: Die Ukraine-Kehrtwende des Bundeskanzlers

von Matthis Feldhoff
31.05.2024 | 18:47 Uhr
Die Wende des Bundeskanzlers deutete sich an. Jetzt ist es offiziell: Die Ukraine darf auch jenseits ihrer Grenzen deutsche Waffen einsetzen - um Russlands Angriffe zu stoppen.

Bundeskanzler Scholz erlaubt der Ukraine den Einsatz aus Deutschland gelieferter Waffen gegen militärische Ziele in Russland. NATO-Generalsekretär Stoltenberg fordert mehr Hilfe.

31.05.2024 | 01:35 min
Lange hat Olaf Scholz gezögert, um die Entscheidung zu treffen, die mit einer Erklärung von Regierungssprecher Steffen Hebestreit heute verbreitet wurde.
Aufgrund der veränderten Kriegssituation, insbesondere in der Region Charkiw, heißt es dort, habe man sich in Abstimmung mit den Verbündeten dazu entschieden, "dass die Ukraine das völkerrechtlich verbriefte Recht hat, sich gegen diese Angriffe zu wehren. Dazu kann sie auch die dafür gelieferten Waffen in Übereinstimmungen mit ihren internationalen rechtlichen Verpflichtungen einsetzen; auch die von uns gelieferten", heißt es etwas umständlich in dem Papier aus dem Bundespresseamt.

Warum die Bundesregierung diesen radikalen Schritt geht und wie die Reaktion in Moskau ausfällt, schätzen die ZDF-Korrespondenten Shakuntala Banerjee und Armin Coerper ein.

31.05.2024 | 02:37 min

Kurskorrektur des Bundeskanzlers

In den letzten Wochen musste gerade die Millionenstadt Charkiw unter Angriffen leiden, die ihren Ursprung jenseits der nahegelegenen Grenze zu Russland haben. Zuletzt in der vergangenen Nacht wurden dabei fünf Menschen getötet, 24 weitere verletzt.
Damit korrigieren die Bundesregierung und ihre Verbündeten einen Kurs, der der ukrainischen Armee in den letzten Monaten Fesseln angelegt hatte. Explizit hatten die vier großen Waffenlieferanten - USA, Deutschland, Großbritannien und Frankreich - den Beschuss russischer Stellungen auf der russischen Seite der Grenze ausgeschlossen. Nun werden die Bedingungen und Beschränkungen gelockert.

In Reaktion auf die Debatte europäischer Waffen für die Ukraine droht Putin mit "ernsthaften Konsequenzen für Europa", so ZDF-Korrespondent Armin Coerper.

31.05.2024 | 02:23 min

Gemeinsamer Kurs gewollt, insbesondere mit den USA

Scholz hatte in den letzten Monaten immer wieder auf den gemeinsamen Kurs, insbesondere mit den USA hingewiesen. Mehrfach hatte der deutsche Kanzler mit dem US-Präsidenten Joe Biden genau über diese Beschränkungen beraten.
Begründung: Man dürfe sich nicht in den Krieg hineinziehen lassen. "Nicht Kriegspartei werden", wie Scholz mantraartig immer wieder vortrug.

Die Entscheidung aus Berlin wurde auf der NATO-Außenministertagung in Prag heiß diskutiert. Wie die NATO-Mitglieder reagiert haben, weiß ZDF-Korrespondent Florian Neuhann.

31.05.2024 | 01:05 min

Macron prescht vor

Die heutige Entscheidung hatte sich schon letzte Woche, beim Besuch von Emmanuel Macron, angedeutet. Der französische Präsident war in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Scholz überraschenderweise vorgeprescht:
Wir müssen der Ukraine erlauben, militärische Stützpunkte zu neutralisieren, von denen aus Raketen abgeschossen werden.
Emmanuel Macron, Französischer Präsident

Der dreitägige Staatsbesuch des französischen Präsidenten Emmanuel Macron soll der deutsch-französischen Freundschaft neue Impulse geben.

27.05.2024 | 02:32 min
Zu dem Zeitpunkt verhandelten die sogenannten Quad-Partner (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und die USA) offenbar bereits über die Bedingungen einer Lockerung.
Scholz hatte die Aussage von Macron mit dem Hinweis versehen, dass militärische Schläge der Ukraine sich "immer im Rahmen des Völkerrechts bewegen" müssten. Das hatte mancher schon als Andeutung für einen Kurswechsel gesehen.

Sind die USA der Bremsklotz?

Offenbar scheint der größte Waffenlieferant der Ukraine, die USA, der größte Bremsklotz bei den Lockerungen gewesen zu sein. Während Deutschland seine Erlaubnis zwar an die Einhaltung des Völkerrechtes knüpft, gibt es aber keine räumlichen Beschränkungen.

Nach der Freigabe neuer Ukraine-Hilfen durch den Kongress wollen die USA schnell weitere Waffen liefern, so Präsident Biden. Insgesamt umfasst das Paket rund 61 Milliarden Dollar.

25.04.2024 | 00:27 min
Das heißt, dass es nicht nur in der Region Charkiw, sondern auch an anderen Frontabschnitten zu militärischen Schlägen gegen russische Basen kommen könnte, die in die Angriffe auf die Ukraine involviert sind.
Der US-Präsident agiert da weiterhin deutlich vorsichtiger. Die US-Erlaubnis beschränkt sich ausdrücklich auf die Region um Charkiw, so berichten es US-Medien. Allerdings gibt es auch Meldungen, dass US-Raketen beim Angriff auf russische Stützpunkte auf der Krim durch die Ukraine genutzt wurden. Allerdings ist die Krim - aus Sicht der Ukrainer und der westlichen Partner - weiterhin ukrainisches Staatsgebiet.

Sigmar Gabriel hatte bereits in der ZDF-Sendung "maybrit illner" einen Einsatz deutscher Waffen in Russland gefordert.

30.05.2024 | 00:59 min

Politische Wende und militärisches Wirken

Olaf Scholz gibt jetzt einem Drängen nach, das nicht nur aus der Opposition, sondern auch aus der eigenen Koalition auf ihn einwirkte. Außenministerin Annalena Baerbock, die seit langem für einen härteren Kurs gegen Moskau plädiert, sagte beim Nato-Treffen in Prag:
Es geht darum, die völkerrechtswidrigen Angriffe Russlands auf die Ukraine so zu unterbinden, dass Menschen in der Ukraine nicht sterben müssen.
Annalena Baerbock, Außenministerin
Die militärische Wirkung dieser westlichen Kehrtwende wird sich in den nächsten Wochen erweisen müssen. Aus Sicherheitskreisen wurden heute nur zwei deutschen Waffensystemen überhaupt die Fähigkeit zugeschrieben, tief ins russisches Hinterland zu wirken. Dazu gehören die Panzerhaubitze 2000 und der Raketenwerfer Mars II. Nur diese beiden Systeme haben überhaupt eine entsprechende Reichweite.

Dagegen könnten andere Waffen durchaus weiter wirken, etwa das amerikanische ATACMS-Raketensystem, das bis zu 300 km weit reicht. Oder Luft-Boden-Raketen, die von F-16-Kampfflugzeugen abgefeuert werden. Belgien hatte sich gerade der sogenannten Kampfjet-Koalition angeschlossen und der Ukraine 30 Jets bis 2028 zugesagt. Dänemark will sogar 19 F-16 noch in diesem Sommer liefern.
Matthis Feldhoff ist Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.
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