: Wie kann Russland ohne Putin aussehen?

von Marcel Burkhardt
16.02.2023 | 09:35 Uhr
Michail Chodorkowski, größter russischer Gegner des Kreml-Chefs, plant im Exil den Aufbau eines neuen Staats - ohne Putin. Wie realistisch ist sein Ziel?
Der Ex-Oligarch Michail Chodorkowski fordert eine "Revolution" in Russland.Quelle: dpa
Lange vor Wladimir Putins Angriff auf die Ukraine war Michail Chodorkowski bereits einer der größten Kritiker des Kreml-Chefs. Das brachte dem einst reichsten Russen zehn Jahre Haft. Heute entwirft der 59-Jährige im Londoner Exil Pläne für eine Zeit nach Putin.

Chodorkowski: Revolution in Russland "unvermeidlich"

Am heutigen Donnerstagabend stellt Chodorkowski seine Ideen für einen "kompletten Neuaufbau" Russlands während einer Veranstaltung der Münchner Sicherheitskonferenz vor. In seinem gerade veröffentlichten Buch "Wie man einen Drachen tötet" vertritt Chodorkowski die These, dass eine Revolution gegen das "autoritäre, ja sogar neototalitäre Regime" in Russland "unvermeidlich" sei.

Vom "Terrorregime" zur parlamentarischen Demokratie

Hauptziel sei es, "die Gesellschaft humaner, geduldiger, freier zu machen", so Chodorkowski. Anstelle des heute herrschenden "Terrorregimes" solle demnach eine neue Ordnung entstehen, "die auf Gerechtigkeit und Barmherzigkeit gleichermaßen gründet".
Der derzeit einflussreichste Kreml-Kritiker träumt von einem "völligen Neuaufbau" des politischen Systems in Russland und der Entwicklung eines parlamentarischen und föderalistischen Rechtsstaats-Modells, das seinen Namen verdiene.

Wer ist Michail Chodorkowski?

Michail Chodorkowski ist einer der bekanntesten Dissidenten Russlands. Der ehemalige Oligarch und heutige Oppositionspolitiker wurde 2003 wegen "Steuerhinterziehung und planmäßigen Betrugs" in zwei international umstrittenen Urteilen zu zehn Jahren russischer Lagerhaft verurteilt.

Der einstige Ölmagnat Chodorkowski hatte den Präsidenten Wladimir Putin zuvor öffentlich kritisiert.

Noch lähmt der Kreml effektiv die Opposition

Chodorkowski selbst glaubt, dass eine Transformation "mindestens 20 Jahre" dauern werde, denn: "Heute, da in Russland faktisch der Ausnahmezustand und ein politisches Terrorregime herrschen, ist jeder praktische Widerstand gegen die Maßnahmen der Behörden gelähmt."
Ein politischer Umschwung sei aber keineswegs utopisch:
Derart geschlossene Systeme verursachen am Ende ihren eigenen Zusammenbruch. Putins Regime wird da keine Ausnahme sein.
Michail Chodorkowski, russischer Oppositioneller
Noch scheint Putin jedoch fest im Sattel zu sitzen. Einen "signifikanten Widerstand" in Russland vermag auch Politikprofessor Gerhard Mangott nicht zu erkennen.

Stolz, mutig, mit ungebrochenem Willen wehren sich junge Russinnen und Russen gegen den Krieg, gegen die Diktatur im eigenen Land – und riskieren dabei ihre Freiheit und ihr Leben.

25.05.2022 | 28:28 min

Politologe Mangott: Putins Schicksal hängt an Ukraine

Der Experte für Sicherheitsforschung im post-sowjetischen Raum sieht Putins Schicksal eng mit dem Kriegsverlauf in der Ukraine verbunden: "Wenn der Krieg nicht völlig desaströs für die russische Seite verläuft, ist es realistisch, dass Putin noch geraume Zeit herrschen wird", so Mangott im Gespräch mit ZDFheute.
Sollten die russischen Truppen in der Ukraine allerdings vollständig scheitern, wäre eine Palastrevolte im Kreml das gefährlichste Szenario für Putin.
Gerhard Mangott, Politikprofessor der Uni Innsbruck
Gewissermaßen ein Fortbestand des Systems Putin, nur dass dann andere "Vertreter des innersten Kreises der Macht" das Ruder übernähmen, so Mangott: "Mit einer völligen Neuausrichtung der russischen Politik ist durch sie nicht zu rechnen."

Chodorkowski: Putins Kriege zur Regime-Stabilisierung

In Putins Ukraine-Krieg sieht Chodorkowski "nur die Spitze des Eisbergs der globalen Konfrontation mit dem Westen". Diese treibe Putin so weit, "wie die Kräfte reichen". Denn:
Er hat keine andere Möglichkeit, sich im Innern zu stabilisieren, als ständig Kriege mit imaginierten äußeren und inneren Feinden zu führen.
Michail Chodorkowski, russischer Dissident
Im Interview mit der Schweizer Tageszeitung "Blick" sagte Chodorkowski, dass er mit russischen Eliten im Austausch stehe: "Der Widerstand wird erst sichtbar werden, wenn das Regime ins Taumeln gerät."

Viele Hürden und Gefahren für Staatserneuerer

Chodorkowski vertraut offenbar auf einen bislang verborgenen Wechselwillen. Den Eliten müsse nur glaubhaft versichert werden, dass es einen Ausstieg aus dem System Putin gebe, "ohne dass ihnen der Kopf abgehauen wird", so Chodorkowski.
Gleichsam lässt er keinen Zweifel daran, dass der russische Staat schnellstmöglich einen völligen Neuanfang brauche.
Dazu nötig seien unter anderem:
  • eine konstituierende Versammlung
  • die Anpassung der Verfassung an die demokratischen Prinzipien
  • ein Wechsel von rechtswidrigen zu rechtmäßigen Gesetzen
  • die Abhaltung freier Wahlen zu neuen Machtorganen

Mit Zensur, Desinformation und Druck auf Andersdenkende kontrolliert der Kreml die Stimmung im Land. Seit dem Angriff auf die Ukraine hat sich die Gleichschaltung verschärft.

05.12.2022 | 43:45 min
Dass jene, die einen neuen, demokratischen russischen Staat aufbauen wollen, vielen Gefahren ausgesetzt sein werden, beschreibt Chodorkowski detailliert. Schließlich betrachte heute noch "ein gewichtiger Teil der Gesellschaft" Putin, Stalin und sogar Iwan den Schrecklichen als "effektive Manager".
Allerdings glaubt Chodorkowski, dass die Möglichkeit eines neuen, offenen Russlands mit starker Zivilgesellschaft die Mehrheit der Menschen im Land in absehbarer Zeit überzeugen werde.
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