: Hamas will "maximalen Druck" auf Israel

30.10.2023 | 22:25 Uhr
239 Geiseln hat die Hamas laut Israel in den Gazastreifen verschleppt. Einzelne freizulassen, sei dazu da, "maximalen Druck in Israel aufzubauen", sagt Sicherheitsexperte Conrad.

Die Hamas habe ein Interesse daran, die Geiseln vor Schäden zu schützen, so Sicherheitsexperte Gerhard Conrad. Trotzdem drohe vielen eine lange Gefangenschaft.

30.10.2023 | 15:03 min
Die Zahl der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln, die beim Hamas-Großangriff am 7. Oktober neben den laut Israel etwa 1.400 getöteten Menschen verschleppt wurden, soll inzwischen auf 239 gestiegen sein. Welches Kalkül der islamistischen Terrororganisation Hamas hinter der Freilassung einzelner Personen stecken könnte - über diese und weitere Fragen hat der Sicherheitsexperte und Ex-Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Nahost, Gerhard Conrad, bei ZDFheute live gesprochen.
Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Conrad über …

… das Kalkül der Hamas, auch Geiseln freizulassen

Diese Aktionen seien dazu da, "maximalen Druck in Israel aufzubauen und gegebenenfalls auch weltweit", sagt der Sicherheitsexperte und erklärt zu den taktischen Motiven der Hamas:
Hamas zeigt: Erstens, wir haben sie, zweitens, wir sind bereit, sie durchaus auch freizugeben.
Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte
Es sei im Sinne der Terrororganisation, die Verschleppten "vor Schäden durch die Kriegshandlungen zu schützen. Allein schon aus Eigeninteresse, weil sie mit den Geiseln natürlich viel vorhat." Diese könne sie, wenn die Hamas den Krieg überlebe, "zu umfassenden Verhandlungen und natürlich Erpressungen Israels nutzen", sagt Conrad.
Die Geiseln, die bisher entlassen wurden, seien - so der Anschein - nach der Gefangennahme "manierlich" behandelt worden - "jedenfalls ist das das, was wir in der Öffentlichkeit gehört haben", fügt Conrad hinzu. Auch die Soldatin, die nun befreit wurde, habe sich dem Vernehmen nach in einem guten Zustand befunden, erklärt Conrad.

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Die Hamas wolle es in der Öffentlichkeit so darstellen, dass es nicht an ihr liege, "sondern ausschließlich an der Regierung Netanjahu" - das sei das kalkulierte Narrativ. Es sei zu befürchten, dass den Geiseln noch eine lange Gefangenschaft drohe.

… den Spielraum, Geiseln auf diplomatischen Wegen zu befreien

Vermitteln können nach Auffassung von Conrad nur Staaten, dessen Geheimdienste, Diplomaten oder Politiker gesprächsfähig seien sowohl gegenüber Hamas als auch Israel. Zwei Staaten sieht Conrad dabei als Option:
Derzeit sind das letzten Endes Katar, wie wir sehen und es ist Ägypten.
Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte
Das seien "beides Staaten, die über langjährige Beziehungen zur Hamas verfügen", so Conrad. Das sei nun "extrem nützlich". Über Katar sollen, sagt Conrad, bereits derartige Gespräche gelaufen sein.
Neben diplomatischen Bemühungen könne aus Hamas-Sicht auch eine Freilassung "eines Teils der Geiseln, also zum Beispiel Frauen, Kinder, Kranke" sinnvoll sein, meint der Sicherheitsexperte. Diesen Personenkreis "loszuwerden", könne für die Hamas eine taktische Erleichterung sein.

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… die Aussichten, Hamas zu zerschlagen

Conrad hält eine erfolgreiche Zerschlagung der Hamas für schwierig. "Es ist nicht nur die Ideologie, die weiterlebt", sagt er. Durch die enge Verflechtung der Hamas-Infrastruktur mit ziviler Infrastruktur sei es schwer, die Terrorgruppe zu zerschlagen, "auch wenn sie die Führungskräfte mehrheitlich außer Gefecht setzen würden".
Die operative Handlungsfähigkeit der Hamas militärisch zu schwächen, sei eine Möglichkeit, so Conrad. "Das hat zunächst einmal für einen gewissen Zeitraum durchaus seine Auswirkungen." Der Sicherheitsexperte merkt jedoch an:
Aber da sind wir noch nicht.
Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte
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… den Zeitrahmen, auf den man sich einstellen muss

Hier müsse man sich zunächst die militärische Dynamik ansehen und beobachten, ob es sich zu einem "langfristig angelegten Konflikt hinentwickelt", so Conrad. Dabei sei die Frage, ob Israel innen- als auch außenpolitisch durchhalten könne.
Das ist eine offene Frage. Da zeigt die Erfahrung, eigentlich eher nicht.
Gerhard Conrad, Sicherheitsexperte

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Dennoch sieht Conrad auch die Möglichkeit, dass Hamas selbst "um des eigenen Überlebens willen" Kompromisse eingehe. Dies müsse ihn jedoch von ägyptischer oder katarischer Seite nahegebracht werden, sagt Conrad. Auch Israel müsse dabei mitspielen, doch dies würde dann dem erklärten Ziel entgegenstehen, "sich ein für alle Mal dieser Organisation (Hamas) zu entledigen".
Man könne auf einen schnellen Verlauf des militärischen Konflikts hoffen, müsse aber mit einem langen Verlauf rechnen, bilanziert Conrad die Lage.
Quelle: ZDF

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