Interview

: "Wollen besonnen, ruhig und präzise vorgehen"

17.10.2023 | 22:57 Uhr
Nach dem Kanzlerbesuch in Tel Aviv ordnet der deutsch-persisch-israelische Politologe Shalicar die Ergebnisse ein. Der israelische Armeesprecher spricht über Strategien und Pläne.

Israel lasse sich nicht vom psychischen Terror der Hamas beeinflussen, so ein israelischer Armeesprecher bei ZDFheute live. Es gehe darum, das Leben der Geiseln zu retten.

17.10.2023 | 23:13 min
Arye Sharuz Shalicar ist Sprecher der israelischen Streitkräfte (IDF). Bei ZDFheute live spricht er über die Statements der beiden Regierungschefs Olaf Scholz (SPD) und Benjamin Netanjahu nach ihrem gemeinsamen Gespräch in Tel Aviv. 
Er habe beiden gespannt zugehört, "weil ich mich mit beiden Regierungschefs auch identifiziere als jemand, der in Deutschland geboren und aufgewachsen ist, aber sein Leben nach Israel verlegt hat", sagt Shalicar. "Ich finde, dass beide genau das gesagt haben, was ich mir sowohl als Deutscher als auch als Israeli wünschen würde." 

Zehn Tage nach dem Terrorangriff der Hamas hat Kanzler Scholz Israel besucht. Er sicherte dem Land Unterstützung zu und betonte die besondere Verantwortung Deutschlands.

17.10.2023 | 13:13 min

Shalicar erklärt, warum Netanjahu von einer "doppelten Krux" spricht

Es sei ein Riesenspagat, so der Armeesprecher: einerseits die zivile Bevölkerung im Gazastreifen, Menschen die nicht Israels Feinde seien: darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen.
Wir wollen sie nicht verletzen.
Arye Sharuz Shalicar, Sprecher der IDF
Deshalb habe Israel auch die letzten fünf Tage alles getan, damit die Menschen den Sicherheitskorridor Richtung Süden nähmen, weil man die Hamas bekämpfen und vernichten wolle.
Andererseits die Hamas-Terroristen, die eine Art doppeltes Kriegsverbrechen begingen. Auf der einen Seite Israelis ermordeten, Kinder, Frauen "auf brutalste Weise, wie an Juden Massaker nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht begangen wurde" beschreibt der Politologe. "Und natürlich auf der anderen Seite die palästinensischen Zivilisten: Frauen, Kinder, Krankenhäuser, Schulen, das alles als, ich sage mal als menschliche und zivile Schutzschilde zu nutzen.

Arye Sharuz Shalicar ...

Quelle: Copyright Bernd Lammel
... ist deutsch-persisch-israelischer Politologe und Sprecher der israelischen Streitkräfte.

Shalicar ist Sohn iranischer Juden, die 1970 vor dem Antisemitismus aus ihrer Heimat nach Deutschland flohen. Er lebte und studierte in Berlin.

2001 wanderte er nach Israel aus und trat dort seinen Wehrdienst an. Er lebt heute bei Jerusalem.

2021 wurde sein autobiographischer Roman "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude. Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde" unter dem Titel "Ein nasser Hund" mit Doguhan Kabadayi als Soheil verfilmt.

Warum die Offensive, noch nicht gestartet ist

Die israelische Armee habe nie einen Zeitpunkt genannt, zu dem eine mögliche Offensive starten sollte, so Sprecher der IDF, Arye Shalicar. Man habe einen Mehr-Phasenplan aufgestellt, um gezielt die Terroristen und die Terror-Infrastruktur außer Gefecht zu setzen. Natürlich habe man sich am internationalen Recht messen lassen wollen und gleichzeitig alles daran gesetzt, die Menschen auf allen möglichen Kanälen aufzurufen, den nördlichen Gazastreifen, insbesondere die Umgebung Gaza City Richtung Süden zu verlassen um dann gezielt die Hamas ins Visier nehmen können. 
Der südliche Gazastreifen sei um einiges sicherer als der nördliche. "Wir haben gewisse Safe Zones eingerichtet und das meinen wir vollkommen ernst." Hunderttausende Palästinenser seien schon Richtung Süden gegangen, hätten sich in Sicherheit gebracht.   

Israel hat die Menschen im Norden des Gazastreifens zur Evakuierung aufgefordert. Dies löste nach UN-Angaben eine "Massenflucht" in den Süden des Gazastreifens aus.

15.10.2023 | 02:32 min
"Und da bin ich sehr glücklich, dass auch Regierungschef Scholz nach Ägypten weiterreist, weil im Endeffekt Ägypten und der Gazastreifen eine Grenze teilen. Beides sind arabisch-muslimische Gegenden, beziehungsweise Staaten", sagt der Militärsprecher.
In dem Sinne hoffe ich, dass da wirklich im Endeffekt an dieser Grenze in den nächsten Tagen und Wochen mehr Bewegung stattfinden wird, um den Menschen im südlichen Gazastreifen zu helfen
Arye Sharuz Shalicar lebt bei Jerusalem

Um einen Flächenbrand in Nahost zu verhindern, läuft die Krisendiplomatie auf Hochtouren. Nun besucht Kanzler Scholz Israel. Was kann er erreichen? ZDFheute live ordnet ein.

17.10.2023 | 51:59 min

Welchen Sinn Luftangriffe machen, wenn die Hamas sich in Tunneln verschanzt

"Das sind nicht wenige Kopfschmerzen, die wir haben. Und das nicht seit gestern und nicht seit dem 7. Oktober, sondern tatsächlich, seit die Hamas den Gazastreifen 2007 übernommen hatten", sagt Shalicar. Die Hamas habe in den letzten 17 Jahren jeden Euro, der in den Gazastreifen floss, doppelt benutzt.
Einmal natürlich, um dort das Leben irgendwie zu managen. Bei zwei Millionen Menschen muss man einen Mindest-Lebensstandard sicherstellen.
Andererseits jedoch habe man das Geld in Raketen-Produktion, Drohnen-Produktion, in Terror-Tunnelbau investiert. Es gebe Gänge, Tunnel, Höhlen im gesamten Bereich des Gazastreifens von Norden zum Süden gebaut.
Das sind ganze Familienclans von Hunderten und Tausenden von Palästinensern, die ein sehr gutes Gehalt bekommen haben, jahrelang, um dieses Tunnelsystem zu buddeln.
Arye Sharuz Shalicar, Publizist und Schriftsteller
Und genau in diesen Tunneln bewegen sich die Terroristen. Das sind über 20.000, bewaffnete, schwerbewaffnete Terroristen, die zu allem bereit sind." Wahrscheinlich seien auch Geiseln in diesen Terror-Tunneln

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Ob die Hamas einen Propaganda-Krieg mit Bildern führe?

Klar sei, sagt Shalicar, dass die Aktionen der Hamas-Terroristen von vielen Kameramännern begleitet wurden. Die hätten Hunderte wenn nicht mehr Videos und Fotos aufgenommen. Das sei psychologische Terror-Kriegsführung, weil ganz Israel diese Videos natürlich gesehen hat und die Hamas damit natürlich bezweckt, dass die Menschen hier in Israel auf den Barrikaden gehen und die israelische Armee und die Politik unter Druck setzten sofort massiv vorzugehen.
Aber genau das wolle man "natürlich nicht, weil wir wollen besonnen, ruhig und präzise vorgehen, weil dieses Mal wollen wir nicht eine zwei oder dreiwöchige Operation führen. Sondern in diesem Krieg, da wollen wir die Hamas vernichten." Wenn der Krieg vorbei sei, werde die Hamas im Gazastreifen nicht mehr regieren.  

Was wäre die langfristige Strategie?

"Also ich bin mir sicher, dass sowohl der Regierungschef als auch die hohe Politik, das Sicherheitskabinett und andere sich jetzt wirklich tatsächlich die Tage damit befassen", hofft der Politologe Shalicar. Das Militär sei fokussiert auf die aktuelle Situation.
Aus seiner Sicht sagt der deutsch-persisch-israelische Armeesprecher: "Wünschenswert wäre, das: Die arabische Welt und sehr viele arabische Staaten stehen mit Israel mittlerweile in guten Beziehungen und in Frieden,  wie die Abraham-Abkommen der letzten Jahre gezeigt haben." 
Die Hoffnung ist, dass die arabische Welt hier wirklich ein Zeichen setzt und sich zusammentut für die Palästinenser, gegen die Hamas und im Endeffekt dort im Gazastreifen in Zukunft die Menschen sicher leben können in Freiheit und Seite an Seite, in Frieden mit Ägypten und Israel.
Arye Sharuz Shalicar, deutsch-persisch-israelischer Politologe
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Quelle: ZDF

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