: Ukrainerin Charlan wird disqualifiziert

27.07.2023 | 16:20 Uhr
Die Ukrainerin Olha Charlan verweigert bei der Fecht-WM in Mailand der besiegten Russin Anna Smirnowa den Handschlag - und wird disqualifiziert.
Olha Charlan (Ukraine, links) verweigert ihrer Gegnerin Anna Smirnova den HandschlagQuelle: imago
Olha Charlan verspürte keine Lust auf einen Handschlag mit ihrer russischen Gegnerin Anna Smirnowa. "Ihr Land bombardiert und tötet unsere Landsleute", hatte die ukrainische Olympiasiegerin schon vor der Fecht-WM gesagt - nach ihrem Erstrunden-Sieg deutete sie Smirnowa daher nur ein mögliches Kreuzen der Klingen an. Doch weil die Regeln streng sind, griff der Weltverband FIE durch - und disqualifizierte Gold-Kandidatin Charlan.
Vorausgegangen war ein denkwürdiges Säbelgefecht, mit einem noch denkwürdigeren Sitzstreik ganz am Ende. Lange war fraglich, ob Fechtstar Charlan in Mailand überhaupt gegen Smirnowa antreten würde. Sie tat es - und gewann 15:7, begleitet von "Slawa Ukraini" ("Ruhm der Ukraine")-Rufen ihrer 20-köpfigen Delegation. Es war außerhalb des Tennis' der erste sportliche Wettbewerb zwischen der Ukraine und Russland seit Beginn des Krieges.

Russin Smirnowa geht in den Sitzstreik

Vor dem Kampf deutete nichts auf eine Eskalation hin. Charlan hatte zwar schon im WM-Vorfeld im AFP-Interview angekündigt, wie ihre Vorbilder im Tennis auf einen Handschlag mit Russinnen verzichten zu wollen. Doch am Donnerstag gingen beide Kontrahentinnen zunächst sogar kurz aufeinander zu, kreuzten die Klingen.
Nach dem Gefecht wollte Smirnowa aber mehr: Die Russin streckte ihre linke Hand aus und trat Charlan entgegen. Die Ukrainerin schüttelte jedoch nur kurz den Kopf und hielt ihr stattdessen den Säbel entgegen, offensichtlich um zur Verabschiedung erneut die Klingen zu kreuzen. Hände schütteln, so viel wurde deutlich, wäre für sie dann doch etwas zu viel des Guten. Während Charlan daraufhin die Planche verließ, blieb Smirnowa einfach stehen - bis ihr irgendwann ein Stuhl gereicht wurde.

Handschlag laut Regel aus "Respekt"

Anna Smirnowa bei ihrem Sitzstreik während der Fecht-WMQuelle: AFP
Es begann ein fast unendliches Warten. Der Kampfrichter redete vergeblich auf die Russin ein, bis diese nach 45 Minuten doch Platz für die längst wartenden Fechter nach ihr machte. Zwei Stunden später folgte die Disqualifikation für Charlan - laut Regelwerk müssen "die beiden Fechter (...) dem Gegner die Hand schütteln, sobald die Entscheidung gefallen ist". Aus Respekt.
In der Ukraine war das Entsetzen groß. Der Ausschluss sei Ausdruck mangelnden Respekts und auch
Ausdruck eines völligen Mangels an Empathie, eines Missverständnisses des emotionalen Kontexts und absolut beschämend.
Mychajlo Podoljak, Selenskyj-Berater
Dies schrieb Mychajlo Podoljak, Berater des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, in den sozialen Netzwerken.

Kritik von Innenministerin Faeser

Auch das Internationale Olympische Komitee schaltete sich ein und forderte die Sportverbände auf, sensibel mit Aufeinandertreffen zwischen ukrainischen und russischen Athleten umzugehen. 
Der ukrainische Sportminister Wadym Hutzajt, selbst ehemaliger Fechter, sprach von einer "spezifischen Provokation der russischen Seite". Bundesinnenministerin Nancy Faeser sah es ähnlich. "Zu dieser Situation hätte es nie kommen dürfen", schrieb die für den Sport zuständige SPD-Ministerin bei Twitter: "Russland hat im Moment im internationalen Sport nichts zu suchen."

Dilemma mit Ansage

Es war ein Dilemma fast mit Ansage: Bei der WM dürfen Fechterinnen und Fechter aus Russland und Belarus in den Einzelwettbewerben als neutrale Athleten starten. Die ukrainische Regierung hatte ihren Sportlern zunächst untersagt, gegen diese anzutreten. Am Mittwoch wurde diese Vorgabe jedoch aufgeweicht, nun sind nur noch Kämpfe gegen Sportler untersagt, "die die Russische Föderation oder die Republik Belarus repräsentieren".
Ein Jahr vor Olympia in Paris wurde damit erneut deutlich, dass der von IOC-Präsident Thomas Bach erhoffte "normale" Wettkampf zwischen Ukrainern und Russen - auch als neutrale Athleten - kaum realisierbar ist.

Kritik an IOC-Vorhaben für Olympia

Dagmar Freitag, ehemalige Vorsitzende des Sportausschusses im Deutschen Bundestag, sparte dann auch nicht mit Kritik. "Dazu konnte es nur aufgrund des Vorhabens des IOC und seines Präsidenten kommen. Dort ist der Unsinn mit den 'neutralen Athleten' erfunden worden. Weil Bach diese unbedingt in Paris sehen möchte", schrieb Freitag bei Twitter.
Tweet von Dagmar Freitag
Noch ist die Teilnahme der "neutralen" Sportler aus Russland und Belarus in Paris nicht offiziell. Sollte dieser Fall jedoch eintreten, droht ein Boykott der Ukraine.
Quelle: sid

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