: Gaza-Konflikt greift auch auf den Irak über

von Nils Metzger
20.10.2023 | 20:01 Uhr
Drohnen gehen auf US-Truppen im Irak und Syrien nieder, aus dem Jemen fliegen Raketen in Richtung Israel. Immer mehr pro-iranische Milizen steigen in den Konflikt um Gaza ein.
Unter Raketenbeschuss irakischer Milizen: US-Militärfahrzeuge am Stützpunkt Ain al-Asad im Westen des Irak. (Archivbild)Quelle: Reuters
Je näher die israelische Bodenoffensive in Gaza rückt, desto mehr mobilisiert Iran seine Milizen im ganzen Nahen Osten. Der Beschuss aus dem Libanon auf Israel nimmt Tag für Tag zu und nun tun sich vor allem im Irak neue Fronten auf. Was bedeutet das für den weiteren Konfliktverlauf?

Wo wurden überall US-Militärbasen angegriffen?

Innerhalb von 24 Stunden gab es vier Angriffe auf US-Militäreinrichtungen im Irak. US-Truppen am internationalen Flughafen in Bagdad und der Luftwaffenstützpunkt Ain al-Asad im Westen des Landes kamen am Donnerstag unter Beschuss mit Raketen und Drohnen. Dort starb ein ziviler Mitarbeiter, teilte das Pentagon mit. Mehrere Soldaten seien verletzt worden.

Nach Gefechten Israels mit der Hisbollah im Libanon befinden sich Israelis aus dem Norden des Landes auf der Flucht. Über die Entwicklungen vor Ort berichtet Michael Bewerunge.

20.10.2023 | 01:12 min
Auch ein US-Außenposten im Osten Syriens wurde mit Drohnen angegriffen. Schon am Mittwoch waren an einem weiteren US-Standort im Norden Iraks Drohnen eingeschlagen. Vor der Küste des Jemen fing der US-Zerstörer "USS Carney" mehrere Marschflugkörper und Drohnen ab, die mit Iran verbündete Huthi-Milizen Richtung Norden abgefeuert hatten - womöglich um Israel zu treffen.
Karte des Institute for the Study of War

Warum eskaliert die Lage besonders im Irak?

Iran unterstützt zahlreiche Miliz-Gruppen im gesamten Nahen Osten mit Waffen und Geld. Teheran bezeichnet sie propagandistisch als "Achse des Widerstands". So sichert sich Iran Einfluss in mehreren Staaten der Region und nutzt diese hochgerüsteten Milizen seit vielen Jahren im Kampf gegen Israel, Saudi-Arabien oder die USA.
Im Irak prallen diese Kräfte unmittelbar aufeinander. Neben einem breiten Spektrum mächtiger pro-iranischer Milizen sind dort auch 2.500 US-Soldaten stationiert, im benachbarten Syrien 900. Mehrere irakische Milizen hatten nach dem Hamas-Überfall vom 7. Oktober angedroht, gegen US-Militäreinrichtungen vorzugehen, sollten sich die USA an Israels Operation gegen Hamas beteiligen.
Am Mittwoch kündigte ein Sprecher der einflussreichen irakischen Miliz Kataib Hisbollah, nicht zu verwechseln mit der libanesischen Hisbollah, an: "Die Amerikaner sind zentrale Unterstützer beim Töten der Bevölkerung von Gaza und müssen dafür die Konsequenzen tragen." Schon in der Vergangenheit griff Kataib Hisbollah US-Ziele im Irak an, etwa nach der Tötung von Ghassem Soleimani, Kommandeur der Kuds-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden, im Januar 2020. Auch der damalige Kataib-Hisbollah-Kommandeur war bei diesem US-Drohnenschlag getötet worden.

Wie steuert Iran dieses Aufflammen der Gewalt?

Wie eng die iranischen Revolutionsgarden in die operativen Planungen solcher Angriffe auf irakischem Boden eingebunden sind, ist wie auch bei den Absprachen zwischen Iran und Hamas oder Hisbollah nicht im Detail bekannt.
Lahib Higel, Irak-Expertin bei der Denkfabrik International Crisis Group, sagt ZDFheute: "Nicht bei jedem Angriff sind die Kuds-Brigaden der Mikromanager. Grundsätzliche Eskalationslevel, wo und wie häufig angegriffen wird, das wird aber definitiv mit Iran abgesprochen." Es gebe bestimmte rote Linien, die diese irakischen Gruppen nicht ohne grünes Licht aus Teheran überschreiten würden, so Higel weiter.
Mit Blick auf ihre Ideologie wären viele dieser Milizgruppen sehr stolz, an vorderster Front gegen Israel zu stehen. Das ist keine Frage. Dazu müssen sie von Iran nicht gedrängt werden.
Lahib Higel, International Crisis Group

Ziehen bald Tausende irakische Kämpfer in Richtung Israel?

Laut Higel bedeutet das aber nicht, dass sich diese irakischen Gruppen dem Kampf von Hamas und Hisbollah auf israelischem oder libanesischem Gebiet zwingend anschließen werden. "Es gibt eine Trennung der Zuständigkeiten innerhalb der iranischen 'Achse'. Hamas und Hisbollah wollen sicherlich keine anderen Gruppen auf ihrem Gebiet. Schon in Syrien gab es Probleme, als man im gleichen Gelände operieren musste."
Sie rechne darum mit einer weiteren Zunahme der Angriffe auf US-Militärziele, aber keine grundsätzliche Ausweitung des Operationsgebiets der irakischen Gruppen, betont Expertin Higel. "Ich interpretiere es nicht so, dass sie Israel direkt angreifen wollen."
ZDFheute Infografik
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Welches Ausmaß der Gewalt ist nun zu erwarten?

Dass die nationalen arabischen Regierungen von Irak bis Libanon Druck auf ihre lokalen pro-iranischen Milizen ausüben, ist kaum zu erwarten. Beide Länder haben, auch wegen der großen Miliz-Präsenz, seit Jahren überaus schwache und instabile Regierungen. Auch wenn die US-Truppen im Irak auf Einladung der Regierung in Bagdad stationiert sind und dort primär die Terrormiliz IS bekämpfen sollen, die auch ein Feind Irans ist - Gewalt gegen US-Truppen wird die Zentralregierung in den kommenden Tagen und Wochen kaum unterbinden können.
Die irakischen Milizen könnten noch viel mehr tun. Die großen Geschütze haben sie noch nicht aufgefahren. Bislang ist es vor allem eine Machtdemonstration.
Lahib Higel, International Crisis Group
"Frühere Konflikte zwischen US-Kräften und Milizen führten üblicherweise zu einem hin und her von Angriffen und Gegenschlägen. Aktuell gehe ich aber nicht davon aus, dass die USA eine Ausweitung auf weitere Fronten wollen", sagt Higel.

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