Analyse

: Bidens G7-Bilanz und das große Ganze

von Elmar Theveßen, Washington
15.06.2024 | 15:17 Uhr
Der G7-Gipfel in Italien geht zu Ende - und die Industriestaaten haben in vielen Punkten eine Einigung erzielt. In der Heimat steht US-Präsident Biden jedoch unter Beobachtung.

Der G7-Gipfel in Italien geht zu Ende. Der wichtigste Beschluss war ein 50-Milliarden-Dollar-Hilfskredit für die Ukraine. Große Kritik äußerten Gipfelteilnehmer an China.

15.06.2024 | 00:22 min
Einsam steht er da, scheint irgendetwas vor sich hin zu murmeln. Zu sehen ist Joe Biden nur von hinten. Der kurze Videoclip zeigt angeblich einen "senior moment" - einen altersbedingten geistigen Aussetzer - in dem ein desorientierter Anführer der freien Welt von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in den Kreis der G7 zurückgeholt werden muss.
Mit der Bemerkung "confused wanderings" (deutsch: wirre Irrwege) verbreiten rechtsorientierte Medien in den USA den Ausschnitt, den die Republikanische Partei ins Netz gestellt hatte.

Obwohl der globale Süden das Hauptthema beim G7-Treffen am Freitag sein sollte, stand auch die Ukraine im Fokus. Aus Moskau kamen Bedingungen für eine Waffenruhe.

14.06.2024 | 01:34 min

G7-Staaten erzielen in vielen Punkten Einigung

Aber Joe Biden war beim G7-Gipfel gar nicht verwirrt. Der US-Präsident unterhielt sich nur kurz mit einem der Fallschirmspringer, dessen Team den Gipfel-Teilnehmern am Donnerstag sein Können demonstriert hatte.
Das belegen die offiziellen Fernsehbilder. Rechte Büchsenspanner nahmen einfach einen passenden Kamerawinkel und machten ein Hochkantvideo daraus, bei dem nur der mittlere Bildausschnitt erhalten bleibt - fertig war das sogenannte "Cheap-Fake"-Video, eine billige Fälschung.
Genau das entsteht auch, wenn man nur Einzelaspekte dieses Gipfels betrachtet, ohne auf das große Ganze zu schauen. Und da sieht die Bilanz der G7-Anführer gar nicht so schlecht aus:
Sie einigten sich auf einen entschlossenen Kampf gegen Schleuserbanden, unterfütterten ihr Vorgehen gegen die Ursachen von Massenzuwanderung mit Milliardensummen für konkrete Projekte mit afrikanischen Staaten und prangerten die unfairen Handelspraktiken Chinas an. An einem riesigen Infrastrukturprojekt, das die Verkehrs- und Lieferwege von Asien bis Europa und Afrika verbessern soll, um chinesischen Einfluss zurückzudrängen, beteiligen sich private Investoren mit Milliardenbeträgen.

In Bari endet der G7-Gipfel: Bundeskanzler Olaf Scholz spricht im Interview über das Hilfspaket für die Ukraine sowie den Umgang mit Russland.

15.06.2024 | 09:36 min

50-Milliarden-Kredit für die Ukraine

Die breite Unterstützung für die Ukraine verbucht das Weiße Haus auch als persönlichen Erfolg für Biden. Ihm und Finanzministerin Janet Yellen sei es zu verdanken, dass aus den Zinserträgen von russischem Vermögen, das in Europa und den USA eingefroren ist, ein 50-Milliarden-Kredit für die Verteidigung und den Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden kann. Mit ihrer Beharrlichkeit hatte Yellen den Widerstand einiger europäischer Partner gegen dieses Vorgehen gebrochen.

Dass der russische Präsident Wladimir Putin so heftig auf die Ankündigung der G7 reagierte, Russland für den angerichteten Schaden zur Kasse zu bitten, wertet die US-Regierung als Beleg, dass die Botschaft angekommen ist. Auch die neuen US-Sanktionen gegen russische Banken und gegen jene, die den Krieg gegen die Ukraine mitfinanzieren, zeigen Wirkung, sie erschütterten in den vergangenen Tagen die Finanzwirtschaft Russlands.

Die G7-Länder haben sich auf ein Darlehen für die Ukraine über 50 Milliarden US-Dollar geeinigt. Sie wollen dabei auch Zinserträge aus eingefrorenen russischen Vermögen nutzen.

13.06.2024 | 03:00 min
Das amerikanisch-ukrainische Sicherheitsabkommen, das Biden und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj unterschrieben haben, mag zwar keine Gesetzeskraft haben, da es nicht vom US-Kongress ratifiziert wird. Aber sollte ein amerikanischer Präsident den Pakt beenden wollen, geht das nur mit einem offiziellen Akt. Und den müsste er vor der Öffentlichkeit, dem Parlament und den Bündnispartnern mit vergleichbaren Abkommen rechtfertigen.

Globaler Süden: Meloni für Zusammenarbeit auf Augenhöhe

Offen blieb bei diesem Gipfel, ob die Charmeoffensive des elitären Clubs der reichsten Industrienationen beim sogenannten globalen Süden Erfolg hat. "Wir werden niemals das Narrativ akzeptieren, dass der Westen gegen den Rest der Welt steht", hatte Meloni gesagt und dann Zusammenarbeit "im gegenseitigen Respekt und auf Augenhöhe" versprochen.
Gemeinsam mit ihren Amtskollegen wollte Meloni den indischen Premier Narendra Modi, die Präsidenten Brasiliens und Argentiniens, Lula da Silva und Javier Milei, und andere überzeugen, sich im Ukraine-Krieg gegen den russischen Aggressor zu stellen, Putin vollständig zu isolieren.

Papst Franziskus stieß am Freitag zum G7-Gipfel dazu. Der 87-Jährige kam mit einem jungen Thema: Künstliche Intelligenz.

14.06.2024 | 01:37 min

Aktionsplan für Umgang mit KI

Immerhin waren sich alle bei dem Thema einig, das der Papst in den Mittelpunkt seiner historischen Rede gestellt hatte: Künstliche Intelligenz. Mit eindringlichen Worten warnte Franziskus vor einer Welt, in der nicht mehr Menschen, sondern nur noch Maschinen über alles entscheiden: "Wir würden die Menschheit zu einer Zukunft ohne Hoffnung verdammen, wenn wir den Menschen die Möglichkeit nehmen, über sich und ihr Leben selbst zu entscheiden, indem wir sie zwingen, Maschinen entscheiden zu lassen."
Auch tödliche Waffen, die von Künstlicher Intelligenz gesteuert werden, sollten verboten werden, so der Papst. Er forderte einen Schutzraum in dieser Welt, in dem Menschen die Kontrolle haben über neueste Technologien, positive und negative Anwendungen von "Artificial Intelligence". Die menschliche Würde hinge davon ab.
In der Abschlusserklärung des Gipfels kündigen die G7 einen Aktionsplan an, der zu einer internationalen Konvention über die Entwicklung und Nutzung von KI führen soll. Genau solch eine Regulierung sei wichtig, sagte Modi bei seinem Abflug aus Italien. Indien setze sich für alle "wirksamen Lösungen zum Nutzen der Weltgemeinschaft ein". Doch beim Friedensgipfel in der Schweiz ist Indien nicht vertreten, obwohl es eine wichtige Vermittlerrolle im Ukraine-Krieg spielen könnte.

In der Schweiz beraten heute Vertreter von 92 Staaten über den Ukraine-Krieg. Konkret geht es um erste Schritte eines Friedensprozesses. Russland und China nehmen nicht teil.

15.06.2024 | 00:25 min

US-Präsident im Wahlkampf

Der Blick aufs große Ganze zeigt, dass es noch viel zu tun gibt, auch für den US-Präsidenten. Dessen Alter und Gebrechlichkeit wurden natürlich beim Gipfel mehrfach deutlich. Sein Arbeitspensum lässt aber auch wenig Raum für eine Atempause.
Joe Biden schwänzte das offizielle Abschlussessen und flog von Bari nach Los Angeles, um bei einer Gala mit George Clooney und Julia Roberts Spenden für seinen Wahlkampf zu sammeln. Denn wenn er die Präsidentschaftswahl verliert, könnte es beim Treffen 2025 in Kanada vorbei sein mit der Geschlossenheit der G7.

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