: Russland: Angriff von ukrainischen Saboteuren

von Oliver Klein
02.03.2023 | 15:20 Uhr
Russische Politiker berichten über einen Angriff ukrainischer "Saboteure" auf russischem Staatsgebiet. Dahinter stecken wohl russische Rechtsradikale, die für die Ukraine kämpfen.
Bei Telegram bekannte sich ein angebliches "Russisches Freiwilligenkorps" zu der Attacke.Quelle: Telegram: t.me/tvrain/63437
Nach russischen Angaben ist eine ukrainische Sabotagegruppe in die russische Grenzregion Brjansk eingedrungen. Sie sollen um sich geschossen und mehrere Menschen als Geiseln genommen haben. Das melden staatliche Nachrichtenagenturen aus Russland, in russischen Medien ist das Thema derzeit der prominente Aufmacher. Bisher war es nicht möglich, die Berichte zu verifizieren.
Der Gouverneur von Brjansk, Alexander Bogomaz, schreibt in seinem Telegram-Account, die Ukrainer seien in das Dorf Lyubechane eingedrungen: "Saboteure schossen auf ein fahrendes Auto. Infolge des Beschusses wurde ein Bewohner getötet, ein zehnjähriges Kind wurde verletzt." Der Junge sei aber nicht in Lebensgefahr. Die Streitkräfte der Russischen Föderation würden "alle notwendigen Maßnahmen ergreifen, um die Sabotagegruppe zu beseitigen", so Bogomaz.
Ähnlich wird auch der Inlandsgeheimdienst FSB in russischen Nachrichtenagenturen zitiert. Die Ukrainer sollen laut der Berichte auch mehrere Menschen in einem Dorf knapp hinter der russischen Grenze zur Ukraine als Geiseln genommen haben. Belege dafür werden nicht genannt. Manche russischen Behörden wie die Verwaltung der Ortschaft Suschany dementieren inzwischen die Medienberichte über eine angebliche Geiselnahme und Beschuss.

Wie hat sich Russland seit Kriegsbeginn verändert? Stehen die Russen hinter Putin? ZDF-Korrespondentin Phoebe Gaa reist durch das Land auf der Suche nach Antworten.

22.02.2023 | 32:57 min

Bekennervideo von "Russischem Freiwilligenkorps"

Bei den angeblichen ukrainischen Saboteuren handelt es sich um das "Russische Freiwilligenkorps" - etwa ein Dutzend russische Rechtsradikale, die sich selbst als kämpfende Einheit der ukrainischen Streitkräfte bezeichnen. Die Gruppe veröffentlichte bei Telegram ein Video, in dem zwei Kämpfer auf den Stufen einer Arzthelferstation im russischen Dorf Lyubechany stehen.
Dass sie um sich geschossen oder gar Geiseln genommen haben, bestreiten sie: "Das Russische Freiwilligenkorps hat die Staatsgrenze der Russischen Föderation überschritten. Wir bekämpfen keine Zivilisten, wir töten keine Unbewaffneten, behalte das im Hinterkopf", sagt einer der Kämpfer. Das erklärte Ziel der Gruppe: Die russischen Bürger sollen sich "zum Aufstand erheben" und kämpfen.
Einer der beiden Männer in dem Video: Der Neonazi Denis Nikitin. Er steht an der Spitze des im August entstandenen "Russischen Freiwilligenkorps". Der Mann neben ihm ist offenbar ein Kämpfer, der sich "Fortuna" nennt und schon öfter gemeinsam mit Denis Nikitin aufgetreten ist, beispielsweise bei einer Pressekonferenz zum Thema "Befreiung Russlands durch die Befreiung der Ukraine".

Denis Nikitin und sein Label White Rex

In den 2010er Jahren stieg Denis Nikitin zu einer der Schlüsselfiguren der internationalen Hooligan- und Neonaziszene auf. Nikitin trat nicht nur bei neonazistischen Veranstaltungen wie dem 2017 im thüringischen Themar stattgefundenen Rechtsrockkonzert "Rock gegen Überfremdung" als Redner auf, sondern gab auch europaweit Kampfsportseminare für rechtsextreme Parteien wie der PNOS in der Schweiz.

Eine zentrale Rolle spielte dabei sein 2008 gegründetes Label "White Rex". Dabei handelt es sich nicht nur um eine Modemarke, die sich europaweit bei Hooligans und Rechtsextremen großer Beliebtheit erfreute. Unter dem Label organisierte Nikitin auch mehrere Kampfsportevents. Zuerst in Russland, unter dem Titel "Geist des Kriegers", ab 2013 auch in Europa. In Deutschland war Nikitin beim "Kampf der Nibelungen" involviert, dem größten neonazistischen Kampfsportevent in Deutschland und Europa. Dieses fand von 2013 bis 2018 jährlich in unterschiedlichen Städten statt. Seit 2019 konnten Kommunen und Behörden die Veranstaltung juristisch verhindern.

Denis Nikitin und sein Label propagieren eine gesunde Lebensweise, um sich für den Kampf der Zivilisationen vorzubereiten. Was Nikitin nicht daran hinderte, auch mit Drogen Geschäfte zu machen. 2019 machte "Der Spiegel" publik, dass Nikitin eigentlich Denis Kapustin heißt und 2001 mit seiner Familie als Kontingentflüchtling, offiziell also als Jude aus der ehemaligen Sowjetunion nach Köln kam, wo seine Familie bis heute lebt.

In der Hooliganszene des 1. FC Köln sammelte er auch erste Gewalterfahrungen. In demselben Jahr, indem "Der Spiegel" seine Enthüllungen publik machte, bekam Nikitin ein zehnjähriges Einreiseverbot in den Schengen-Raum. "Seitdem laufen die Geschäfte von Nikitin nicht mehr so gut, weswegen er auch an Einfluss in der rechtsextremen Szene in Europa verlor", sagt Robert Claus. 2018 verlagerte Nikitin seinen Lebensmittelpunkt nach Kiew.

Für die Ukraine kämpfende Ausländer

Die Ukraine ist seit Jahren ein Fluchtpunkt für viele Bürger anderer Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion, die aus politischen Gründen ihre Heimat verlassen mussten. Dies ist mit ein Grund, weshalb nach dem russischen Einmarsch am 24. Februar auch viele in der Ukraine lebende Ausländer zu den Waffen gegriffen haben. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Pahonja-Regiment, das aus belarussischen Freiwilligen besteht.

Es gibt aber auch eine georgische und tschetschenische Kampftruppe. Dazu kommen weitere Freiwillige, vorwiegend aus ostmitteleuropäischen- und angelsächsischen Staaten, die mit der von der Ukraine Internationalen Legion der Territorialverteidigung assoziiert oder deren Teil sind. Nikitins "Russisches Freiwilligenkorps" nutzt als Emblem das Wappen der sogenannten "Wlassow-Armee". Sie entstand während des Zweiten Weltkriegs aus russischen Kriegsgefangenen und kollaborierte mit Deutschland. Daneben gibt es mit der "Freiheitslegion" noch eine weitere aus Russen bestehende Kampfgruppe. Wie Nikitin in seinen Interviews jedoch betont, haben beide Gruppen ideologisch nichts gemeinsam. Nikitins "Freiwilligenkorps" ist zudem auch kein Teil der von der Ukraine gegründeten Internationalen Legion der Territotialverteidigung.

Russische Rechtsextreme und die Ukraine

Bis 2014 gab es durchaus rege Kontakte zwischen russischen und ukrainischen Rechtsradikalen. Eine Zäsur bildete jedoch das Jahr 2014 mit dem Maidan, der russischen Annexion der Krim sowie dem Krieg im Donbass. Es waren Ereignisse, die ähnlich wie in der internationalen rechtsextremen Szene auch innerhalb der russischen Rechtsradikalen zu unterschiedlichen Positionierungen führte. Einem demokratischen und liberalen ukrainischen Staat standen zwar alle kritisch gegenüber, dennoch sahen einige im Maidan ein Vorbild für Russland. Andere interpretierten diesen wieder als eine Abspaltung eines slawischen Brudervolkes.

Die Brüche zeigten sich auch während des Krieges in der Ostukraine. Während einige russische Neonazis in das ukrainische Asow-Bataillon eintraten, kämpften andere russische rechtsextreme Gruppen wie Russitsch auf Seiten der sogenannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk. Eine der bekanntesten Gruppen, die sich am russischen Angriffskrieg auf die Ukraine beteiligen, ist die vom russischen Milliardär Jewgenij Prigoschin gegründete Söldnertruppe Wagner, deren Mitglieder sich zum Teil offen zum Neonazismus bekennen. Was die russischen Rechtsradikalen eint, auch wenn sie auf unterschiedlichen Seiten der Front stehen, ist die White Supremacy Ideologie und somit auch die Überzeugung, dass die Slawen den anderen ethnischen Minderheiten Russlands überlegen sind.

Putin: FSB soll wachsamer sein

Erst im Dezember erklärte der FSB, eine vierköpfige ukrainische "Sabotagegruppe" sei bei dem Versuch, nach Brjansk einzudringen, "liquidiert" worden. Putin forderte den FSB diese Woche erneut auf, seine Wachsamkeit gegenüber Spionage und terroristischen Bedrohungen, die angeblich von der Ukraine und dem Westen ausgehen, zu erhöhen. "Ihre Aufgabe ist es, Sabotagegruppen eine Barriere in den Weg zu legen und Versuche zu unterbinden, Waffen und Munition illegal nach Russland zu transportieren", sagte er am Dienstag in einer Rede.
"Der FSB gibt ständig solche Erfolgsmeldungen raus", erklärt ZDF-Russland-Korrespondentin Phoebe Gaa. "Wir können aber nicht jede dieser Meldungen überprüfen. Und wie groß die tatsächliche Gefahr ist, die von angeblich verhinderten terroristischen Anschlägen ausgeht, lässt sich nur schwer einschätzen." Möglicherweise suche Putin aber auch nur einen Vorwand, die sogenannte militärische Spezialoperation auszuweiten oder eine neue Mobilisierung zu rechtfertigen, so Gaa.
Präsidentenberater Podoljak bei Twitter

Kiew dementiert und spricht von Provokation

Ein Berater im ukrainischen Präsidentenbüro, Mychajlo Podoljak, sprach von einer "klassischen Provokation". Russland wolle die eigenen Leute einschüchtern, um den Angriffskrieg bei wachsender Armut zu rechtfertigen. "Unterdessen wird die Partisanenbewegung in Russland stärker und aggressiver. Fürchtet Eure Partisanen", schrieb Podoljak auf Twitter.
Russlands Präsident Wladimir Putin nannte den Zwischenfall in der Region Bryansk inzwischen einen "terroristischen Akt". Er sagte eine geplante Reise in die Stadt Stavropol ab. Nun soll sich der nationale Sicherheitsrat mit dem Thema beschäftigen.
Mit Material von Reuters und dpa

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