: Medizinische Versorgung vor Zusammenbruch

von Maria Leidinger
02.11.2023 | 21:18 Uhr
Fehlende Medikamente, drohender Stromausfall: Die Lage in Kliniken des Gazastreifens verschlechtert sich. Vor allem Treibstoff wird dringend benötigt, doch Lieferungen bleiben aus.
Die medizinische Versorgung im Gazastreifen verschlechert sich zusehens.Quelle: dpa
Die medizinische Versorgung im Gazastreifen scheint sich immer mehr zu verschlechtern. "Wir tun unser Möglichstes, aber wir brauchen bessere medizinische Versorgung, sonst werden unsere Krankenhäuser zu Friedhöfen", berichtete ein Kinderarzt aus dem Gazastreifen. Die Kliniken könnten kaum noch arbeiten, heißt es auch aus dem von der Hamas kontrollierten Gesundheitsministerium.

Nach eigenen Angaben hat die israelische Armee Gaza-Stadt umstellt. Ministerpäsident Netanjahu trotzt Rufen nach einer humanitären Feuerpause - mit fatalen Folgen für Gaza.

02.11.2023 | 02:27 min
Angaben aus dem Gazastreifen lassen sich nicht immer unabhängig überprüfen. Doch auch Vertreter der Weltgesundheitsorganisation (WHO) berichten von Operationen ohne Narkose, überfüllten Kliniken und Leichenhallen, sowie von einem Anstieg von Durchfall, Atemwegsinfektionen und Hautkrankheiten unter Vertriebenen. Die Situation im Gazastreifen lasse sich mit Worten kaum noch beschreiben, so WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus.
Angst, Tod, Zerstörung und Verlust sind überall.
Tedros Adhanom Ghebreyesus, Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO)

Gaza: Größtes Krankenhaus wohl überfüllt

Nach Angaben der Hilfsorganisation Medical Aid for Palestinians ist das größte Krankenhaus im Gazastreifen völlig überfüllt. Neben mehr als 800 Patienten mit mittelschweren, bis schweren Verletzungen beherberge das Schifa-Krankenhaus in Gaza-Stadt auch Tausende Schutzsuchende.
Die Belegschaft sei "unter keinen Umständen in der Lage, all diese Verletzungen zu behandeln, insbesondere wegen fehlender Medikamente", zitierte die Organisation den Chefarzt für Chirurgie, Marwan Abussada.
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Die Menschen lebten "im Innern des Krankenhauses, einschließlich der Flure", soll der Chefarzt gesagt haben. Wegen der vielen Menschen warnte er vor der Ausbreitung von Krankheiten. Zudem gehe langsam der Treibstoff für Notstromgeneratoren aus. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig prüfen.

Israel bittet Ausland um Lazarettschiffe

Israel hat Deutschland und andere Länder um Lazarettschiffe gebeten, um Verletzten aus dem Gazastreifen zu behandeln. Die Schiffe sollen in Ägypten anlegen und dort verletzte Palästinenser aufnehmen, sagt der israelische Botschafter in Deutschland, Ron Prosor, dem israelischen Radiosender Kan.

Vereinigte Arabische Emirate wollen Kinder behandeln

Am Mittwoch waren über den israelisch-ägyptischen Grenzübergang Rafah erstmals etwa 80 verletzte Palästinenser aus dem Gazastreifen zur ärztlichen Behandlung nach Ägypten gekommen. Nun wollen auch die Vereinigten Arabischen Emirate Verletzte behandeln.

Präsident Mohammed bin Sajid habe die Behandlung von 1.000 palästinensischen Kindern in Begleitung ihrer Familien verfügt, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur WAM. Ziel sei die ärztliche Behandlung vor einer sicheren Heimkehr der Kinder zurück nach Gaza. Der Schritt folge auf ein Telefonat mit der Präsidentin des Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK), Mirjana Spoljaric.

Türkei will Krebspatienten aufnehmen

Die Türkei erklärt sich bereit, Krebspatienten aus dem Gazastreifen aufzunehmen. Sofern alles nötige koordiniert werde, könnten Krebspatienten und andere Notfallpatienten in der Türkei behandelt werden, teilt der türkische Gesundheitsminister Fahrettin Koca auf der Online-Plattform X (früher Twitter) mit.

Das einzige Krankenhaus im Gazastreifen, das Krebstherapien anbot, musste nach Angaben der örtlichen Gesundheitsbehörden seinen Dienst einstellen. Der Treibstoff für Notstromaggregate war demzufolge ausgegangen.

Kinderarzt: Operationen ohne Anästhesie

Der leitende Kinderarzt im Kamal-Adwan-Krankenhaus im nördlichen Gazastreifen, Hussam Abu Safija, berichtet von "primitiven Mittel zur Versorgung der Patienten".
Einige Operationen werden ohne Anästhesie durchgeführt.
Hussam Abu Safija, Kinderarzt im Gazastreifen
Und weiter: "Um die Wunden von verletzten Kindern zu säubern, musste ich mit Wasser vermischtes Chlor verwenden." Das Krankenhaus habe keine Schmerzmittel und Antibiotika mehr. Operationen würden mit Handylichtern durchgeführt. Auch diese Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.

Das Rabin Medical Center "hat sich stark darauf vorbereitet, viele Verletzte aufnehmen zu können“, so Neurologe Dr. Felix Benninger aus Israel.

02.11.2023 | 05:56 min

Sorge um werdende Mütter und um Neugeborene

Die Hilfsorganisation Care befürchtet ein weiteres Ansteigen der hohen Mütter- und Säuglingssterblichkeit. Frauen müssten sich aufgrund fehlender Medikamente zunehmend Kaiserschnitten ohne Betäubung unterziehen. Krankenhäuser seien "komplett" überlastet, hieß es in einer Erklärung.
Aufgrund der schwindenden Nahrungsmittelvorräte besteht insgesamt ein erhebliches Risiko für die Gesundheit der 283.000 Kinder unter fünf Jahren in Gaza sowie schwangerer und stillender Frauen.
Hiba Tibi, Länderdirektorin Care Palästina
Rund 130 Neugeborene lägen derzeit in Brutkästen, die nicht ohne Strom auskämen, hieß es. Aufgrund des Stromausfalls seien Krankenhäuser auf Treibstoff für ihre Generatoren angewiesen, doch nun gehe auch dieser zur Neige.

Im Gazastreifen geht der Treibstoff aus

Unterdessen stellte der israelische Armeechef, Herzi Halevi, eventuelle Treibstofflieferungen in den Gazastreifen in Aussicht. Vorher müsse den Krankenhäusern jedoch wirklich der Strom ausgehen, sagte er vor Journalisten. "Wir werden sehen, wann dieser Tag kommt." Erst dann werde Treibstoff unter Aufsicht an die Krankenhäuser geliefert. Israel fürchtet, dass die Terrororganisation den Treibstoff für militärische Zwecke nutzen könnte.
"Immerhin, das war schon mal ein erstes Zeichen, dass sich etwas bewegt", schätzte ZDF-Korrespondent Luc Walpot die Ankündigungen ein. "Er hat natürlich nicht gesagt, ab wann das geschehen könnte". Nach Bekanntwerden der Aussage des israelischen Armeechefs, stellte das Büro von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu allerdings klar, dieser habe keine Treibstofflieferungen genehmigt.

Etwa 7.000 Ausländer hoffen auf eine Ausreise nach Ägypten. Doch im Süden Gazas befinden sich mindestens eine Million Menschen. Was passiert mit ihnen? Luc Walpot berichtet.

02.11.2023 | 01:29 min

Walpot: USA wird über Treibstofflieferungen reden

Der palästinensische Rote Halbmond teilte zwar mit, dass weitere 55 Lastwagen mit dringend benötigten Hilfsgütern im Gazastreifen eingetroffen seien. Jedoch seien Lieferungen von Treibstoff nicht genehmigt worden. Das UN-Nothilfebüro OCHA erklärte, dass Treibstoff dringend benötigt werde, unter anderem für den Betrieb lebensrettender Geräte.
ZDF-Korrespondent Luc Walpot geht davon aus, dass Treibstofflieferungen auch Thema beim anstehenden Besuch des US-Außenministers Antony Blinken sein werden. "Die Amerikaner fordern inzwischen auch eine temporäre humanitäre Feuerpause, wie es heißt", sagte der ZDF-Journalist.

Abed Hassan aus Berlin wollte nur seine Verwandten besuchen, jetzt sitzt er in Gaza-Stadt fest. Er berichtet über die Lage vor Ort.

02.11.2023 | 09:11 min

Hilfsorganisationen fordern weiterhin Feuerpause

Hilfsorganisationen, die WHO und das UN-Palästinenserhilfswerk bekräftigten gleichzeitig erneut die Forderung nach einer sofortigen humanitären Feuerpause. Der Transport von Hilfsgütern werde von fehlenden Sicherheitsgarantien der Konfliktparteien behindert, kritisierte der oberste Krisenmanager der WHO, Mike Ryan. Ankündigungen und Wirklichkeit würden auseinanderklaffen:
Ich habe es satt, all diese Zusicherungen zu hören, die es dann für die Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten, vor Ort nicht gibt.
Mike Ryan, oberster Krisenmanager der WHO
"Eine humanitäre Feuerpause ist längst überfällig", sagte auch UNRWA-Generalkommissar Philippe Lazzarini. "Ohne sie werden noch mehr Menschen getötet, die Lebenden werden weitere Verluste erleiden, und die einst pulsierende Gesellschaft wird für immer in Trauer versinken."
Mit Material von dpa, AP, Reuters, epd

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