: Welche Auswirkungen gibt es auf die Front?

von Christian Mölling und András Rácz
27.06.2023 | 11:01 Uhr
Die Auswirkungen des Wagner-Aufstands auf die Front sind begrenzt. Längerfristig kann der Gruppe Wagner die Kampfkraft fehlen. Sie wird aber weiter operieren. Eine Analyse.
Wagner-Kämpfer in Rostow am Don (aufgenommen am 24.06.2023).Quelle: Reuters
Die versuchte Neutralisierung von Jewgeni Prigoschin und großen Teilen der Gruppe Wagner hat zumindest kurzfristig nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Kampfkraft der russischen Armee.
Seit der Einnahme von Bachmut haben sich die Kämpfer der Gruppe Wagner von der Front zurückgezogen und wurden dort durch reguläre russische Einheiten ersetzt. Die Gruppe Wagner befand sich im rückwärtigen Bereich in der Region Luhansk, von wo aus sie am Freitag ihren Marsch begann.

Prigoschin ließ das Hauptquartier weiterarbeiten

Der zweite Grund, warum die Meuterei nur sehr begrenzte Auswirkungen auf die Front hatte, ist der, dass die Gruppe Wagner zwar das Hauptquartier des südlichen Militärbezirks in Rostow am Don besetzte, von dem aus die russischen Operationen in der Ukraine geleitet werden, aber nicht in die Arbeit des Kommandos eingriff.
Prigoschin wollte den Kreml stören, nicht die Front gegen die Ukraine.

Dr. Christian Mölling ...

Quelle: DGAP
... ist Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin und leitet dort das Programm Sicherheit, Verteidigung und Rüstung. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.

Dr. András Rácz ...

Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.

Verluste der russischen Luftwaffe

Die bei der Meuterei entstandenen Verluste sind natürlich ein schwerer Schlag für die Kampfkraft der russischen Luftwaffe. Infolgedessen starben zwölf bis dreizehn russische Luftwaffenangehörige. Wagner hatte ein Flugzeug vom Typ Iljuschin Il-22M abgeschossen, das ein seltenes und wertvolles Gut war: ein mobiler Gefechtsstand.
Der Verlust von sechs Hubschraubern, einschließlich der Hubschrauber für die elektronische Kampfführung, ist ein schmerzlicher, wenn auch insgesamt verkraftbarer Verlust.

In Moskau scheint wieder alles normal zu sein. Doch Putins Regime ist ins Wackeln geraten. Europa und die NATO versuchen, darauf eine Antwort zu finden.

27.06.2023 | 02:21 min

Zukunft der Wagner-Gruppe ungewiss

Noch ist unklar, ob und in welcher Form die Gruppe Wagner bestehen bleiben wird. Derzeit scheint es so zu sein, dass der Kreml den Wagner-Söldnern drei Möglichkeiten anbietet. Sie könnten:
  • einen Vertrag mit dem Verteidigungsministerium unterzeichnen und weiterhin in den russischen Streitkräften dienen.
  • den bewaffneten Dienst verlassen und ins zivile Leben zurückkehren.
  • nach Belarus gehen, möglicherweise zusammen mit Prigoschin selbst.
Es ist noch unklar, inwieweit die dritte Variante lebensfähig sein wird oder ob die Wagner-Kämpfer, die sich dorthin begeben, dort vor dem russischen Staat sicher sein könnten, wenn man die sehr enge Sicherheitszusammenarbeit zwischen Moskau und Minsk berücksichtigt.

Das Angebot an die Wagner-Soldaten wirke fair, aber mit weiteren Folgen sei zu rechnen. Dass Putin Prigoschins Namen nicht nenne, sei "ein untrügliches Zeichen", so ZDF-Korrespondent Christian Semm.

27.06.2023 | 02:01 min

Wagner-Gruppe nicht mehr dieselbe wie vorher

Unabhängig davon, wie viele Wagner-Kämpfer sich für welche Option entscheiden, ist klar, dass die Gruppe Wagner als gut ausgebildete, sehr erfahrene und mit schweren Waffen ausgerüstete Kampftruppe in der Form, wie wir sie vor dem 24. Juni kannten, nicht mehr existieren wird.
Damit ist die Möglichkeit, sie in ihrer bisherigen Stärke an kritischen Frontabschnitten einzusetzen, endgültig dahin.
Selbst wenn das Verteidigungsministerium Wagner als separate Einheit beibehält, nachdem die Kämpfer ihre Verträge mit dem Ministerium unterzeichnet haben, ist es unwahrscheinlich, dass die Gruppe Wagner die Autonomie oder die schweren Waffen erhält, die sie zuvor hatten. Der Kreml wird nicht zweimal denselben Fehler begehen, indem er Wagner zu viel Macht einräumt.

Nicht nur in der Ukraine sind russische Söldner aktiv. Gerade in Afrika will der Kreml so an Einfluss gewinnen. ZDFheute live über die globale Macht privater Militärunternehmen.

03.05.2023 | 26:49 min

Moskau braucht weiterhin Söldnertruppen

In der Zwischenzeit wird Russland die von Wagner bereitgestellte Fähigkeit für die verdeckte Gewaltprojektion in anderen Teilen der Welt weiterhin benötigen. Darauf deutet die Tatsache hin, dass viele der Rekrutierungsbüros von Wagner nach den Ereignissen vom Samstag bereits wieder geöffnet wurden. Der russische Staat braucht offenbar immer noch die Arbeitskräfte, die die Gruppe Wagner (oder die Marke Wagner) bereitstellen kann.
Moskau hat seinen Partnern vor Ort bereits zugesichert, dass die Wagner-Truppe sowohl in Mali als auch in der Zentralafrikanischen Republik weiter operieren wird. Höchstwahrscheinlich werden auch die Einsätze in Libyen und im Sudan fortgesetzt.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

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