: Was können die USA durch Hilfe ausrichten?

von Jenifer Girke, Washington
18.10.2023 | 05:09 Uhr
Sie liefern mächtige Waffen und wählen diplomatische Worte: Amerikas Einsatz für Israel gelte aber vor allem dem israelischen Volk, nicht Netanjahus Politik, so ein Experte.
Joe Biden begrüßt Benjamin Netanjahu während eines Treffens bei der UN-Vollversammlung am 20.09.2023.Quelle: dpa
Die enge Bindung zwischen Israel und den USA war selten so wichtig wie in diesen Tagen. Israel braucht militärische Hilfe – und ein Großteil davon kommt aus den USA: Munition, Flugzeugträger, Kampfflugzeuge und Know-How. Aber es geht auch um diplomatische Rückendeckung und Bemühungen in der gesamten Nahost-Region.

Welche Rolle spielt die diplomatische Rückendeckung der USA?

Obwohl die Beziehung zwischen US-Präsident Biden und Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu seit dessen Wiederwahl letztes Jahr kühl war, sprang Biden sofort an die Seite seines israelischen Partners. Kritik an der umstrittenen Justizreform verstummte. Das unmissverständliche Signal: Amerika steht an der Seite Israels.

US-Präsident Joe Biden hat sich mit Israels Premierminister Netanjahu getroffen. Weitere geplante Gespräche mit arabischen Führern in Jordanien wurden von dem Land abgesagt.

18.10.2023 | 00:21 min
"Was die Anschläge vom 7. Oktober so besonders macht, ist die Brutalität des Angriffs. Dass Frauen, Kinder und ältere Menschen entführt wurden, dass sexuelle Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt wurde, dass Holocaust-Überlebende aus nächster Nähe erschossen wurden", sagt der Politikexperte Benjamin Radd von der University of California. Dieses Ausmaß an Terror-Gewalt führte dazu, "die Differenzen zu überwinden, die Biden mit Netanjahu oder Netanjahus rechter Regierung hat." Und weiter:
Im Moment unterstützen die Amerikaner Israel und das jüdische Volk, das angegriffen wurde, nicht aber die Regierung von Netanjahu.
Benjamin Radd, Nahost- und Politikexperte

Der Besuch des Bundeskanzlers habe eine "symbolische Bedeutung", berichtet ZDF-Reporterin Katrin Eigendorf, auch die USA sende ein "starkes Zeichen der Solidarität", so ZDF-Korrespondentin Claudia Bates.

17.10.2023 | 07:30 min
Radd geht noch weiter: "Dass ein Kriegskabinett gebildet wurde, an dem auch der Oppositionsführer Benny Gantz beteiligt ist, deutet darauf hin, dass zumindest für die Kampfhandlungen nicht Netanjahus Politik im Vordergrund stehen wird. Ich denke, das hat viel dazu beigetragen, Biden und sein Team zu dieser Unterstützung zu bewegen." Dass die Bevölkerung vor einem solchen Anschlag der Hamas nicht geschützt werden konnte, werde Konsequenzen haben:
Es ist unwahrscheinlich, dass Netanjahus Regierung politisch überleben wird.
Benjamin Radd, University of California

USA und Israel – eine besondere Beziehung

Die Vereinigten Staaten waren das erste Land, das Israel 1948 förmlich anerkannte und ist seither eine wichtige Schutzmacht, nicht nur finanziell und militärisch. Im UN-Sicherheitsrat nutzen die USA regelmäßig ihr Veto-Recht, wenn Israel etwa wegen Auseinandersetzungen mit den Palästinensern verurteilt werden sollte.

Finanzielle und militärische Hilfen

Laut dem Recherchedienst des US-Kongresses haben die Vereinigten Staaten seit 1948 Israel 158 Milliarden Dollar, größtenteils Militärhilfe, zukommen lassen. Der jüdische Staat ist damit der größte Empfänger von angesammelter US-Auslandshilfe seit Ende des Zweiten Weltkriegs.

Jüdische Bevölkerung

Für jüdische Menschen sind die USA ein bedeutsames Einwanderungsland. Laut einer Studie des Pew Research Centers lebten 2020 7,5 Millionen Juden und Jüdinnen in den USA (dazu wurden sowohl Menschen gezählt, die sich religiös als auch kulturell als Juden und Jüdinnen verstehen). In Israel waren es 2022 7,08 Millionen, wie The Jewish Agency for Israel berichtete.

Was können die USA im Nahen Osten ausrichten?

US-Außenminister Antony Blinken ist seit Tagen auf Tour im Nahen Osten: "Die Rolle der USA besteht darin, ihre Beziehungen zu nutzen, um Druck auf die Hamas auszuüben, damit sie die Geiseln freilässt, den Raketenbeschuss auf Israel einstellt und die Zahl der zivilen Opfer im Gazastreifen minimiert", formuliert Radd.

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Der konkrete Wunsch an Ägypten sei es, einen verlässlichen Hilfskorridor zu ermöglichen, damit Doppelstaatler raus und Hilfsgüter rein können. Katars Alleinstellungsmerkmal ist seine Vermittlungsfunktion. Es ist eine Art Schweiz des Nahen Ostens.
"Katar ist ein guter Freund", sagte US-Präsident Joe Biden im Januar, als Emir Tamim bin Hamad Al Thani ihn in Washington besuchte. Das kleine Land ist für die USA der militärische Dreh- und Angelpunkt im Nahen Osten. Gleichzeitig pflegt es Kontakte zur Hamas, dessen Anführer Ismail Haniyya dort im Exil lebt. Die Botschaft an Katar: Die Hamas dazu bringen, "Geiseln freizulassen, zumindest Ältere, Frauen und Kinder oder wenigstens humanitäre Hilfe zuzulassen", so Radd.
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Zum Verhältnis Israel-Saudi-Arabien gab es seitens der USA in der vergangenen Zeit große Bemühungen der Annäherung - mit dem Anschlag der Hamas wurde das auf Eis gelegt.
Soll aber nicht gänzlich einfrieren: "Die Vereinigten Staaten haben ein großes Interesse daran, dass die Diplomatie fortgesetzt wird, damit die Normalisierungsbemühungen wieder aufgenommen werden können, sobald sich die Kämpfe beruhigt haben", schätzt Radd ein.

Militärische Hilfe aus den USA an Israel: Munition

Die USA stellen Israel dringend benötigte Munition zu Verfügung und beschleunigen die Fertigstellung von bereits beschlossenen Waffenbestellungen – im Fokus: Nachschub für das israelische Luftabwehrsystem Iron Dome. “Wir werden dafür sorgen, dass Israel diese wichtigen Mittel zur Verteidigung seiner Städte und seiner Bürger nicht ausgehen”, sagte US-Präsident Joe Biden. Denn es besteht die Gefahr, dass das Abwehrsystem bei zu vielen Geschossen zusammenbricht, sogenannte “Sättigungsangriffe”.

Know-How

Laut dem US-Verteidigungsminister Lloyd Austin wird Israel auch mit einer kleinen Spezialeinheit unterstützt, für nachrichtendienstliche Informationen und in der Planung. Vorbereitung ist in diesem Fall von besonderer Bedeutung, denn die Bedingungen im Gaza-Streifen sind extrem schwierig. Das Gebiet ist dicht besiedelt, die Hamas verfügen über ein verzweigtes, unterirdisches Tunnelnetz, kennen die Infrastruktur in dem Gebiet genau, was ihnen einen strategischen Vorteil verschaffen kann.

"Um Gebäude, Keller und das ausgedehnte Tunnelnetz zu räumen, müssen sie ihre Infanterie abziehen und in den bebauten Gebieten im Wesentlichen Soldat gegen Soldat und Block für Block kämpfen", sagte Mick Mulroy, ein ehemaliger Vertreter des Pentagons, gegenüber der Washington Post. "Sondereinsatzkräfte könnten mit chirurgischen Angriffen vorpreschen, um die Hamas-Führung auszuschalten und Geiseln zu befreien”, so Mulroy weiter.

Marine-Schiffe und Flugzeuge

Schlagzeilen machte vor allem die Ankündigung des Pentagons, die Trägerkampftruppe Gerald R. Ford in Richtung Israel umzuleiten. Der Flugzeugträger hatte gerade eine Übung mit der italienischen Marine abgeschlossen, als er den Auftrag bekam, schnellstmöglich in das östliche Mittelmeer zu segeln, inkl. der rund 5.000 Mann. Seine Möglichkeiten sind vielfältig - er fungiert als Kommando- und Kontrollzentrum, beinhaltet F-18-Kampfjets und verfügt auch über Ausstattungen für humanitäre Einsätze, wie z. B. einem Krankenhaus mit Intensivstation. Die USA verlegen weitere Kriegsschiffe ins östliche Mittelmeer, darunter auch der Flugzeugträger "USS Dwight D. Eisenhower".

Kampfflugzeuge

Das Pentagon hat außerdem zusätzliche Kampfflugzeuge bestellt, um die bestehenden Staffeln auf Stützpunkten im gesamten Nahen Osten zu verstärken. Laut dem Luftwaffenminister Frank Kendall werde der Dienst verdoppelt, indem Einheiten, die bald nach Hause kommen würden, die Anweisung erhielten, an Ort und Stelle zu bleiben.

Sollten und können die USA ihre Israel-Hilfe an Bedingungen knüpfen?

Hilfskorridore, Fluchtwege für Zivilisten – das seien Wünsche, keine Bedingungen, sagt Nahost-Experte Radd:
Die Vereinigten Staaten bitten Israel, dass es im Gegenzug für die US-Hilfe diese humanitären Gesten macht.
Benjamin Radd, Nahost- und Politikexperte
Aber: "Sie als Bedingungen zu bezeichnen, also wenn Israel dies nicht tut, würden die USA keine Hilfe leisten. Ich glaube nicht, dass das der Fall ist." Zu sensibel die Situation, zu wichtig politisches Feingefühl und Demonstration gemeinsamer Stärke.

Die USA sind der mächtigste Verbündeter Israels. Ein großes Ziel von Biden: die Aussöhnung von Israel und Saudi-Arabien. Die Eskalation hat weltweite Folgen.

11.10.2023 | 11:33 min
Diese Stärke will nun auch der US-Präsident persönlich vor Ort zeigen. Ein wichtiges Ziel: eine Ausweitung des Konflikts, zum Beispiel durch Eingreifen des Irans und der libanesischen Hisbollah-Miliz, vermeiden.
Neben militärischen Lieferungen bleiben diplomatische Bemühungen die Hauptwaffe der USA in diesem Konflikt.

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