: Eingeschränktes Wahlrecht "beschämend" für EU

von Torben Heine
05.05.2024 | 07:44 Uhr
Bald wird ein neues EU-Parlament gewählt. Auch diesmal dürfte die Stimmabgabe wohl wieder Zahlreichen verwährt bleiben - denn für Menschen mit Behinderung gelten Einschränkungen.
Wählen ist für Menschen mit Behinderung nicht überall in der EU einfach (Symbolfoto).Quelle: dpa
Fehlende Gleichstellung ist innerhalb der Europäischen Union noch immer allgegenwärtig, in allen Lebensbereichen. Gerade vor der Europawahl im Juni ist das Thema wieder virulent, denn es geht auch um mangelnde politische Teilhabe. Der 5. Mai soll als europaweiter Protesttag auf die Situation von Menschen mit Behinderung aufmerksam machen.
Ein Bericht des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Europawahl 2019 zeigt: Etwa 800.000 EU-Bürgerinnen und -Bürger aus 16 Mitgliedstaaten waren aufgrund nationaler Vorschriften wegen ihrer Behinderungen oder psychischen Erkrankung vom Recht auf Teilnahme an den Europawahlen ausgeschlossen.

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Grünen-Politikerin: "Das ist ein Skandal und beschämend für die EU"

Katrin Langensiepen, vor fünf Jahren für die Grünen ins Europaparlament eingezogen, kritisiert das. "Das ist ein Skandal und beschämend für die Europäische Union als sogenannte Hüterin der Menschenrechte", so Langensiepen laut einer Mitteilung.
Perspektivisch wird sich diese Diskriminierung aber auch dieses Jahr weiterziehen.
Katrin Langensiepen (Grüne), Europaabgeordnete
In Deutschland hatte das Bundesverfassungsgericht erst kurz vor der Europawahl vor fünf Jahren entschieden, dass Menschen, die wegen einer Behinderung oder psychischen Erkrankung einen gesetzlichen Betreuer an die Seite gestellt bekommen haben, nicht mehr pauschal von Bundestags- und Europawahlen ausgeschlossen werden dürfen.
Der Bundestag hob eine entsprechende Regel deshalb rund einen Monat später auf, von der 2019 laut Deutscher Presse-Agentur (dpa) mehr als 80.000 Menschen in Deutschland betroffen waren.

Menschen mit Behinderung: Viele Hürden bei Stimmabgabe

Doch EU-weit bleiben viele Hürden für Menschen mit Behinderung: Wenn beispielsweise das Wahllokal gewechselt werden müsste, um behindertengerecht wählen zu können, war dies bei der vergangenen Wahl nicht in allen Mitgliedsstaaten möglich. Einzelne EU-Staaten ermöglichten außerdem keine echte Alternative zur persönlichen Wahl, etwa durch Briefwahlen.

Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union wählen alle fünf Jahre das EU-Parlament. Die Abgeordneten übernehmen dann verschiedene Aufgaben und gestalten so die EU-Politik.

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Das Problem bleibt auch in diesem Jahr bestehen: "In sieben Ländern, darunter Portugal, Dänemark und Slowenien, ist es Menschen mit Behinderungen nicht erlaubt, das Wahllokal mit ihren Betreuern zu betreten", erklärt Langensiepen. "In 15 anderen Ländern dürfen Menschen mit bestimmten Behinderungen nicht kandidieren."
Wir brauchen Wahlrecht für alle, barrierefreie Informationen und Wahllokale, aber auch mehr Menschen mit Behinderungen in der Politik.
Katrin Langensiepen (Grüne), Europaabgeordnete
Gezielte Maßnahmen für mehr Teilhabe hält auch Christine Schneider, Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament, gegenüber ZDFheute für notwendig - etwa durch die Veröffentlichung von Wahlprogrammen in einfacher Sprache.
Ich bin der Auffassung, dass die politische Willensbildung bereits damit beginnt, dass jede Person die Möglichkeit hat, sich zu informieren - gleichberechtigt und barrierefrei.
Christine Schneider (CDU), Europaabgeordnete
Trotz erreichter Veränderungen in den vergangenen Jahren: Katrin Langensiepen sieht die EU "noch weit entfernt von einem inklusiven Europa".

Benachteiligung auf dem Arbeitsmarkt

Sichtbar wird das beispielsweise auch auf dem Arbeitsmarkt: Menschen mit Behinderung verdienen in Werkstätten meist unterdurchschnittlich. Die Bundesarbeitsgemeinschaft Werkstätten für behinderte Menschen (BAG WfbM) dringt auf höhere Entlohnungen für diese Beschäftigten. Vorstandsvorsitzender Martin Berg sagt:
Es muss ein mindestens existenzsicherndes Einkommen für alle Werkstattbeschäftigten - auch für Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf - geben und die bestehenden Nachteilsausgleiche müssen erhalten bleiben.
Martin Berg, Vorstandsvorsitzender der BAG WfbM
Das derzeitige Entgeltsystem müsse grundlegend reformiert werden, so Berg.

Teilhabe ermöglichen und Vielfalt in der Arbeitswelt fördern - das ist das Ziel des Deutschen Diversity-Tages. Natalie Dehn macht es vor: Sie hat eine kognitive Beeinträchtigung und macht einen Berufsvorbereitungskurs zur Servicekraft.

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Kein gesetzlicher Mindestlohn in Werkstätten

Die BAG WfbM teilt weiter mit, die gesetzlichen Rahmenbedingungen ermöglichten es Werkstätten derzeit nicht, ihren Beschäftigten mehr Geld zu zahlen. Die Werkstätten seien aber offen für Veränderungen, es brauche dafür Gesetzesänderungen und weitere staatliche Unterstützung.
Özlem Demirel, Europaabgeordnete der Linken, bezeichnet die aktuelle Gesetzeslage, dass in Werkstätten bisher der gesetzliche Mindestlohn als Lohnuntergrenze nicht gilt, als "inakzeptabel".
Am Europäischen Protesttag zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderung wird klar: Das Ermöglichen politischer Teilhabe und die Arbeitsmarktinklusion von Menschen mit Behinderung sind zentrale Herausforderungen in der kommenden Legislaturperiode des Europäischen Parlaments.
Quelle: Mit Material von epd

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