: Experten: EU-Reform löst Asyl-Probleme nicht

von Nils Metzger
08.06.2023 | 13:18 Uhr
Die EU verhandelt eine Groß-Reform des Asylsystems. Geplant sind Schnellverfahren und Lager an den Außengrenzen. Experten warnen: Die Vorschläge werden die Probleme nicht beheben.
Ein Grenzzaun zwischen Ungarn und Serbien: Experten kritisieren die geplanten Verschärfungen des EU-Asylsystems. (Archivbild)Quelle: AP
Wie soll die Europäische Union künftig mit Flucht und Migration umgehen? Darüber verhandeln die Mitgliedsstaaten Donnerstag und Freitag in Luxemburg. Im Raum stehen deutliche Verschärfungen der bisherigen Maßnahmen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte davor, dass ein Scheitern der Beratungen ein Ende des Schengen-Raums, der offenen Grenzen innerhalb Europas, zur Folge haben könnte:
Ich befürchte, wenn wir kein gemeinsames Asylsystem bekommen, dann fallen wir in die Nationalstaatlichkeit zurück.
Innenministerin Nancy Faeser, SPD

Expertenrat fordert: Deutschland soll Reform scheitern lassen

Migrationsforscher weisen jedoch darauf hin, dass die jetzt im Raum stehenden Reformen gar keine dauerhafte Lösung für die Probleme des Asylsystems darstellen. Der "Rat für Migration", in dem sich rund 190 Forschende zu Migrationsthemen zusammengeschlossen haben, schreibt in einem Aufruf von Donnerstag:
Besser keine Reform als diese.
Stellungnahme Rat für Migration
Die Experten kritisieren, dass die geplanten Maßnahmen nicht menschenrechtskonform umgesetzt werden könnten - und das Problem mangelnder Solidarität zwischen den EU-Staaten bei der Verteilung der Menschen nicht lösten. "Die Vorschläge der Kommission sind nicht geeignet, um die Krise der Migrationspolitik in Europa zu beenden", heißt es.

Seit Jahren streitet die Europäische Union über die Reform des EU-Asylsystems, vor allem darüber, wie die Geflüchteten auf die europäischen Staaten verteilt werden, und wie die EU-Außengrenze gesichert werden kann, um illegale Zuwanderung einzudämmen.

06.06.2023 | 09:19 min

Was sieht die Asyl-Reform vor?

Verhandelt wird aktuell über einen Vorschlag der EU-Kommission vom Herbst 2020. Kern sind die sogenannten Grenzverfahren: Asylsuchende, die aus Staaten mit niedriger Anerkennungsquote einreisen, könnten künftig in eine beschleunigte Vorprüfung gelangen. Sie soll innerhalb von 12 Wochen klären, ob die Person überhaupt Anspruch auf ein Asylverfahren hat.
Einer der Autoren der "Rat für Migration"-Stellungnahme, der Kulturanthropologe Bernd Kasparek von der Berliner Humboldt-Universität, sagt ZDFheute:
Diese Verfahren sind nur unter haftähnlichen Bedingungen praktikabel, das heißt mit Aufnahmelagern, wie sie heute schon in Griechenland beobachtet werden können. De facto: Flüchtlingsgefängnisse an Europas Grenzen.
Dr. Bernd Kasparek, Humboldt-Universität zu Berlin
Das Versprechen schneller und unbürokratischer Verfahren könnte sich in der Realität auch nicht bewahrheiten. Denn fällt die Vorprüfung negativ aus, darf rechtlich nicht direkt abgeschoben werden. Es muss ein 12-wöchiges Rückkehrverfahren gestartet werden und auch danach sei es laut Rat für Migration die Regel, dass Abschiebungen scheitern. Etwa weil Staaten die Abgelehnten nicht aufnehmen wollen.
Die Experten verweisen darauf, dass in den vergangenen Jahren ähnliche Zentren bereits mehrfach getestet und wieder eingestellt wurden - auch wegen rechtlicher Probleme. "Es gibt derzeit keine funktionierende Erstaufnahmeeinrichtung an den Grenzen Europas, die als Beleg oder Folie für eine Implementierbarkeit des Reform-Pakets dienen könnte", betont der "Rat für Migration".
Das Lager Moria, welches im September 2020 fast vollständig abbrannte, steht exemplarisch für die Zustände, die wir nun erwarten können.
Dr. Bernd Kasparek, Humboldt-Universität zu Berlin

Faeser will Ausnahmen für Familien – was bringt das?

Innenministerin Faeser scheint bewusst, dass die Zustände in den geplanten Asylzentren an den Außengrenzen unmenschlich werden. Aus diesem Grund will sie darauf drängen, Familien mit Kindern von diesem Prozess auszunehmen.
"Die Forderung ist natürlich sinnvoll, gleichzeitig unterstreicht sie aber, dass auch Frau Faeser klar ist, welch massiven Grundrechtseingriffe mit dem Grenzverfahren verbunden sind", sagt Kasparek. "Dann müssten aber auch schwangere Frauen, Traumatisierte, körperlich eingeschränkte Personen, Senior:innen, etc. vom Grenzverfahren ausgenommen werden."

Die EU-Innenminister wollen über ein neues Regelwerk zum Asylrecht beraten. Die Bundesregierung signalisiert zwar Zustimmung, doch von den Grünen kommt Kritik.

06.06.2023 | 01:52 min
Menschen, die aus Staaten mit hoher Anerkennungsquote fliehen, etwa Syrien oder Afghanistan, sollen grundsätzlich nicht von dem neuen Grenzverfahren betroffen sein. Werden also alle Regeln beachtet, beträfen die neuen Verfahren nur einen Bruchteil aller Einreisenden. Das setzt jedoch voraus, dass die EU-Staaten ernsthaft prüfen – und die Grenzverfahren nicht primär als Gelegenheit nutzen, möglichst viele Menschen schnell und unter Missachtung ihres Asylrechts abzuschieben.

Auch der Verteilmechanismus birgt Probleme

Auch die jetzt diskutierten Reformvorschläge lösen nicht das grundsätzliche Problem, dass Migration einen kleinen Kreis an EU-Staaten am heftigsten trifft. Zwar plant die EU, auch den Verteilmechanismus für Flüchtlinge anzupassen, Länder sollen sich dem aber per Strafzahlung pro nicht aufgenommenen Flüchtling verweigern können. Polnische Medien verbreiteten eine mögliche Summe von 22.000 Euro pro verweigerte Aufnahme. Das ermöglicht Freikaufen statt echter Sanktionen. Es sind solche Zahlen, um die bei den Verhandlungen intensiv gerungen wird.
Kasparek fürchtet, dass die neuen Regelungen die Spaltung zwischen den grenznahmen EU-Mitgliedstaaten und denen im Norden zementieren werden. Er sehe in den vorgeschlagenen Mechanismen wenig Anreize, sich solidarisch zu verhalten. "Für grenznahe Staaten wird es auch weiterhin einfacher sein, ankommende Personen durchzuwinken und nach Norden ziehen zu lassen. Darauf werden die Staaten im Norden erneut mit Binnen-Grenzkontrollen reagieren", sagt Kasparek. Genau solche Grenzkontrollen, sollte die Reform eigentlich verhindern.

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