: Das Nike-Beben und seine Folgen

von Kevin Schubert
22.03.2024 | 17:43 Uhr
Der DFB braucht Geld. Dafür opfert er mit Adidas seinen wichtigsten Partner - und ruft Entsetzen und Fassungslosigkeit hervor. War es das also wert?

Der DFB beendet seine jahrzehntelange Partnerschaft mit Adidas und wird ab 2027 von Nike ausgerüstet. Dies sorgt für heftige Kritik, unter anderem bei Wirtschaftsminister Habeck.

22.03.2024 | 01:43 min
Es kommt nicht oft vor, dass Robert Habeck (Grüne) und Karl Lauterbach (SPD) für mehr "Heimat", "Tradition" und "deutsche Identität" eintreten. Dem DFB ist es nun gelungen.
Unisono beklagen Wirtschafts- wie Gesundheitsminister dessen Entscheidung, ab 2027 auf Nike als Ausrüster zu setzen. "Ich kann mir das deutsche Trikot ohne die drei Streifen kaum vorstellen", sagt Habeck.
Adidas und Schwarz-Rot-Gold gehörten für mich immer zusammen. (...) Da hätte ich mir ein Stück mehr Standortpatriotismus gewünscht.
Wirtschaftsminister Robert Habeck
CDU-Chef Friedrich Merz ("unpatriotisch"), CSU-Chef Markus Söder ("falsch, schade, unverständlich") und Bodo Ramelow von der Linken ("Reduzierung auf Geld und Dollarzeichen geht mir echt auf die Nerven") stimmen in den parteiübergreifenden Chor der DFB-Kritiker ein.
Wumms. Das sitzt. Wirft aber auch die Frage auf: Ist die Kritik in dieser Deutlichkeit überhaupt gerechtfertigt? Die wirtschaftlichen und emotionalen Argumente eingeordnet.

Das Wirtschaftliche: Warum wechselt der DFB den Ausrüster?

Der DFB ist dringend auf neue Einnahmen angewiesen. "Wir haben ein strukturelles Defizit von 19,5 Millionen Euro. Das ist die Summe, die wir dauerhaft mehr ausgeben, als wir einnehmen", sagt DFB-Schatzmeister Stephan Grunwald im Juni letzten Jahres in einem ZDF-Interview. Allein der neue Campus, das Vorzeigeprojekt in Frankfurt, kostet nach ZDF-Recherchen etwa 32 Millionen Euro mehr als geplant.

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22.03.2024 | 20:22 min
Der bis 2034 laufende Vertrag mit Nike ist da ein Rettungsanker. "Nike hat das mit Abstand beste wirtschaftliche Angebot abgegeben", sagt Holger Blask, Vorsitzender der Geschäftsführung der DFB GmbH & Co. KG.
Zahlen nennen DFB und Nike zwar keine, nach "Handelsblatt"-Informationen soll der Sportartikelhersteller aber mehr als 100 Millionen Euro pro Jahr zahlen. Adidas hat unwidersprochenen Medienberichten zufolge bislang etwa 50 Millionen Euro pro Jahr an den DFB überwiesen haben, wollte nach ZDF-Informationen aber sparen - und in Zukunft weniger zahlen.
Philipp Köster, Chefredakteur des Fußballmagazins "11 Freunde", lobt den DFB deshalb für seine Entscheidung und wirft den kritischen Politikern "Populismus" vor. "Ich möchte den Verband sehen, der solch ein Angebot aus alter Verbundenheit nicht annimmt und dann gegenüber seinen Landesverbänden die nächste Sparrunde einläutet", schreibt Köster auf X, dem ehemaligen Twitter. Zumal dem DFB "nach langen, langen Jahren endlich ein transparentes Bieterverfahren" gelungen sei - "und keine Deals in abendlichen Herrenrunden eingetütet wurden".

Wie wichtig ist Sponsoring für den DFB?

Zuständig für den operativen Betrieb der wirtschaftlichen Geschäftsbetriebe des DFB e.V. ist die DFB GmbH & Co. KG. Im Wirtschaftsjahr 2022 haben die Umsatzerlöse der KG laut DFB-Finanzbericht bei insgesamt 376,527 Millionen Euro gelegen - woran Sponsoring (156,235 Millionen Euro) und Fernsehgelder (140,987 Millionen Euro) den größten Anteil haben.

Einen vergleichsweise großen Anteil am Sponsoring hat der Volkswagen-Konzern. Dem ZDF liegt der Vertrag mit dem Verband vor. 2023/24 zahlt der Autokonzern rund 40 Millionen Euro. Wenn der Vertrag in diesem Jahr ausläuft, soll damit aber Schluss sein: Nach ZDF-Informationen will VW nur noch 18 Millionen Euro für das Sponsoring überweisen, weniger als die Hälfte.

Das Emotionale: Warum ist die Kritik am DFB trotzdem so groß?

Harald Lange leitet an der Julius-Maximilians-Universität in Würzburg die Fan- und Fußballforschung. Für ihn führen gleich mehrere Aspekte zur Generalkritik am DFB.

Erstens: Der Adidas-Mythos

Seit mehr als 70 Jahren arbeiteten Adidas und der DFB nun schon zusammen, sagt Lange. "Das ist im Sportgeschäft ein Brett, das seinesgleichen sucht", sagt der Fußballforscher, "so eine Verbindung löst man nicht einfach so auf".
Lange erinnert an gemeinsame Erfolge, etwa das "Wunder von Bern", den ersten WM-Titel der Männer 1954, den auch "Adidas mit seinen Stollenschuhen möglich gemacht hat". Der ideelle Wert und die Verbundenheit der Deutschen mit Adidas, die sich jetzt auch in Tausenden Posts in den sozialen Medien zeigten, sei "extrem", urteilt Lange.

Die EM-Trikots des DFB-Teams seit 1960

1960: Bei der ersten offiziellen Europameisterschaft, die unter vier Ländern ausgetragen wird, trägt die deutsche Nationalmannschaft ein Trikot mit Schnürkragen, wie hier Uwe Seeler.


Zweitens: Das angekratzte Image des DFB

In einer ZDF-Umfrage bewerten etwa 83 Prozent der Befragten das Image des DFB als schlecht. "Trainerausbildung, Jugendförderung, Fraußenfußball - in eigentlich allen Punkten, die einen Sportverband ausmachen, steht der DFB schlecht da", sagt Lange.

Mai 2019: DFB-Sportdirektor Oliver Bierhoff, der Architekt der DFB-Akademie, im Gespräch mit ZDF-Reporter Markus Harm über das "Leuchtturm-Projekt", die Finanzierung, und die Zukunftsperspektiven des Verbands.

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Der DFB begründet den Ausrüsterwechsel zu Nike zwar auch damit, dass der Vertrag "ein klares Bekenntnis für die Förderung des Amateur- und Breitensports sowie die nachhaltige Entwicklung des Frauenfußballs in Deutschland" beinhalte.
An der Basis habe der DFB aber ein "massives Glaubwürdigkeitsproblem", sagt Lange. Nun mit den Defiziten aus der Vergangenheit Werbung für den Nike-Deal zu machen, sei dadurch "extrem unglaubwürdig" - zumal ein Aus mit einem langjährigen Partner wie Adidas wenig "vertrauensstiftend" sei.

Sportdirektor Rudi Völler will für die Heim-EM 2024 wieder den Fußball in den Fokus rücken. DFB-Präsident Bernd Neuendorf kündigt Einsparmaßnahmen beim DFB an.

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Der Zeitpunkt der Verkündung des Nike-Deals

Erst vor wenigen Tagen hätten Adidas und der DFB bei der Vorstellung des magentafarbenen Auswärtstrikots der Nationalmannschaft bewiesen, "dass der DFB auch anders sein kann", sagt Lange. "Mutig, provozierend, mit Selbstironie ausgestattet - Dinge, mit denen der Verband seit Jahrzehnten nicht mehr in Verbindung gebracht wurde." Adidas habe dem Verband so enormen Rückenwind in der Imagefrage verschafft.
"Just in diesem Moment räumt der Verband mit einer richtigen Blutgrätsche all diese positiven Aspekte ab", konstatiert Lange. "Das ist unsportlich."

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Das Duell der Konzerne: Wie bedeutend ist Nikes Coup wirklich?

Seit Jahren liefern sich Adidas und Nike ein Duell um die Vorherrschaft unter den Sportausrüstern - verbunden mit einem Wettbieten um die erfolgreichsten Vereine, Athleten und Nationalmannschaften. In den letzten Jahren hat Nike das deutsche Unternehmen aus Herzogenaurach zunehmend distanziert:
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Christoph Bühren, Professor für Sportmanagement an der Ruhr-Universität Bochum, spricht von einem "harten Schlag für Adidas, ausgerechnet die Nationalmannschaft an Nike zu verlieren". Gerade im Fußball spielten immaterielle Faktoren wie Prestige, Image und Tradition eine wichtige Rolle. Adidas einen "so wichtigen Partner abgeworben zu haben", nennt Bühren einen "wichtigen, strategischen Erfolg" für Nike, der sich auch wirtschaftlich rechnen könnte.

Wie stark ist das DFB-Trikot wirtschaftlich?

Insgesamt haben sowohl Adidas als auch Nike ein so großes Portfolio, dass der Absatz eines einzelnen Trikots nur einen kleinen Anteil am Gesamtumsatz ausmacht. Dennoch sei die wirtschaftliche Zugkraft des DFB-Trikots nicht zu unterschätzen, sagt Christoph Bühren von der Ruhr-Universität Bochum.  

"Im WM-Jahr 2018 rechnete Adidas mit einem weltweiten Verkauf von acht Millionen Trikots der Nationalmannschaft", sagt Bühren. "Man kann davon ausgehen, dass dem Hersteller etwa 20 Prozent des Trikotumsatzes als Gewinn verbleibt." Bei einem Trikotpreis von 100 Euro bleiben so in einem WM-Jahr 160 Millionen Euro Gewinn. "Insofern ist der Trikotverkauf wirtschaftlich relevant", sagt Bühren.  

Allerdings sieht Christoph Bühren auch Gefahren für Nike - und Chancen für Adidas. "Wenn der Deal - ähnlich wie der geplatzte Investorendeal der DFL - von den Fans als Kommerz eingestuft wird", sagt Bühren, "würde sich das negativ auf den Verkauf der neuen Nike-Trikots auswirken, die alten Adidas-Trikots würden eventuell einen nostalgischen Mehrwert erlangen."

Zudem verweist Bühren auf den sogenannten 'Winner's Curse', frei übersetzt "der Fluch des Gewinners". "Der besagt, dass der Gewinner einer Auktion - eines Wettbietens, wie es bei Adidas und Nike der Fall gewesen zu sein scheint - der eigentliche Verlierer sein kann, da oftmals ein überhöhter Preis gezahlt wird", sagt Bühren. "Ob der Preis aber wirklich überhöht ist, bezweifle ich."

Wen rüstet Adidas noch aus?

Bei den Fußballnationalmannschaften rüstet Adidas unter anderem Weltmeister Argentinien, Mexiko, Italien, Japan, Schweden und Spanien aus. Unter den Vereinsmannschaften sind die größten Partnerschaften Arsenal, der FC Bayern München, Juventus Turin, Manchester United und Real Madrid.

Daneben setzt Adidas auch auf Einzelpersonen, etwa die Fußballer Jude Bellingham, Lionel Messi, Manuel Neuer und Mohamed Salah, aber auch die Trainerstars Jürgen Klopp und Zinedine Zidane. Auch Leichtathletik-Stars, Basketball-Spieler oder Pop-Stars wie Pharrell Williams stehen bei Adidas unter Vertrag.

Die lukrative Partnerschaft mit Kanye West ("Yeezy") beendete Adidas nach wachsender Kritik wegen rassistischer und antisemitischer Aussagen des Rappers.

Quelle: mit Material von dpa und AFP

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