: Brauchen wir überhaupt noch Corona-Regeln?
von David Metzmacher
14.11.2022 | 16:54 UhrBeginnt gerade eine Zeitenwende im Umgang mit Corona? In diesen Tagen werden Forderungen laut, sämtliche Maßnahmen gegen das Virus abzuschaffen. Jüngst hatten Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Bayern und Hessen ein Ende der Isolationspflicht für Corona-Infizierte angekündigt.
Auch die Maskenpflicht im ÖPNV wackelt - zumindest in den ersten Ländern: Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) etwa will die Maskenpflicht in Bus und Bahn nicht über das Jahresende hinaus zu verlängern. Stattdessen appelliert er an die Eigenverantwortung: "Mit Symptomen bleibt man zu Hause".
Diese Corona-Regeln gelten in Deutschland
Seit dem 1. Oktober gibt es einen neuen Rechtsrahmen für Corona-Schutzmaßnahmen: Deutschlandweit gilt eine Maskenpflicht im Fernverkehr sowie eine Verpflichtung zur Testung und zum Tragen einer FFP2-Maske beim Besuch von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtung. Auch Besucher von Arztpraxen müssen eine FFP2-Maske tragen.
Den Rest, also etwa die Masken- und Testpflichten im ÖPNV, Freizeitstätten in Innenräumen oder Schulen und Kitas, regeln die Länder selbst. Die genauen Maßnahmen sind auf den Webseiten der Länder zu finden.
Angesichts dieser Ankündigungen stellt sich die Frage: Brauchen wir die Corona-Regeln noch?
Tausend Corona-Tote pro Woche
Noch immer gibt es viele Corona-Tote. Die Zahl der dem RKI übermittelten Todesfälle in Zusammenhang mit dem Virus lag in der jüngsten Vergangenheit bei etwa 1.000 pro Woche. Die 7-Tage-Inzidenzen reichen in den Bundesländern derzeit von 136,2 in Thüringen bis 329,8 in Bremen.
Das Klinikum Darmstadt sei Ende Oktober an seine Grenzen gestoßen, sagt der Leiter der Corona-Station Cihan Çelik: "Wir sehen, dass die Krankheitslast der Akutverläufe milder verläuft als noch vor zweieinhalb Jahren, trotzdem sind wir im letzten Monat mit der stationären Versorgung an die Grenzen gekommen." Es seien viele - gerade ältere - Patienten gleichzeitig infiziert gewesen, sodass mehrere Stationen schließen mussten, um Covid-Patienten zu versorgen.
Man muss sich darüber im Klaren sein, dass Covid-Infektionsspitzen immer noch das Potential haben, das Gesundheitssystem erheblich zu stören.

Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein wollen die Isolationspflicht für Corona-Infizierte abschaffen. Karl Lauterbach sieht das im Winter als schweren Fehler.
11.11.2022 | 02:24 minCorona-Maßnahmen: Welcher Schutz ist angemessen?
Daher plädiert Çelik für einen Mindestschutz, um die Verbreitung des Virus einzudämmen - dazu gehöre auch die Isolationspflicht. Er könne verstehen, dass viele der Maskenpflicht überdrüssig seien. Doch während für viele Jüngere das Corona-Risiko tatsächlich gesunken sei, gelte dies nicht für Risikogruppen: "Diese Menschen müsste man strikt aufklären, dass für sie die Maske immer noch sehr sinnvoll ist."
Wenn parallel Lockerungen der Maskenpflichten und der Isolationspflichten gemacht werden, wird das ganze unberechenbar.
Corona mit anderen Atemwegserkrankungen vergleichbar?
Gleichzeitig gibt es andere Stimmen: Christoph Spinner, Pandemiebeauftragter des Klinikums rechts der Isar in München, meint etwa, dass die Corona-Gefahr mit dem Wegfall der Isolationspflicht nicht deutlich steige. Dem ZDF sagte er: "Die behördlich angeordnete Isolation begründet sich ja vor allem darin, dass man eine gemeingefährliche Erkrankung aus der Öffentlichkeit fernhalten möchte."
Tatsächlich ist durch die gestiegene Immunkompetenz der Bevölkerung heute Covid-19 aus medizinischer Sicht mehr denn je mit anderen Atemwegserkrankungen vergleichbar.
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hält den Vorschlag, die Isolationspflicht aufzuheben, für nachvollziehbar: "Er ist in der aktuellen Pandemiesituation auch vertretbar", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. In Krankenhäusern und Altenheimen habe man gute Hygienekonzepte und Fachkräfte, die verhinderten, dass es zu einem problematischen Infektionsgeschehen komme.
Lauterbach verteidigt Corona-Maßnahmen
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist anderer Meinung. Er sieht die vier Bundesländer, die die Isolationspflicht abschaffen wollen, auf dem Irrweg. Auf Twitter schreibt er, der Vergleich mit anderen Atemwegserkrankungen hinke:
Gesundheitsminister Lauterbach zu Corona-Maßnahmen:
Çelik: "Dürfen Long Covid nicht vergessen"
Und dann gibt es noch Long Covid: Es gelte weiterhin, dass jede vermiedene Infektion von Vorteil sei, sagt Çelik: "Wir haben mit Long Covid ein sehr schwer behandelbares Krankheitsbild, das viele Menschen betrifft."
Der beste Schutz vor Long Covid ist ein allgemeines Niedrighalten der Infektionszahlen.
Ein zusätzlicher Grund vorsichtig zu sein, ist auch die aktuelle Grippewelle. Die ist laut Deutschem Hausärzteverband ungewöhnlich früh gestartet - und könnte zu Engpässen durch Personalausfall führen.
Die Grippesaison hat begonnen. Hausärzte und Kliniken werben für die Grippeschutzimpfung - und warnen auch vor Engpässen durch möglichen Personalausfall.
13.11.2022 | 00:21 minCorona-Situation in anderen EU-Ländern
Ein Blick ins Ausland zeigt, dass die Abschaffung der Isolationspflicht in Österreich, der Schweiz, Polen und Spanien zumindest auf den ersten Blick nicht zu höheren Infektionszahlen geführt hat. Doch die Zahlen könnten trügen: Wird weniger getestet - etwa dadurch, dass vormals verpflichtende Testungen wegfallen, Schnelltests kostenpflichtig werden oder Corona insgesamt an Schrecken verliert - verzerrt das die Infektionszahlen.
Fazit: Fachleute sind uneins darüber, was die Weiterführung von Isolations- und Maskenpflicht angeht. Für beide Seiten gibt es Argumente. Einig sind sich alle, dass bei Lockerungen verstärkt an den Schutz von Risikogruppen gedacht werden sollte.
Quelle: Mit Material von dpa