FAQ

: Staat Palästina: Was die Anerkennung bedeutet

von Nils Metzger, Dominik Rzepka
22.05.2024 | 15:08 Uhr
Spanien, Irland und Norwegen haben angekündigt, Palästina als Staat anzuerkennen. Was bedeutet das und welche Länder tun das bereits? Und wie reagiert Deutschland?

Spanien, Norwegen und Irland wollen Palästina als eigenständigen Staat anerkennen. Israel kritisierte die Entscheidung scharf.

22.05.2024 | 02:50 min
In einem gemeinsamen Schritt wollen die Regierungen von Spanien, Irland und Norwegen Palästina als vollwertigen Staat anerkennen. "Am nächsten Dienstag, den 28. Mai, wird Spanien im Ministerrat die Anerkennung des Palästinenserstaates annehmen", sagte der spanische Ministerpräsident Pedro Sánchez am Mittwoch im Parlament in Madrid.
Der norwegische Regierungschef Jonas Gahr Störe richtete bei einer Pressekonferenz in Oslo einen "starken Appell" an andere Länder, ebenfalls einen eigenständigen Palästinenserstaat anzuerkennen. Israel rief in Reaktion seine Botschafter aus Irland und Norwegen zurück und drohte auch Spanien ähnliche Schritte an.

Ein Palästinenser-Staat sei derzeit "ein Luftschloss" ohne "Unterbau", ordnet ZDF-Korrespondent Bewerunge ein. Entscheidend sei die Frage nach einer Nachkriegsordnung in Gaza.

22.05.2024 | 01:25 min

Wie reagiert Deutschland auf die Ankündigung?

Deutschland erkennt Palästina bislang nicht als Staat an und hat das auch erst einmal nicht vor. Eine Sprecherin von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagt dazu:
Ein eigener Staat Palästina bleibt festes Ziel deutscher Außenpolitik.
Sprecherin von Annalena Baerbock
Das bedeutet übersetzt: Erst einmal geht es um Friedensverhandlungen. Am Ende dieser Verhandlungen soll eine Zweistaatenlösung stehen. Ein Dialog in Nahost ist für die Bundesregierung im Moment allerdings in weiter Ferne.
Die Nahostexpertin Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik begrüßt gegenüber ZDFheute den Entschluss Spaniens, Irlands und Norwegens: "Es ist ein wichtiger Schritt, der untermauert, dass es einen politischen Prozess der Konfliktregelung braucht, der das Selbstbestimmungsrecht beider Völker einbezieht und auf der Basis der Grenzen von 1967 erfolgt."
Deutschland wird diesen Schritt jetzt nicht gehen, sollte ihn aber unterstützen und nicht ablehnen. Schließlich unterstützt es auch eine Zweistaatenregelung.
Muriel Asseburg, Stiftung Wissenschaft und Politik
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages kam 2019 zu dem Schluss, dass es schon jetzt keine grundsätzlichen völkerrechtlichen Vorbehalte gegen eine deutsche Anerkennung Palästinas gebe. Diplomatische Beziehungen unterhalten beide Seiten; es gibt ein deutsches Verbindungsbüro in Ramallah im Westjordanland, das teils Aufgaben einer Botschaft übernimmt.

Auf dem Weg zu einem Staat der Palästinenser verfolgen die europäischen Staaten unterschiedliche Strategien, sagt der Nahostexperte Daniel Gerlach.

22.05.2024 | 05:15 min

Wer fordert die Anerkennung Palästinas?

Es gibt auch andere Stimmen in Deutschland. Linken-Chef Martin Schirdewan etwa fordert eine Anerkennung Palästinas und eine Zweistaatenlösung in den Grenzen von 1967. "Die Bundesregierung hätte die Initiative anderer EU-Länder zur Gründung eines palästinensischen Staates unterstützen sollen, das ist längst überfällig", sagt Schirdewan ZDFheute.
Jetzt müssen Scholz und Baerbock endlich aktiv werden und eine entsprechende EU-Initiative anstoßen.
Martin Schirdewan, Die Linke
Eine Anerkennung Palästinas könne es ohne europäische Sicherheitsgarantien für Israel aber nicht geben.
Schirdewan kritisierte die Reaktion Israels und den Abzug der israelischen Botschafter aus Irland und Norwegen. "Gerade in der jetzigen Situation müssen alle diplomatischen Kanäle offenbleiben. Insofern halte ich den Abzug der israelischen Botschafter für das falsche Signal und einen Fehler."
Die Geschichte des Nahost-Konflikts von 1900 bis heute in Karten:

Die Entstehung des Nahost-Konflikts

Bis Anfang des 19. Jahrhunderts leben Muslime und Juden im Osmanischen Reich weitgehend friedlich zusammen. Doch in Europa werden die Juden ausgegrenzt und verfolgt ...


Wer oder was genau wird nun neu anerkannt?

Die Anerkennung der drei europäischen Staaten richtet sich an die Palästinensische Autonomiebehörde mit Sitz in Ramallah. Sie wird von der Fatah dominiert und unterhält eine Reihe von Ministerien, Behörden und Sicherheitskräfte, die in den Teilen des Westjordanlands, die nicht unter israelischer Verwaltung stehen, staatliche Aufgaben wahrnimmt. Auch international unterhält die Autonomiebehörde zahlreiche diplomatische Vertretungen.
Über den Hamas-kontrollierten Gazastreifen hat sie seit Jahren faktisch keine Kontrolle mehr, war aber bis zuletzt weiter in die Finanzierung vieler öffentlicher Dienstleistungen in Gaza eingebunden. Eine Anerkennung der Hamas bedeutet diese neue Entwicklung nicht. Sie könne von der neuen Entwicklung nicht unmittelbar profitieren, sagt Asseburg:
Der Schritt stellt ja gerade eine Alternative zum bewaffneten Kampf dar. Er kann damit auch die Palästinensische Autonomiebehörde stärken, die nach wie vor an einer Zweistaatenregelung festhält.
Muriel Asseburg, Stiftung Wissenschaft und Politik
Die Gründung der Autonomiebehörde geschah in Folge des Oslo-Friedensprozesses ab 1993. Auch Israel erkannte die Autonomiebehörde damals als legitime Vertretung der Palästinenser, nicht aber Palästina als Staat an. Bis heute gibt es keine Einigung beider Seiten darüber, wie der Übergang von einer Autonomiebehörde mit begrenzten Befugnissen hin zu einem vollwertigen unabhängigen Staat gestaltet werden soll.
ZDFheute Infografik
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Welche Folgen hat eine diplomatische Anerkennung?

Die Entscheidung ist primär ein symbolischer politischer Schritt ohne weitreichende völkerrechtliche Folgen, die über die drei anerkennenden Staaten hinaus wirken. Weder erhalten die Palästinensergebiete dadurch automatisch mehr Geld, Gebietsansprüche oder andere handfeste Vorteile.
Auch für Israel ergeben sich dadurch nicht unmittelbar neue Verpflichtungen und die Entscheidung hat auch keine direkte Folge für die Ankündigung des Internationalen Strafgerichtshofs von Dienstag, Haftbefehle gegen Hamas-Führer und Israels Premier Netanjahu zu beantragen.

Die Ermittlungen des Internationalen Strafgerichtshofs im Zusammenhang mit dem Gazakrieg haben ein weltweites Echo ausgelöst. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu spricht vom beantragten Haftbefehl gegen ihn von einer Verzerrung der Realität.

21.05.2024 | 01:45 min
Die Mehrheit aller Staaten weltweit erkennt Palästina als Staat an, etwa 146 der 193 UN-Mitglieder. EU-Mitglied Schweden ist 2014 bereits diesen Schritt gegangen - ohne große Konsequenzen. Viele zentral- und osteuropäische Staaten erkennen Palästina bereits seit 1988 an.

Was macht ein Gebiet zum Staat?

Jedem Land steht grundsätzlich frei, welche Staaten es diplomatisch anerkennt, es gibt keine Verpflichtung dazu. Umgekehrt ist die faktische Existenz eines Staates aber auch nicht an eine diplomatische Anerkennung durch andere Staaten geknüpft. Das ist ein Grundprinzip der Montevideo-Konvention von 1933, an deren Regeln sich Deutschland und die Europäische Union bis heute orientieren.
Die politische Existenz eines Staates ist unabhängig von der Anerkennung durch andere Staaten.
Montevideo-Konvention von 1933
Die Montevideo-Konvention legt auch fest, welche Bedingungen Gebiete erfüllen müssen, um als Staat anerkannt zu werden: eine "ständige Bevölkerung", ein "definiertes Staatsgebiet", eine "Regierung" und die "Fähigkeit zu Beziehungen mit anderen Staaten". Ob und wie sehr die Palästinensergebiete diese Kriterien erfüllen, ist völkerrechtlich seit Jahrzehnten ein kontrovers diskutiertes Thema.

Wie stehen die Vereinten Nationen zum Palästinenserstaat?

In den Vereinten Nationen hat Palästina Beobachterstatus, ist also kein vollwertiges Mitglied. Gegenüber manchen UN-Organisationen haben die Palästinensergebiete darum nur eingeschränkte Rechte. Zwar stimmte die UN-Vollversammlung mehrfach für eine Aufnahme Palästinas, zuletzt am 10. Mai, jedoch muss eine solche Aufnahme auf Vorschlag des UN-Sicherheitsrats hin geschehen, was die USA mit ihrem Veto verhindern.

Mit einer geschredderten UN-Charta empört sich Israels Botschafter über die UN-Vollversammlung. Die Mehrheit der Staaten sprachen sich für eine Vollmitgliedschaft Palästinas aus.

10.05.2024 | 01:59 min
In mehreren UN-Organisationen wie der Kulturorganisation Unesco ist der Staat Palästina hingegen voll anerkannt. Auf den UN-Status hat die Entscheidung Spaniens, Irlands und Norwegens also keine Auswirkungen.

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