: Europa vergewissert sich seiner selbst

von Klaus Brodbeck, Reykjavík
16.05.2023 | 20:15 Uhr
Beim Treffen des Europarats in Reykjavik erinnert Olaf Scholz an die Pflicht der EU, der Ukraine beizustehen. Der Gipfel dient auch dazu, Geschlossenheit nach außen zu zeigen.
Quelle: AFP
Europarat? Noch nie gehört? Oder mit ähnlich klingenden Organisationen verwechselt? Willkommen im Club: Nur fünfeinhalb Prozent der Deutschen ist der Europarat ein Begriff. Dem Rest ist er egal, er hat noch nie von ihm gehört oder eben irgendwie verwechselt.

Auf dem ersten Gipfel des Europarats seit 18 Jahren in Reykjavik geht es vor allem um die Ukraine. Der Europarat will sich als Hüter der Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit zeigen.

17.05.2023 | 02:10 min
Dabei hat der Europarat erstens nichts mit der Europäischen Union zu tun und zweitens viel mehr Mitglieder. Es sind 46, auch Großbritannien und die Türkei zum Beispiel sind dabei. Insgesamt 60 Delegationen sind zum Gipfel für zwei Tage ins kleine Island gereist.

In Reykjavik treffen sich Staats- und Regierungschefs zu einem Gipfel. Seit 1949 ist der Europarat für Völkerverständigung und Menschenrechte zuständig.

16.05.2023 | 03:42 min

Krieg in der Ukraine bestimmt EU-Treffen

Die ganz große Bühne also. Und eine, auf die selten so gespannt geblickt wird wie dieses Mal. Seit 1949 besteht der Europarat, und doch ist dies erst das vierte Treffen Chefebene. Das letzte fand vor fast 20 Jahren statt. Der Krieg in der Ukraine hat Europas Sicherheitsarchitektur gewaltig verändert, denn es gibt dringenden Redebedarf.
Wie so oft betont Bundeskanzler Olaf Scholz, wie wichtig ihm die internationale Ordnung und deren Regeln sind. Ein Appell, der sich auch nach innen, an mitunter schwierige Mitgliedsstaaten des Europarats richtet.
Jedes Mitglied müsse seinen Pflichten ohne Abstriche nachkommen, ruft Scholz der Versammlung zu. Dazu gehöre auch, Urteile des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vollständig umzusetzen, sie nicht als Niederlagen sondern als Gewinn für Menschen- und Bürgerrechte zu verstehen.

Scholz sichert Ukraine weitere Unterstützung zu

Vor allem dem türkischen Vertreter könnten da kurz die Ohren geklingelt haben. Ankara selbst lässt das aber vermutlich kalt - während fast alle großen Länder durch Staatsoberhäupter oder Regierungschef vertreten sind, schickte die Regierung von Erdogan nur den stellvertretenden Außenminister.
Noch wichtiger aber sind dem Kanzler die Lehren, die Europa aus dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ziehen müsse. Die Ukraine müsse mit allen Kräften unterstützt werden. Bei der Verteidigung gegen die russischen Aggressoren, dem Wiederaufbau nach dem Krieg, auch mit Geld der Entwicklungsbank des Europarates. Beim Aufbau ihres Justizsystems und rechtsstaatlicher Institutionen.

Der Europarat diskutiert, wie Russland für den Krieg in der Ukraine haftbar gemacht werden kann. ZDF-Reporterin Isabelle Schaefers mit einer Einschätzung.

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Und bei der Ahndung russischer Kriegsverbrechen. Nicht umsonst gehört der Menschenrechtsgerichtshof zum Europarat. Und natürlich beim Einfordern von Schadensersatz für die Zerstörungen, die Russlands Angreifer in der Ukraine anrichten.

Ukraine: Europarat richtet Schadensregister ein

Zur Erfassung dieser massiven Schäden wird der Europarat ein Schadensregister einrichten, geführt in Kiew und Den Haag. Deutschland ist Gründungsmitglied und Finanzier. Zunächst nicht viel mehr als eine Auflistung, die in rasendem Tempo immer länger wird.
Früher oder später sollen die im Register gesammelten Informationen Grundlage für einen "umfassenden internationalen Entschädigungsmechanismus" sein, wie es in der Abschlusserklärung des Gipfels formuliert werden soll. "Irgendwann", wenn der Krieg enden wird, "nicht mit einem Sieg des Putinschen Imperialismus", wie Scholz es sagt.

Selenskyj spricht in Videoschalte zu EU-Staatschefs

Optimismus, dass es so kommen könnte, hatte zuvor der ukrainische Präsident verbreitet. 18 Raketen verschiedener Typen hatte Russland in der vergangenen Nacht auf Kiew abgefeuert, jede einzelne habe die ukrainische Luftabwehr abschießen können, berichtet Wolodymir Selenskyj, der zugeschaltet ist.

Raketenangriffe auf die Hauptstadt Kiew: dieses Mal alle abgefangen.

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100 Prozent Abwehr, das zeige, wozu Europa imstande sei mit 100 Prozent Geschlossenheit, 100 Prozent Erfolg. "Lassen wir dem Aggressor nur null Prozent", forderte Selenskyi mehr Luftabwehrsysteme vom Westen sowie Kampfjets und ein internationales Tribunal gegen die russischen Aggressoren.

Gipfel dient auch der Selbstvergewisserung Europas

Wladimir Putins Überfall auf die Ukraine hat in Europa zu ungeahnter Geschlossenheit geführt, weit über die Europäische Union hinaus. Der Riesengipfel auf der Vulkaninsel mitten im Atlantik dient auch der Selbstvergewisserung Europas.
"United around our Values - vereint um unsere Werte" ist die Eröffnungsveranstaltung überschrieben. Offen, wie viel davon noch bleibt, wenn der Krieg in der Ukraine zu Ende ist und es gilt, das Land wieder aufzubauen - mit Hunderten Milliarden aus jenen Ländern, die heute der Ukraine applaudieren.

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