht mehr in Unternehmen investieren, die Massenvernichtungswaffen herstellen. Mit Blick auf den Schutz elementarer Kinderrechte stehen Investoren aber vor weit größeren Herausforderungen; der Hilfsorganisation Save the Children zufolge gibt es ausbeuterische Kinderarbeit "in nahezu jeder Branche".
Von Kinder- und Zwangsarbeit profitierten neben der Elektro- und Textilindustrie vor allem die Lebensmittelbranche, insbesondere im Anbau von Kaffee, Kakao und Tee. Wirtschaftsexperte Friedel Hütz-Adams vom Bonner Südwind-Institut attestiert großen institutionellen Anlegern "eine riesige Macht und Einfluss auf die Industrie". Doch mit Blick auf den in ihren Investment-Leitlinien geforderten Schutz von Kinderrechten in den Lieferketten der Unternehmen sagt er:
Bei bestimmten Engagements fragt man sich, ob die Geldgeber ihre eigenen Statuten mal gelesen haben.
Friedel Hütz-Adams, Wirtschaftsexperte

Serie: Kinderarbeit ufert aus

Neue wissenschaftliche Erkenntnisse legen nahe, dass das Ausmaß der globalen Kinderausbeutung womöglich noch größer ist als bislang bekannt. Was sind die Ursachen? Wer trägt wirtschaftlich und politisch Verantwortung? Welche Macht haben internationale Finanzinvestoren? Und helfen neue Lieferkettengesetze, Kinderrechte künftig besser zu schützen?

ZDFheute geht diesen Fragen in einer siebenteiligen Serie nach. Bisher erschienen:

Großinvestor "ermutigt" Konzerne

Der norwegische Staatsfonds hat viele Milliarden Euro in Lebensmittel-Konzerne investiert und ist sich der Kinderrechtsverletzungen in den Lieferketten der Branche bewusst.
Die Ursachen für Kinderarbeit sind komplex, und als langfristiger Eigentümer glauben wir, dass wir unseren Einfluss nutzen können, um Unternehmen im Laufe der Zeit zu beeinflussen.
Line Aaltvedt, Sprecherin des Norwegischen Pensionsfonds
In Gesprächen mit Schokoladenherstellern wie Nestlé, Mondelez und Hershey‘s habe man die Unternehmen "ermutigt", "nachhaltige Beschaffungspraktiken einzuführen, einschließlich der Verbesserung ihrer Bemühungen zur Vermeidung und Bewältigung des Risikos von Kinderarbeit", wie Aaltvedt ZDFheute mitteilt. 

Investment beendet: "Schlimmste Formen der Kinderarbeit"

Ein unabhängiger Ethikrat empfehle dem Fonds zusätzlich, bestimmte Unternehmen genauer zu beobachten oder aus dem Portfolio auszuschließen. Gründe hierfür seien schwere oder systematische Menschenrechtsverletzungen. Auf Grundlage dessen beendet der Fonds auch immer wieder Investments.
In den Fällen von Monsanto und Zuari Agro Chemicals ist Aaltvedt zufolge ein "inakzeptables Risiko, zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit beizutragen" der Grund für den Ausschluss gewesen. Ein Wirtschaftswissenschaftler, der seinen Namen nicht veröffentlicht sehen will, sagt ZDFheute, dass sich internationale Finanzinvestoren "zunehmend der Problematik der Kinderarbeit bewusst" würden: "Doch die Fortschritte sind langsam."
Er konstatiert: "Die Investoren hätten bereits viel mehr Druck auf die Industrie ausüben können, ihre Lieferketten transparenter zu machen. Heute sollte es überhaupt kein Problem mehr sein, Lieferketten lückenlos nachzuvollziehen."

Was ist Kinderarbeit?

Mit dem Begriff "Kinderarbeit" wird Arbeit beschrieben, die der körperlichen und geistigen Entwicklung von Kindern und Jugendlichen schadet und/oder sie am Schulbesuch und Bildung hindert. Zu den schlimmsten Formen der Kinderarbeit zählen die Vereinten Nationen Tätigkeiten, die unter kriminellen und ausbeuterischen Bedingungen erfolgen und schädlich für die seelische und körperliche Gesundheit und Sicherheit sind.

Dazu zählen Kinderprostitution und Kinderpornografie, der Missbrauch von Kindern als Sklaven und Zwangsarbeiter, Soldaten oder Drogenschmuggler sowie schwer gesundheitsgefährdende Tätigkeiten wie Arbeit in Steinbrüchen oder in Bergwerken, das Tragen schwerer Lasten, der Umgang mit Chemikalien und gefährlichen Werkzeugen sowie Nachtarbeit.

Als Hauptgrund für Kinderarbeit gelten extreme Armut und Existenznot von Familien. Zuletzt hat die Corona-Pandemie weltweit Millionen Menschen ins Elend gerissen. Aber auch ausbeuterische Wirtschaftspraktiken, fehlende politische Fürsorge und Rechtsbrüche gelten als systemische Gründe für Armut und Kinderarbeit.

Wer ist von Kinderarbeit betroffen?

Laut Unicef ist die Zahl der Kinder von fünf bis elf Jahren in Kinderarbeit zuletzt deutlich angestiegen, sodass diese Altersgruppe inzwischen weltweit "etwas mehr als die Hälfte der von Kinderarbeit betroffenen Kinder stellt". 70 Prozent der Mädchen und Jungen arbeiten in der Landwirtschaft, 20 Prozent im Dienstleistungssektor und zehn Prozent in der Industrie.

Vom Schulbesuch abgehalten sind laut Unicef fast 28 Prozent der Kinderarbeiter im Alter von fünf bis elf Jahren und 35 Prozent der betroffenen Kinder im Alter von zwölf bis 14 Jahren. Die Zahlen zeigen: Kinderarbeit beeinträchtigt oder verhindert die Bildung der Kinder und grenzt ihre Zukunftschancen somit stark ein. Die meisten arbeitenden Kinder leben in Afrika und Asien.

Woher bezieht Unicef Informationen über Kinderarbeit?

"Eine der größten Quellen für statistisch fundierte und international vergleichbare Daten zur Kinderarbeit ist das von UNICEF unterstützte internationale Haushaltserhebungsprogramm Multiple Indicator Cluster Surveys (MICS)", erklärt Claudia Cappa, Unicef-Statistikexpertin. Dabei handele es sich um staatlich geführte Haushaltserhebungen, für die Unicef technische und finanzielle Hilfe leiste. "Bei einer typischen Haushaltsbefragung besuchen geschulte Feldarbeitsteams eine repräsentative Stichprobe von Haushalten und führen persönliche Interviews mit validierten Tools und Methoden durch", so Cappa.

Die Unicef-Expertin verweist in dem Zusammenhang auf "strenge Datenqualitätsprüfungen, die während der gesamten Umfragedurchführung angewendet werden". Ein international aktiver Datenerhebungsexperte, der namentlich nicht zitiert werden möchte, kritisiert dagegen "aus eigener Beobachtung" die häufig mangelhafte Ausstattung von Umfrage- und Kinderarbeit-Beobachtungsteams in ärmeren Ländern. Dies könne durchaus "einen wesentlichen negativen Einfluss auf die Qualität der Daten" haben.

Was fordert Unicef im Kampf gegen Kinderarbeit?

Setzt sich der aktuelle Negativtrend fort, steigt die Zahl ausgebeuteter Kinder weltweit weiter an statt bis 2025 gegen Null zu schrumpfen. Um den "generationenübergreifenden Teufelskreis" von Armut und Kinderarbeit zu brechen, fordert das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen unter anderem einen "angemessenen sozialen Basisschutz für alle, einschließlich der existenzsichernden finanziellen Absicherung von Kindern".

Das Kinderhilfswerk fordert zudem mehr Mittel für Bildung und den Aufbau von Bildungsinfrastrukturen in Regionen, in denen es bislang keine Schulen gibt. Außerdem fordert Unicef eine "Förderung von menschenwürdiger Arbeit für Erwachsene, damit Familien nicht auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen sind", um das Familieneinkommen zu sichern.

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